Von einem der auszog, das Kanzlern zu lernen
Ein Märchen von Heinrich Schmitz.
Bild von Nicky ❤️🌿🐞🌿❤️ auf Pixabay
Es war einmal ein kleiner Junge namens Friedrich, der in einer kleinen Stadt im fernen Sauerland lebte. Seine Eltern waren sogenannte bessere Leute. Sein Vater war ein angesehener Richter, und seine Mutter entstammte einer ebenso angesehenen Familie. Dass der Großvater mütterlicherseits ein alter Nazi war und für die Umsetzung der Nürnberger Rassengesetze in seiner Heimatstadt zuständig war, störte nach dem Krieg kaum jemand.
Schon früh träumte der junge Friedrich davon, eines Tages ein großer Anführer zu werden, der über das Land herrschen und Gerechtigkeit bringen würde. Sein Herz brannte für die Politik, und es schien, als würde das Schicksal ihn auf einen besonderen Weg führen.
Eines Tages, als Friedrich durch den dunklen Tannenwald wanderte, traf er auf eine wunderschöne junge Frau. Ihr Antlitz leuchtete, und ihre Gestalt strahlte eine Anmut aus, die Friedrich noch nie gesehen hatte. Ihre Augen blitzten klug und wachsam.
Friedrich stand mit offenem Mund vor ihr und fragte zaghaft:
„Wer sind Sie? Wie heißen Sie? Was wollen Sie von mir?“
„Junger Friedrich“, sprach sie mit einer Stimme, die wie das Rauschen des Windes durch die Bäume klang, „ich bin Hoppla, die Waldfee. Du träumst von Macht, doch der Weg dorthin ist weit, steinig und voller Gefahren. Willst du ihn wirklich beschreiten?“
Friedrichnickte entschlossen und ehrgeizig. „Ich will mein Volk führen und es zu Wohlstand und Ordnung bringen. Egal, welche Hindernisse sich mir in den Weg stellen. Alles soll werden, wie es zu meiner Kindheit in den 50ern war.“
Hoppla lächelte weise. „Dann sollst du drei Prüfungen bestehen, die dir deinen Weg weisen werden. Doch hüte dich vor Hochmut und falschen Freunden, denn diese können deinen Untergang bedeuten.“
Mit diesen Worten überreichte sie ihm einen kleinen silbernen Kompass. „Dieser Kompass wird dir stets die Richtung zeigen, doch es liegt an dir, ob du dem wahren Norden folgst oder dich in den Nebeln des Ehrgeizes verirrst.“
Friedrich bedankte sich höflich und machte sich auf den Weg, die Prüfungen zu bestehen. Zuerst trat er in die CDU ein, was 1972 für einen jungen Mann eine Mutprobe war. Er fühlte sich als Easy Rider, weil er einmal mit einer alten DKW durch Feld gefahren war. Sein kurzes Haar hielt er für langes, so wie viele Männer kurz mit lang verwechseln. Aber für sich war er ein Rebell. In der CDU bestimmten die alten Silberrücken, und der junge Friedrich musste einige Drachen töten, um wenigstens schon mal Vorsitzender der Jungen Union in seiner Heimatstadt Brilon zu werden. Doch diese erste Prüfung bestand er mit Bravour.
Danach studierte Friedrich Rechtswissenschaften und war mal Richter und lange Rechtsanwalt.
Er wurde EU-Abgeordneter, Bundestagsabgeordneter, Vorsitzender der Bundestagsfraktion und vieles mehr. Aber das Kanzleramt lag in weiter Ferne.
Aus dem Osten war nämlich eine mächtige Zauberin aufgetreten, die die ganze Partei und große Teile der Bevölkerung bezirzte. Während andere Hexen und Zauberinnen mit großem Tamtam und Spezialeffekten ein Riesenbrimborium machten, kannte diese Frau die Handzeichen, die jeden Feind und alle Konkurrenten verstummen ließen: die Raute. Damit stürzte sie den schwarzen Riesen vom Thron und vertrieb ihn.
Wenn sie die Hände in Rautenform vor ihren Unterleib formte, schwieg der Sturm und die Wellen legten sich. So konnte sie 16 Jahre kanzlern und dem mittlerweile in die Jahre gekommenen Friedrich fiel nicht viel ein.
Friedrich trat derweil dem Andenpakt bei, einer Vereinigung junger Recken in der CDU, die Frauen allenfalls als Ehefrau in ihrem Männerbund akzeptieren wollten. Sie traten an, die Zauberin zu entzaubern. Doch die meisten von ihnen kamen bei diesem Untefangen zu Schaden.
Freidrich rief nach Hoppla und fragte sie, was zu tun sei. „Gegen die Macht der großen Zauberin kann ich nicht viel ausrichten“, sagte Hoppla. „Du hast einen weiten Weg vor dir. Du musst zunächst lernen zu fliegen und dann zum schwarzen Felsen gehen, dort findest du Reichtum und Einfluss.“ Friedrich folgte diesem Rat und nach vielen, vielen Monden, als die Rautenzauberin genug vom Kanzlern hatte, kam er zurück und übernahm erst mal die Macht in der Partei.
Bei seiner zweiten Prüfung begegnete Friedrich einem mächtigen Drachen, der das Gold eines großen Teils der Erde hütete. Viele Ritter hatten versucht, diesen Drachen zu besiegen, doch alle waren gescheitert. Friedrich jedoch war klug. Anstatt den Drachen mit dem Schwert zu bekämpfen, verhandelte er geschickt mit ihm und stieg in sein Gewerbe ein. Er versprach, dem Drachen eine noch größere Höhle mit mehr Reichtümern zu zeigen, wenn dieser ihn unterstützen würde. Der Drache, von Gier geblendet, stimmte zu und verhalf Friedrich zu einigem Reichtum.
Doch als Friedrich weiterzog, verspürte er eine wachsende Kälte in seinem Herzen. Der silberne Kompass in seiner Tasche begann zu zittern, und die Nadel zeigte nicht mehr klar nach Norden. Er hatte begonnen, sich von seinen edlen Zielen zu entfernen, verführt von Macht und Reichtum. Nicht nur sein Äußeres wandelte sich und glich dem legndären Mr. Burns.
Die dritte und letzte Prüfung führte ihn in ein Land, das in Dunkelheit und Chaos versunken war. Jedenfalls glaubten das viele Menschen, geblendet vom Zauber eines blauen Dämonen. Die Menschen waren grundlos verängstigt, und kein Anführer war in Sicht. Friedrich wusste, dass dies seine Chance war, das Land zu retten und die Führung zu übernehmen. Doch in diesem Moment erschien erneut die Waldfee. „Hast du gelernt, was es bedeutet, ein wahrer Führer zu sein?“, fragte sie mit ernster Stimme.“Du bist noch nicht einmal Kandidat. Und Du hast Rivalen, die Du ausschalten musst.“
Friedrich begriff. Er blickte auf den zitternden Kompass in seiner Hand und erkannte, dass er zunächst den neubärtigen Führer des Südens und den starken Sanften aus seiner Heimat ausbooten musste, die beide im Volk beliebter waren als er selbst. „Ja“, sagte er leise, „Ich weiß, was nun zu tun ist.“
Die Fee lächelte zum ersten Mal freundlich. „Dann bist du bereit.“ Mit diesen Worten verschwand sie, und Friedrich spürte, wie sein Herz pochte. Der Kompass in seiner Hand zeigte nun klar und unmissverständlich nach Nord-Osten, Richtung Berlin..
Friedrich wusste, dass er nicht der beliebteste Kandidat war und vermied es deshalb klug, über die Kanzlerkandidatur abstimmen zu lassen. Er setzte sich selbst die Kandidatenkrone auf das Haupt und wurde kurz darauf auch offiziell von seiner Partei zum Kandidaten ernannt.
Und so wurde Friedrich, der Junge aus dem Sauerland, der Kanzlerkandidat der CDU. Doch das Ende dieser Geschichte bleibt offen, denn sein Weg ist noch nicht zu Ende.
Und wenn er nicht gestorben ist, dann strebt er auch noch heute und morgen und übermorgen und überübermorgen. Und wenn er Pech hat auch noch in den nächsten Jahren.