Reden um das heiße Blei

Es reicht nicht, Zahlen aufzuzählen, wenn man über die Opfer von Streumunition in der Ukraine spricht. Schuld beim Täter zu verorten ist genauso wichtig.

Streumunition Blindgänger
Blindgänger im Wald Bild von Hans auf Pixabay

Gerade vor wenigen Tagen war ich bei der Dichterin und Chemikerin Julia Simon Grinberg eingeladen. Bei einem Pilzkuchen kamen wir auf die Deutschen zu sprechen. Der Riesling schmeichelte dem Gaumen mit einer feinen Petrolnote, der Kuchen aus selbst gesammelten Hexenröhrlingen und Steinpilzen war ein Gedicht (Julia, falls du das liest – ich habe es überlebt und total genossen).

Die Deutschen sind eigentlich ziemlich ok. Ganz süß sogar, manchmal. Da waren wir uns einig.

Und dann wachst du eines Morgens auf und hörst im Radio ein Gespräch über Streubombenmunition, und du denkst: WTF? Ist das alles?

Eine männliche Radiostimme zum Verlieben (hauchend): Immer wieder werden im Krieg Menschen getötet, die mit den eigentlichen Kampfhandlungen nichts zu tun haben… viele schlummern dann als Blindgänger vor sich hin…. Deshalb sind Streubomben verboten – aber, räusper, nur für die Länder, die der Oslo-Antistreubombenkonvention beigetreten sind. Russland, China, aber auch die USA und die Ukraine gehören nicht dazu.

Die Stimme, betörend, wie ein loderndes Stück Kohle, erzählt weiter, dass die Zahl der Opfer laut dem neuen Streubomben-Monitor gestiegen sei. Und dann hört man eine joviale Eva-Maria Fischer an der Strippe, sie ist Leiterin der politischen Abteilung von Handicap International.

Moderator: Warum steigen denn die Zahlen immer weiter?

Fischer: Nun, die Antwort ist naheliegend. Die steigen, weil in der Ukraine immer weiter Streubomben eingesetzt werden. Die meisten Opfer kommen auch aus der Ukraine und eben aus diesem aktuellen Krieg. (Dafür gibt es einen Hexenröhrling.)

Moderator: Sie klingen überhaupt nicht überrascht, dass wir im Moment immer mehr Opfer zu beklagen haben.

Fischer: Ja, hahaha (!?) – ich klinge nicht überrascht, weil ich mich damit beschäftige. (Sie senkt die Stimme ein wenig, klingt zum ersten Mal fast betroffen.) Wir sehen, dass die Zahlen und Einsätze steigen, und das besorgt uns natürlich.

Auch der Moderator hört sich nicht mehr ganz neutral an, spricht von Russland, das sich nicht daran halte. Und nun sei auch Litauen dieses Jahr aus dem Abkommen ausgetreten, wegen der Bedrohung aus Russland. Ob man das überhaupt noch aufhalten könne?

Frau Fischer spricht von fatalen und langfristigen Folgen, vor allem auch für Kinder, und weist darauf hin, wie schwierig sich die Altlasten beseitigen lassen.

(„Wir müssen vorsichtig sein bei den Narrativen: na ja, jetzt setzen wir sie ein, im Konflikt, und räumen die schnell wieder weg.“)

Moderator: Was fordern Sie? (Endlich fordern die Deutschen etwas.)

Fischer: Wir fordern, dass diese Waffen, egal was militärisch der Kontext ist, nicht eingesetzt werden – leises Lachen – weil die humanitären Folgen größer sind als der militärische Nutzen. Das ist ein Fakt. Es gibt keinen Grund, diese Waffen wieder in Gebrauch zu nehmen.

Es klingt, als fiele das Leid einfach vom Himmel. Süß finde ich das nicht – es hat schließlich jemand geworfen.

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