Tiere vermenschlichen oder Menschen vertierlichen?
Wer ein Tier hat, vermenschlicht es gern. Es soll zum Partner werden. Aber der Mensch vertierlicht sich nicht. Ein Gedankenexperiment von Julia Grinberg.

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„Oder, zum Beispiel, Domestizierung. Kätzchen lösen bei mir keine Sentimentalität aus, aber Delfine sind etwas ganz anderes. Oder Orcas. Mit ihnen zusammen singen und pfeifen, die Ultraschallgrenze durchlöchern. Bloß – wie willst du Orcas zuhause halten? Und warum dann die Katzen? Die Hunde, die Schnecken, die Fische, die Brieftauben. Ist es nicht anmaßend? Einen mächtigen Gott für sie zu spielen, ein Schicksal? Die Chamäleonhandflächen finde ich unendlich rührend, wie zaghaft, nachdenklich tasten sie Luft an. Ist es ein Grund für die Anschaffung eines Terrariums? Deine Hände sind die schönsten, die ich je gesehen habe, aber ist es ein Grund, sie bei mir zu behalten?“ – so schrieb ich in meinem „Journal einer Unzugehörigkeit“, Kapitel „in der Nacht zu Donnerstag oder Orca an der Leine“.
Der unangenehme Gedanke, dass Lebewesen ein Besitztum sein können, ein Eigentum, sucht mich immer heim, wenn ich die Hundegassiführer sehe – das bedeutet: täglich. Dabei denke ich auch an Valie Export und ihre „Mappe der Hundigkeit“, obwohl es ihr gewiss um etwas anderes ging. Aber ist es wirklich so?
Sie forderte eine Rollenumkehr in einem Machtverhältnis. Ich schlage vor, ein Gedankenexperiment zu starten. Wir gehören definitiv zu unterschiedlichen Lagern: Ich und die Besitzer von Katzen, Hamstern und Wellensittichen. Dies ist keine Wertung, sondern eine Feststellung und ein Versuch, mich in einen Tierhalter zu versetzen.
Angenommen, das Tier, das im Grunde mein Besitz, mein Ding ist, ist kein Nutztier und wird nicht nach gewisser Gewichtszunahme geschlachtet, ausgeweidet und zubereitet. Soweit, so gut.
Angenommen, mein Tier ist putzig und kostet mich monatlich einen Batzen Geld. Ich kümmere mich um es: Futter, Tierarzt, Käfig oder Teppich, Parasiten beseitigen, Ausscheidungen entsorgen, Zeit investieren, Streicheleinheiten, Freude und Friede, vielleicht auch Stolz. Eine Vermenschlichung findet statt, ich spreche mit meinem Zögling, ich kaufe ihm Spielzeug und Bekleidung. Das tut mir gut. Das tut dem Tier eventuell, wahrscheinlich, möglicherweise gut. In besten Fällen kann ich das nicht erfragen, sondern nur projizieren. In anderen Fällen weiß ich, dass mein Zögling leidet: sei es aufgrund von Zuchtmissbildungen oder einem unnatürlichen Lebensraum.
Doch was ist der natürliche Lebensraum für mehr oder weniger domestizierte Lebewesen? Was versteht man unter „natürlich“? Unter „domestiziert“?
Ich konzentriere mich aber auf das Positive: Mein geliebtes Tier ist zu meinem Freund und Begleiter geworden. Allerdings beruht das nicht auf Gegenseitigkeit, denn ich tausche mit meinem Tier beispielsweise nie die Plätze. Mein Tier führt mich nicht an der Leine. Der Gerechtigkeit halber könnte ich mir das Geschirr selbst anlegen oder im Käfig schlafen. Zeigen Sie mir gerade einen Vogel? Warum? Geht es nicht um Liebe? Wirklich? Oder geht es hier doch um Macht, um ein subtileres Ausleben der für mich schmeichelhaften Machtverhältnisse, die meinen Gottkomplex, meine Bedürfnisse nach was auch immer befriedigen?
Ich möchte das Verhältnis zwischen mir und meinem Besitztum ehrlich betrachten – und komme nicht weiter. Ich vermenschliche mein Tier, doch das Tier vertierlicht mich nicht. Wenn ich es auf die Spitze treiben will, dann ist die Geschichte der Domestizierung die Geschichte der Versklavung und Kolonialisierung. Um die Wogen zu glätten, müssten wir die Geschichte zurückdrehen, Demut und Genügsamkeit üben und aufhören, alles und alle um uns herum wirtschaftlich oder misswirtschaftlich zu nutzen. Zu guter Letzt sollten wir auf narzisstische Liebe verzichten.
Ach Mensch! Tue mir einen Gefallen und sei einfach bescheidener.
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