Lebensverlängerung oder Assistierter Suizid: Das Sterben vermögen

Gibt es einen unbedingten Lebenswillen? Oder ist es irgendwann einfach genug? Und was dann?

Sterben, Lebensverlängerung, assistierter suizid
Blumen sterben nicht, sie verwelken. Bild: Jörg Phil Friedrich

Der Schutz des individuellen Lebens eines jeden Einzelnen ist in unserer Gesellschaft zum höchsten Wert geworden. Lebensverlängerung ist gut, assistierter Suizid ist problematisch. Um ein Leben zu retten, werden alle Mittel in Bewegung gesetzt, mit hohem Aufwand wird versucht, eine Bergsteigerin aus unwegsamem Gelände zu bergen, und um schwerkranke Menschen zu heilen oder wenigstens ihr Sterben so weit wie möglich hinauszuzögern, werden alle erdenklichen Möglichkeiten und Verfahren der modernen Medizin aufgewandt.

Zwang zur Lebensverlängerung

Aus dem Wunsch, jeder Person ein möglichst langes Leben zu ermöglichen, ist längst ein Zwang zum Weiterleben geworden, wobei man oft eher vom Weiterleiden sprechen müsste. Wer im Alter schwer erkrankt, muss heute damit rechnen, noch viele Jahre am Leben gehalten, genauer, vom Sterben abgehalten zu werden. Der Mensch sei sterblich, weil er sterben kann, weil er den Tod als Tod vermag, sagte der Philosoph Martin Heidegger. Aber wir werden vom Sterben abgehalten, selbst, wenn wir nicht mehr leben wollen, wenn das, was wir vor dem Sterben noch zu erwarten haben, nicht mehr als Leben bezeichnen wollen.

Wir sehen heute viele Kranke und Alte, die zunehmend nur noch darauf warten und hoffen, dass es endlich zu Ende ist. Und viele Kinder und Enkel behalten ihre Eltern und Großeltern nicht als die starken, lebensfrohen Menschen in Erinnerung, die sie einmal waren, sondern als leidend, kaum noch ansprechbar, immer schwächer werdend und schließlich verschwindend. Diese letzten Begegnungen überdecken immer mehr die Erinnerung an die fröhlichen und guten Zeiten. Das ist oft eine Last vor allem für die, die da krank und schwach in Rollstühlen sitzen und in weißen Laken der Krankenbetten liegen.

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Dagegen regt sich seit einiger Zeit Widerstand, und die Forderung nach den Möglichkeiten des selbst bestimmten Sterbens wird laut. Zuletzt hat der 66jährige österreichische Journalist Niki Glattauer, der an Krebs erkrankt war und seinem Leben durch assistierten Suizid ein Ende gemacht hat, die Diskussion neu angeregt, indem er zuvor offen und ausführlich über seine Absicht und seine letzten Tage gesprochen hat.

Assistierter Suizid: nur ein Aspekt

Aber die Liberalisierung und die Akzeptanz der Möglichkeit des assistierten Suizids ist nur ein Aspekt der notwendigen gesellschaftlichen Debatte. Die Äußerungen Glattauers zeigen auch, dass dieser Weg zwar eine mögliche Option sein kann, seine Ermöglichung aber nicht alle Probleme löst. Das nicht einmal wegen der Befürchtung, kranke Alte könnten sich von der Gesellschaft oder von Verwandten zum Freitod gedrängt sehen.

Das eine ist, wie man auch aus dem Gespräch mit Glattauer entnehmen kann, dass man sich den assistierten Suizid leisten können muss. Einige tausend Euro musste Glattauer insgesamt ausgeben. Das andere ist, dass es nur wenigen gelingen kann, den richtigen Moment für die freie und selbst bestimmte Entscheidung zu einem freien und selbst bestimmten, aktiven Suizid nicht zu verpassen. Wie auch immer ein assistierter Suizid gesetzlich ermöglich wird, er setzt voraus, dass man aktiv und frei handeln kann, das ist vielen, die sich im fortgeschrittenen Stadium einer schweren Krankheit befinden, nicht mehr möglich.

Notwendig wäre, dass wir die Diskussion um den Anspruch zum Hinauszögern des Todes führen. Die Behauptung, dass jeder einen unbedingten Überlebenswillen habe, der in jeder Notsituation, unter allen Bedingungen wirken und der spätestens im Angesicht des möglichen Sterbens erwachen und stark werden würde, ist ein fragwürdiger Mythos. Wir sprechen zu wenig darüber, ob wir wirklich bei schwerer Krankheit immer wieder gerettet werden wollen.

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Selbstverständlich sagen dürfen: Es ist genug

Wir brauchen die Möglichkeit, ganz selbstverständlich zu sagen, dass es genug ist, dass man sich selbst und seinen Nächsten das bevorstehende Leiden nicht zumuten will. Statt in immer neue Möglichkeiten des Hinauszögerns des endgültigen Todeszeitpunkts zu forschen, könnte die medizinische Wissenschaft dann Wege finden, ein solches Leben sachte zu Ende zu bringen, ohne dass ein Suizid nötig ist. Diese Frage stellt sich nicht erst, wenn es darum geht, ob die „Apparate abgeschaltet werden sollen“. Sie drängt sich schon dann auf, wenn absehbar ist, dass ein Leben ohne High-Tech-Medizin, ohne dutzende Medikament am Tag, ohne immer neue operative Eingriffe schon bald zu Ende sein würde.

Diese Lebensphase nicht zu verlängern und nicht als unmenschliches Leiden erleben zu müssen, sondern sanft und würdig zu überstehbar zu machen, sollte zu einer selbstverständlichen und realistischen Option für jeden werden, der in mit einer Krankheit konfrontiert ist, die leidvoll zum Tode führt.

In der letzten Kolumne beschäftigte sich Jörg Phil Friedrich mit dem Verhältnis von Recht, Gesetz und Gewissen.

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