Lasst die Kiffer in Ruhe kiffen
Das mühsam im vergangenen Jahr beschlossene Cannabisgesetz soll jetzt schon wieder „aufgeschnürt“ werden – warum? Plädoyer für die Komplettlegalisierung von Deutschlands Rauschmittel Nr. 2. Von Henning Hirsch.

Hin und wieder 1 Joint hat noch niemand geschadet
Gedanken eines trockenen Alkoholikes übers Kiffen
Rufen wir uns nochmal kurz ins Gedächtnis, was im April vergangenen Jahres nach LANGER Vorarbeit und hunderten von innerkoalitionären (Ampel-) Diskussionsrunden endlich auf den Weg gebracht wurde = das sog. (Konsum-) Cannabisgesetz/(K) CanG. Es reguliert und (teil-) legalisiert privaten Besitz, Anbau und medizinisch-wissenschaftlichen Gebrauch der weiblichen Hanfblüten. Wir wären nicht in Deutschland, wenn dieses Gesetz nicht mehr Paragrafen als Weed-Sorten enthielte und einem nach dem Studium des Textes derart der Schädel schmerzt, dass man erst mal 1 kräftigen Zug White Widow benötigt, um wieder runterzukommen.
Die Eckpunkte der (Teil-) Legalisierung bestehen in:
(A) Privater Anbau zwecks Eigenkonsum ist erlaubt
(B) Dasselbe gilt für gemeinschaftlichen, nicht-gewerblichen Anbau in sog. Anbauvereinigungen
(C) Die Grenze für ‚Cannabis am Körper (oder im Rucksack)‘ wird bundeseinheitlich auf 25gr festgelegt.
Man darf jetzt also zu Hause ein paar Pflanzen kultivieren, einen Verein zum Zwecke der Aufzucht und gerechten Verteilung von Hanf gründen (bzw. die Mitgliedschaft in einem beantragen) u.v.a. halbwegs unbeschwert mit dem Stoff durch unsere Straßen spazieren, ohne in ständiger Sorge sein zu müssen, wegen ein paar Krümeln hops genommen zu werden.
Klingt erst mal gut, ist aber von der Komplettlegalisierung nach wie vor so weit entfernt wie die Haschisch-Hochburg Ketama (sehr malerisch am Fuße des Rif-Gebirges in Marokko gelegen) vom Kiffer-Partykeller in Köln-Klettenberg.
Kolumnistenkollege Heinrich Schmitz urteilte deshalb:
Kein großer Wurf: Wer nun aber glaubt, ab dem 1.4.2024 sei für Konsumenten großartig etwas gewonnen, der irrt. Denn was da nun gesetzlich geregelt wurde, wird nicht allzu viel ändern. Jedenfalls nicht auf die Schnelle.
© Heinrich Schmitz: Das Cannabis-Gesetzchen (23.03.2024)
Der konservativen Opposition missfiel der Gesetzesvorschlag aus dem Hause Lauterbach, es kam zu leidenschaftlichen Debatten im Parlament über die (Teil-) Freigabe und den dadurch (angeblich) unweigerlich eintretenden Rutschbahneffekt in Richtung harter Drogen. Das Ding ging nach mehreren Lesungen knapp in Bundestag und -Rat durch, der Gesundheitsminister wischte sich den Schweiß von der Stirn, die Kiffer freuten sich und orderten Hanfsamen im Internet. Jedoch freuten sie sich eventuell zu früh, denn die seit diesem Frühjahr farblich anders zusammengesetzte Regierung will das Gesetzchen wieder aufschnüren, was wahrscheinlich nichts anderes als einen Euphemismus für dessen geplante Totalrücknahme bedeutet.
Hendrik Streeck (CDU), der neue Drogenbeauftragte, bemängelt:
(1) Jugendliche erleiden psychische Schäden durch den Konsum
(2) Die Menge, die man zum privaten Gebrauch mit sich führen darf, sei zu hoch
(3) Sog. Medizinalcannabis unterliegt nicht mehr dem BtMG und ist somit (zu) einfach zu beschaffen
(4) Es wird weiterhin in großem Stil gedealt.
Was ist von diesen Argumenten zu halten?
Das zählebige Schauermärchen von der Einstiegsdroge
Obwohl sich meine persönliche Erfahrung mit Haschisch (so hieß das Kraut in meiner Boomer-Jugend) auf eine Handvoll Joints während der Studentenzeit beschränkt, hatte ich weder damals, noch habe ich es heute, Probleme mit Menschen, die regelmäßig konsumieren. Kiffer sind überwiegend friedliche Zeitgenossen (was sie von häufig zu Gewalt neigenden Alkoholikern angenehm unterscheidet), bekommen tagsüber ihr Leben geregelt und schaffen den Ausstieg zumeist problemlos in Eigenregie, ohne dafür eine Suchtklinik von innen gesehen haben zu müssen. Das (konservative) Mantra, Marihuana sei DIE Einstiegsdroge für härtere Substanzen, ist Nonsens. Die Korrelation von THC zu Kokain/Crack & Oxys/Heroin ist genauso stark bzw. schwach ausgebildet wie die von Alkohol.
Menschen, die sogenannte «harte Drogen» wie Kokain oder Heroin nehmen, konsumieren in vielen Fällen auch Cannabis. Doch der Umkehrschluss, wonach Menschen, die Cannabis konsumieren, später auch zu «harten Drogen» greifen, lässt sich daraus nicht ableiten! Tatsache ist: Es steigen nur wenige Cannabiskonsument:innen langfristig auf andere Drogen um.
© Arud Zentrum für Suchtmedizin: Was ist dran am Mythos «Einstiegsdroge Cannabis»?
Psychische (Langzeit-) Schäden begrenzen sich nicht auf Cannabis
Dass Jugendliche (gemeint sind Personen bis 25 Jahre) durch häufigen Konsum evtl. einen psychischen Schaden erleiden können, ist unbestritten. Wobei dieser Anteil im kleinen einstelligen Prozentbereich liegt. Aber einen an der Waffel bekommen Minimum ebenfalls so viele junge Menschen durch die missbräuchliche Verwendung von Spirituosen. Sinnvoller, als Cannabis wieder zu kriminalisieren, wäre es mithin, den zulässigen THC-Anteil gesetzlich zu deckeln. Ähnlich wie Trinkern dazu zu raten, so lange als möglich bei Bier & Wein zu verharren und nicht sofort auf Wodka umzusteigen.
Und gedealt wird sowieso
Ein derart kompliziertes Gesetz, wie es das CanG unzweifelhaft darstellt, das Anbau und Konsum nur in sehr engen Grenzen zulässt, lädt selbstverständlich dazu ein, das Kraut weiterhin beim Dealer des Vertrauens zu kaufen. Die Kultivierung der Pflanzen auf dem eigenen Balkon dauert, die Beantragung der Mitgliedschaft in einem Liebhaber-der-Hanfpflanze-Klub dauert noch länger, und die Zeitspanne, bis ein neuer Verein gegründet und von den Behörden genehmigt wird, kann je nach Ordnungsamt bis zu einem halben Kifferleben betragen. Kein Wunder also, dass sich der 08/15 Pothead den Stoff auch künftig am Bahnhof oder im Darknet besorgt.
Das CanG angewendet auf die feuchtfröhliche Welt des Alkohols würde zur Folge haben, dass man Bier (in geringer Menge) zu Hause brauen (und ausschließlich dort konsumieren) darf, alternativ einen Verein zum Zwecke des Weinbaus gründet, dessen handverlesene Mitglieder den edlen Saft jedoch nur im streng überwachten Klubhaus genießen können, und der Normalo-Trinker die Herkunft der 3 Flachmänner im Kofferraum bei einer Polizeikontrolle nicht zu erklären braucht. Wen würde es bei solcher Gesetzeslage wundern, wenn alsbald Flüsterkneipen aus dem Boden schießen, und der Stoff entweder illegal produziert oder bei Nacht & Nebel ins Land reingeschmuggelt wird?
Klingt aberwitzig, sagen Sie?
Jap, ist es; aber im Drogensegment THC halt traurige Realität.
Warum ohne Not ein zweites Fass aufmachen?
Die Diskussion über Sinn & Unsinn der Freigabe von Cannabis führe ich periodisch wiederkehrend seit meiner Studentenzeit. Die Argumente Pro & Contra sind dabei immer dieselben. Auf meinen Einwand, dass Alkohol mit WEITEM Abstand die Position als Volkskiller Nr. 1 einnimmt, dessen Produktion, Vertrieb und Verzehr trotz der damit verbundenen Risiken nahezu unreguliert vonstatten gehen, antwortete eine befreundete Ärztin vor ein paar Jahren: „Stimmt; ich behandle in meiner Praxis sehr viel mehr chronische Schluckspechte als Konsumenten anderer Rauschmittel. Aber weshalb sollte ich zusätzlich zum ersten verdorbenen Fass ein verkehrtes zweites öffnen? Die Probleme mit der Sauferei reichen völlig; zusätzliche Schwierigkeiten mit legalisiertem Marihuana brauchen wir nicht“. Das leuchtete mir aus ihrer medizinischen Perspektive vordergründig ein; wobei die jährlich von der DHS veröffentlichten Zahlen eindeutig was anderes besagen = 20-30.000 Alkoholtote (in Kombination mit Nikotin kann man die Zahlen verdoppeln) und 100-200.000 klinische Entzüge, denen 0 Cannabis-Tote und stationäre THC-Entgiftungen im kleinen dreistelligen Bereich (jeweils pro Jahr) gegenüberstehen. Hinsichtlich Gefährlichkeit für die Volksgesundheit unterscheiden sich die beiden deutschen Lieblingsdrogen mithin stark; und zwar eindeutig zu Lasten des Alkohols.
Ausweichen auf Nebenkriegsschauplatz
Der konservative Feldzug gegen den Hanf wäre SEHR viel glaubwürdiger, wenn der Gesetzgeber nur ein Viertel des Anti-THC-Elans ebenfalls in die Prävention des überall verbreiteten Alkoholmissbrauchs investierte. Z.B. Preise rauf, Verkaufsstellen ausdünnen, Konsumverbot in der Öffentlichkeit, keine Werbung. Davor scheut die Politik jedoch zurück. Die Volksdroge Nr. 1 ist sakrosankt und fordert Jahr für Jahr viele Menschenleben (nicht nur das eigene, sondern ebenfalls Dritte), um von den im Suff verprügelten Ehefrauen/Partnerinnen und in Mithaftung genommenen Co-Abhängigen gar nicht erst anzufangen.
Statt dieses Megaproblem endlich beherzt anzupacken, weicht man lieber auf einen Nebenkriegsschauplatz aus und dämonisert Cannabis.
Um es zugespitzt auf den Punkt zu bringen: eine Welt voller Kiffer wäre weitaus ungefährlicher als der momentane Zustand mit gewaltaffinen (u sich betrunken ans Steuer setzenden) Trinkern.
Fazit: Um den mafiösen Schwarzmarkt auszutrocknen, muss bei THC genauso verfahren werden wie beim Alkohol = völlige Freigabe der Droge. Aufklärung und (im Bedarfsfall) ausreichend Therapieangebote sind die eindeutig vernünftigeren Lösungen als Kriminalisierung. Das CanG kann deshalb tatsächlich weg (weil zu kompliziert und nicht liberal genug) … lasst die Kiffer (endlich) in Ruhe kiffen!
Rubrik: immer das (konservative) Gschiss mit dem Marihuana.
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In der vorherigen Kolumne von Henning Hirsch ging es um das Thema Doppeldiagnose.
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