Letzte Generation wegsperren?

Die Blockaden der Letzten Generation gehen vielen Menschen auf den Geist. Am liebsten würden viele die Aktivisten gleich wegsperren. Aber geht das überhaupt? Eine Kolumne von Heinrich Schmitz.


Bild von Fabian Holtappels auf Pixabay

Wer der Deutschen liebste Beschäftigungen stört, hat es nicht leicht. Freie Fahrt für freie Bürger, freien Flug ins Urlaubsparadies – wer da den Verkehr aufhält, macht sich nicht gerade beliebt.

Heftige Aufregung gab es nun um die Aktionen der Letzten Generation an zwei Flughäfen. In Hamburg wurde der Flugverkehr von 6:10 bis 9:50 Uhr unterbrochen, in Düsseldorf war es von 7:15 bis 9:40 Uhr.

Mehrere Klima-AktivistInnen der „Letzte Generation“ hatten den Außenzaun am Flughafengelände Hamburg aufgeschnitten und sich in unmittelbarer Nähe zur Start- und Landebahn auf dem Rollfeld festgeklebt. In Düsseldorf schnitten sie ein Stück Stacheldraht weg, legten ein Kissen auf den Metallzaun und kletterten munter drüber, ohne sich zu verletzen.

BILD titelte:

„Klima-Kleber – Angriff auf unseren Urlaub!

Was ein Kommentator auf Facebook dazu veranlasste „langsam über die Wiedereinführung der Todesstrafe nachzudenken“. Aber sicher.

Justizminister Buschmann forderte mal wieder, was Politiker immer fordern, wenn sie glauben, damit die Herzen des geschätzten Publikums zu ergötzen. Dem Zentralorgan der deutschen Wutbürger sagte er:

Die Klima-Kleber bringen nicht nur die Menschen gegen sich auf, weil sie ihnen den wohlverdienten Urlaub ruinieren. Je nach Einzelfall machen sie sich auch strafbar. Im schlimmsten Fall verwirklicht ein Hindernis auf der Rollbahn einen gefährlichen Eingriff in den Luftverkehr. Darauf stehen bis zu 10 Jahre Freiheitsstrafe.

Und Verkehrsminister Wissing wollte da auch nicht zurückstehen und sagte:

Diese gefährlichen Eingriffe in den Verkehr müssen ein Ende haben. Was die ‚Letzte Generation‘ betreibt, ist kein Klimaschutz, sondern Kriminalität. Dem Klimaschutz erweisen diese Straftäter einen Bärendienst. Wer anderen den verdienten und lange ersehnten Jahresurlaub vermiest, trägt zur Spaltung unserer Gesellschaft bei. Der Rechtsstaat muss hier hart durchgreifen.

Nun wäre das Geschwafel von Politikern, die zu Recht gegen eine stetig anwachsende AfD ankämpfen, ja noch zu verschmerzen, wenn die beiden genannten Minister nicht auch ihrer Ausbildung nach Juristen wären. Sind sie aber. Marco Buschmann war als Rechtsanwalt tätig und Volker Wissing sogar mal Staatsanwalt und Richter. Ist es da zu viel verlangt, wenn man die beiden bittet, vor ihren Statements mal einen Blick in das Gesetz zuwerfen?

§ 315 Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr

(1) Wer die Sicherheit des Schienenbahn-, Schwebebahn-, Schiffs- oder Luftverkehrs dadurch beeinträchtigt, daß er

1.
Anlagen oder Beförderungsmittel zerstört, beschädigt oder beseitigt,
2.
Hindernisse bereitet,
3.
falsche Zeichen oder Signale gibt oder
4.
einen ähnlichen, ebenso gefährlichen Eingriff vornimmt,

und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.
(2) Der Versuch ist strafbar.
(3) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
in der Absicht handelt,

a)
einen Unglücksfall herbeizuführen oder
b)
eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, oder

2.
durch die Tat eine schwere Gesundheitsschädigung eines anderen Menschen oder eine Gesundheitsschädigung einer großen Zahl von Menschen verursacht.

(4) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.
(5) Wer in den Fällen des Absatzes 1 die Gefahr fahrlässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(6) Wer in den Fällen des Absatzes 1 fahrlässig handelt und die Gefahr fahrlässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Ja. Die Aktivisten haben in der Tat, wie es in Abs. 1 Ziffer 2 steht, Hindernisse bereitet, indem sie sich selbst auf dem Rollfeld festgeklebt haben. Das wird man auch problemlos als Nötigung, Hausfriedensbruch und ggf. Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte einordnen können. Das sind Straftaten, und die werden auch bestraft werden.

Es ist aber schon zweifelhaft, ob sie „dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet“ haben. Und das gehört nun einmal zum Tatbestand dazu. Die Polizei konnte so etwas jedenfalls nicht feststellen und ermittelt deshalb auch nicht in diese Richtung. Der Traum von einer 10-jährigen Freiheitsstrafe zerplatzt also schneller als die BILD ihn kommentieren kann. Ist nichts mit gefährlichem Eingriff in den Flugverkehr.

Keine U-Haft

Das Boulevardblatt stellte schon – vermutlich bedauernd – fest, dass keiner der Tatverdächtigen in U-Haft sitzt. Ja sicher sitzt da niemand,; ich wüsste auch nicht warum. Für einen Haftbefehl liegen die Voraussetzungen auch nicht vor. Die Personalien sind festgestellt und jetzt beginnen ganz gewöhnliche Ermittlungsverfahren, die dann am Ende mit einem Urteil enden. Und solche Urteile werden in einem Rechtsstaat nicht – wie in Unrechtsstaaten – von der Regierung vorgegeben oder gar angeordnet; nein, sie werden von einer halbwegs unabhängigen Justiz gefällt. Diese ewige verbale Einmischung von Politikern in die Arbeit der Justiz geht mir zunehmend auf den Geist.

Indessen verstehe ich die Urlauber, deren Urlaub sich nun um ein paar Stunden verschoben hat, nur zu gut. Ich hatte dieses Vergnügen bekanntlich gemeinsam mit rund 24.000 Passagieren auch schon mal etwas länger als ein paar Stunden und fand es gar nicht lustig. Aber man sollte auch im Hinterkopf haben, dass in 2023 bereits rund 30 % der Flugpassagiere verspätet abfliegen mussten, und rund 70 Flüge täglich ausfallen. Da sind dann die paar Stunden Verspätung durch die Protestaktionen eher ein, nun ja, Fliegenschiss.

Dass die letzte Generation mit solchen Aktionen zwar große Aufmerksamkeit, aber um so weniger Sympathien und Unterstützung erreicht, muss sie selbst wissen. Ich halte diese Aktionen nicht für zielführend.

Sicherheitsleck

Dennoch gebührt Ihnen mein Dank, nicht nur, weil sie immer wieder auf die Klimaproblematik aufmerksam machen, sondern vielmehr, weil sie mit einfachsten Mitteln gezeigt haben, dass das Bohei, dass im Sicherheitsbereich von Flughäfen veranstaltet wird, wo man akribisch durchsucht und durchleuchtet wird, irgendwie ein lächerliches Affentheater ist, wenn ein paar harmlose Damen und Herren es ohne irgendein Hindernis bis auf das Rollfeld schaffen, um sich dort festzukleben. Das ist so ähnlich, als hätte eine Bank einen riesigen Geldschrank mit 20 unknackbaren Schlössern, allerdings ohne eine Rückwand und ohne eine ernsthafte Sicherung, sich der Hinterseite zu nähern. Das kann ja wohl nicht wahr sein.

Terrorgefahr

Da muss ja nicht nur ein Klima-Kleber sich Zugang verschaffen. Das könnte auch ein Terrorist sein, der ein MANPADS (auf Deutsch: Einmann-Flugabwehr-Lenkwaffe) dabei hat und mal so eben ein vollbesetztes Flugzeug von der Landebahn fegt. Da wird offenbar am falschen Ende gespart. Macht doch die Billigflieger einfach doppelt so teuer und investiert die Kohle in die Absicherung der Flughäfen. Ich habe kein gutes Gefühl dabei, wenn jeder Depp mit einer Drahtschere mal so einfach auf die Landbahn kommt. Vielleicht würde dann auch weniger geflogen und am Ballermann weniger gesoffen. Da hätten dann alle was davon.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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