Kommunalwahl – Demokratie im Kleinformat
Warum Kommunalwahlen der heimliche Höhepunkt unseres politischen Alltags sind. Eine Kolumne von Heinrich Schmitz.

Bei der kommenden Kommunalwahl werden wichtige Entscheidungen für unsere Gemeinde getroffen.
Wenn die Deutschen wählen gehen, geschieht das in zwei sehr unterschiedlichen Gemütslagen.
Die erste: Bundestagswahl. Man zieht sich seine seriösesten Turnschuhe an, überlegt, ob man nicht lieber die Zeitung statt des Smartphones mit ins Wahllokal nehmen sollte und fühlt sich für fünf Minuten wie ein kleiner Kanzler oder eine kleine Kanzlerin. Man spürt die Schwere der Geschichte auf der eigenen Schulter: Weltpolitik, Klimawandel, Europa – alles hängt an diesem Kreuzchen.
Die zweite: Kommunalwahl. Man spaziert ins Wahllokal, nachdem man ohnehin gerade beim Bäcker war, murmelt „Ach stimmt, da war ja was“, und setzt sein Kreuz mit der gleichen Leidenschaft, mit der man auch die Käsebrötchen auswählt. Es geht schließlich „nur“ um den Gemeinderat, den Kreistag oder die Bezirksvertretung.
Der große Irrtum
Und genau hier liegt der große Irrtum: Die Kommunalwahl ist nicht die kleine Schwester der Bundestagswahl, sondern ihr unsichtbarer Rückgrat-Trainer. Sie entscheidet nicht über große Reden in Berlin, sondern über die Schlaglöcher vor deinem Haus, über die Kita-Plätze deiner Kinder oder Enkelkinder und darüber, ob der Linienbus wirklich kommt oder nur als Fata Morgana im Fahrplan existiert. Mit anderen Worten: Sie entscheidet über die kleinen Dramen, die unser Leben mindestens genauso stark prägen wie die große Politik.
Der Charme der Nähe
Das Besondere an der Kommunalpolitik ist ihre Nähe. Bundestagsabgeordnete kennen wir nur aus Talkshows oder Wahlplakaten. Kommunalpolitiker hingegen treffen wir beim Supermarkt an der Wursttheke oder beim Vereinsfest neben der Hüpfburg. Sie sind nicht nur Namen auf Wahlzetteln, sondern auch Menschen, die im gleichen Stau stehen, im gleichen Freibad frieren und sich über dieselben Hundehaufen ärgern.
Das bedeutet auch: Man kann sie ansprechen. Direkt. Ungefiltert. Stell dir vor, du gehst zum Bürgermeister und fragst: „Warum sind die Parkgebühren plötzlich so hoch?“ – und er kann nicht so tun, als ginge ihn das nichts an. Denn du stehst da, mit belegtem Brötchen in der Hand, und erwartest eine Antwort. In dieser radikalen Unmittelbarkeit steckt der eigentliche Reiz: Kommunalwahlen zwingen Politiker, sichtbar, greifbar und im schlimmsten Fall auskunftspflichtig zu bleiben.
Schlaglöcher, Spielplätze und die große Weltordnung
Oft wird Kommunalpolitik belächelt, als ginge es dort nur um Nebensächlichkeiten. Doch wer jemals mit einem Fahrrad über ein städtisches Schlagloch gefahren ist, weiß, dass „Nebensachen“ das Potenzial haben, Weltuntergangsstimmung auszulösen.
Das ist die Magie der Kommunalwahl: Sie entscheidet über Dinge, die wir nicht erst späzer mal im Geschichtsbuch, sondern direkt im Alltag bemerken. Kein internationaler Vertrag hat jemals verhindert, dass der Müll nicht pünktlich abgeholt wird – aber ein Stadtrat kann genau das regeln.
Während in Berlin die Debatte über Außenpolitik läuft, entscheidet der Gemeinderat, ob der Spielplatz endlich eine neue Schaukel bekommt oder ob Kinder weiterhin lernen, dass man beim Spielen vor allem Geduld entwickeln sollte.
Kurz gesagt: Kommunalwahlen sind Politik in 3D – spürbar, sichtbar, manchmal riechbar (je nach Zustand der Müllabfuhr).
Demokratie zum Anfassen
Es gibt noch einen Grund, warum Kommunalwahlen Sinn machen: Sie erziehen uns zur Demokratie. Hier merken wir, dass Mitbestimmung nicht nur ein großes Wort im Schulbuch ist, sondern tatsächlich in unserer Straße stattfindet. Und ja – das kann anstrengend sein. Wer schon einmal eine Bürgerversammlung besucht hat, weiß, dass Demokratie mitunter so zäh wie kalter Grießbrei sein kann. Da wird hitzig diskutiert, ob die neue Ampel wirklich nötig ist, oder ob man nicht einfach ein besonders lautes Schild aufstellen könnte.
Aber genau das ist der Punkt: Demokratie ist kein kostenloser Lieferdienst, der uns Politik heiß und fertig nach Hause bringt. Sie ist ein Mitmach-Event, bei dem wir selbst die Zutaten rühren müssen – auch wenn es manchmal nach zu viel Petersilie schmeckt.
Der unterschätzte Humor der Kommunalwahl
Ein weiterer, nicht zu unterschätzender Sinn liegt im Unterhaltungswert. Kommunalwahlen liefern politische Satire gratis ins Leben. Wo sonst erlebt man ernstgemeinte Wahlplakate mit Sprüchen wie „Mehr Sitzbänke für alle!“ oder „Unser Ort braucht WLAN im Dorfgemeinschaftshaus!“?
Interessant ist allerdings, dass auf manchen Plakaten auch Friede, Wohlstand und Sicherheit versprochen werden, obwohl da maximal bei Sicherheit ein wenig möglich wäre. Und was „Bargeld ist Freiheit“ im Kommunalwahlkampf für einen Sinn ergeben soll, wissen wohl nur die Werbefachleute der blauen Partei.
Kommunalpolitik ist die Kunst des Politischen im Kleinformat. Während andere von globalen Visionen reden, verspricht die lokale Kandidatin, dass die Dorfstraße endlich eine Laterne bekommt oder die Kreisstadt eine vernünftige Veranstaltungsstätte.
Und seien wir ehrlich: Genau das macht Demokratie sympathisch. Wer sonst würde sich für die Frage starkmachen, ob der Maibaum zwei Meter höher oder niedriger sein sollte?
Der wahre Sinn: Verantwortung in homöopathischer Dosis
Kommunalwahlen sind wie eine Probierportion Verantwortung. Sie zwingen uns dazu, nicht nur über das Große Ganze nachzudenken, sondern über unser direktes Umfeld. Wer mitbestimmt, ob die Grundschule saniert wird, begreift schneller, dass Politik keine ferne Theorie ist, sondern Handwerk – mit Schraubenzieher, Zement und Haushaltsplan.
Kommunalwahlen sind die Trainingshalle der Demokratie. Wer hier lernt, seine Stimme einzusetzen, kann später auch auf Bundesebene selbstbewusst mitreden. Ohne sie wäre Demokratie ein Fitnessstudio, das nur die Hantelbank, aber kein Aufwärmtraining kennt – und wir würden uns alle beim ersten Versuch eine Zerrung holen.
Kommunalwahlen – das unterschätzte Superfood der Demokratie
Am Ende lässt sich sagen: Kommunalwahlen sind die unscheinbaren Helden unseres politischen Alltags. Sie sind das Vitamin C im Saft der Demokratie – oft übersehen, aber unverzichtbar, wenn man nicht krank werden will.
Sie sorgen dafür, dass wir nicht nur von oben regiert werden, sondern selbst in den kleinen Dingen mitreden können. Sie sind unbequem, manchmal langweilig, gelegentlich sogar absurd – aber genau deshalb sind sie so wichtig.
Denn wer glaubt, Demokratie spiele sich nur in den großen Hallen der Hauptstadt ab, übersieht, dass sie eigentlich im Rathaus beginnt. Und vielleicht auch am Bäckerstand, wo man dem Stadtrat beim Brötchenholen höflich, aber bestimmt mitteilt: „Ach übrigens – ich habe Sie gewählt. Bitte vergessen Sie die Laterne an der Dorfstraße nicht.“