Der große Streik – Ein Ärgernis?
Ab Montag wird gestreikt. Das gefällt nicht jedem. Auch Vince Ebert gibt seinen Senf dazu. Dabei gehört das Streikrecht zu den Grundrechten. Eine Kolumne von Heinrich Schmitz.
Am Montag beginnt der große Warnstreik der Gewerkschaften EVG und Verdi, der weitestgehend zu einem Stillstand bei Flügen, Zügen, ÖPNV und auf Autobahnen führen wird. Das tut weh und das soll es ja auch. Trotzdem sollten Sie den Streik nicht verteufeln.
Das Streikrecht ist ein wichtiger Bestandteil der Demokratie in Deutschland und spielt eine entscheidende Rolle bei der Durchsetzung von Arbeitsbedingungen und Löhnen. In den letzten Tagen hat es in der öffentlichen Debatte immer wieder Diskussionen darüber gegeben, ob das Streikrecht zu weitgeht und welche Auswirkungen das auf die Wirtschaft und die Bevölkerung hat.
Das Streikrecht ist ein Grundrecht, das in Artikel 9 des Grundgesetzes verankert ist:
Art 9
(1) Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden.
(2) Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.
(3) Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. Maßnahmen nach den Artikeln 12a, 35 Abs. 2 und 3, Artikel 87a Abs. 4 und Artikel 91 dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden.
Die Regels sind die Regels
Das Streikrecht gibt den Arbeitnehmern das Recht, ihre Arbeitskraft niederzulegen, um bessere Arbeitsbedingungen oder höhere Löhne zu fordern. Dabei müssen zwar bestimmte Regeln eingehalten werden, um die Auswirkungen auf die Wirtschaft und die Gesellschaft möglichst gering zu halten. So müssen die Arbeitgeber rechtzeitig über den Streik informiert werden und es dürfen auch nur bestimmte Berufsgruppen streiken, um den Betrieb nicht komplett lahmzulegen. Aber einen Streik zu verbieten, geht nicht. Und dass ein Streik zu erheblichen Unannehmlichkeiten führt, ist kein Grund ihn zu verbieten. Die Regels sind die Regels, wie bereits der Philosoph Marc Terenci einst im Dschungel feststellte.
Die Kritiker des Streikrechts argumentieren, dass angeblich zu oft gestreikt wird – was im Vergleich mit anderen Ländern ziemlicher Unfug ist –, und dass dadurch große Schäden für die Wirtschaft entstehen. Besonders in der Verkehrswirtschaft, wie zum Beispiel bei der Deutschen Bahn, können Streiks zwar enorme Auswirkungen haben, da ganze Strecken lahmgelegt werden können. Das ist allerdings ein notwendiges Druckmittel, um Forderungen durchzusetzen und die Interessen der Arbeitnehmer zu vertreten. Was nicht wehtut, hilft auch nichts.
Das Bundesverfassungsgericht hat das einmal so ausgedrückt:
Auf Seiten der Gewerkschaften bedarf es des Streiks, um ihre strukturelle Verhandlungsschwäche auszugleichen. Ohne diese oder gleich effektive Eskalationsstufen zur Herstellung von Kompromissfähigkeit wären Kollektivverhandlungen nur „kollektives Betteln“ (grundlegend BAG, Urteil vom 12. September 1984 – 1 AZR 342/83 -, juris, Rn. 96). Ein fairer und ausgewogener Ausgleich gegensätzlicher Arbeitsvertragsinteressen im Wege kollektiver Verhandlungen beruht insoweit auf annähernd gleicher Verhandlungsstärke und Durchsetzungskraft (vgl. BVerfGE 84, 212 <229>; 146, 71 <127 f. Rn. 164>).
Streiks sollen zwar nur das letzte Mittel sein, wenn alle anderen Verhandlungen und Kompromisse ausgeschöpft wurden. Auch müssen Auswirkungen auf die Gesellschaft und die Wirtschaft berücksichtigt werden. Es sollte also nicht einfach wahllos gestreikt werden, sondern nur in begründeten Fällen, in denen es keine andere Möglichkeit gibt, um die Interessen der Arbeitnehmer zu wahren. Wenn aber die Inflation die Preise für Mieten, Nahrungsmittel, Ebergiekosten usw. in die Höhe treibt und die Arbeitgeber nicht einmal zur Zahlung eines Inflationsausgleichs bereit sind, dann ist ein Streik das einzige wirksame Mittel, die Interessen der Arbeitnehmer durchzusetzen.
In Deutschland gibt es bestimmte Einschränkungen des Streikrechts, um die Auswirkungen auf die Wirtschaft und die Gesellschaft zu begrenzen. Diese Einschränkungen sind wohl auch notwendig, um das Recht auf Arbeitskampf und das Recht auf freie Berufsausübung miteinander in Einklang zu bringen.
BVeamte und Soldaten sind raus
Eine Einschränkung des Streikrechts besteht zum Beispiel darin, dass nur bestimmte Berufsgruppen das Recht haben, zu streiken. Dazu gehören in erster Linie Arbeitnehmer, die in einer Gewerkschaft organisiert und die von Tarifverträgen betroffen sind. Andere Arbeitnehmer, wie zum Beispiel Beamte oder Soldaten, haben kein Streikrecht, da sie ihre Tätigkeit in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis ausüben. Wenn der Staat nun, warum auch immer, die Bahn privatisiert und die Beamten dort mehr oder weniger abgeschafft hat, dann muss er sich nicht wundern, wenn auch die Bahn bestreikt werden darf.
Ein weiteres Beispiel für eine Einschränkung des Streikrechts ist, dass bestimmte Fristen eingehalten werden müssen, bevor ein Streik ausgerufen werden kann. So müssen Arbeitnehmer ihre Arbeitgeber in der Regel mindestens 48 Stunden vor Beginn des Streiks darüber informieren, dass sie die Arbeit niederlegen werden. Dadurch sollen die Arbeitgeber die Möglichkeit erhalten, sich auf die Auswirkungen des Streiks vorzubereiten und gegebenenfalls Maßnahmen zu ergreifen, um den Betrieb irgendwie aufrechtzuerhalten, und die Kunden können sich rechtzeitig darauf einstellen, dass der Verkehr still steht und sie zusehen müssen, wie sie anderweitig zu ihrer Arbeit kommen.
Des Weiteren dürfen Streiks nicht gegen die guten Sitten oder gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen. Das bedeutet zum Beispiel, dass ein Streik nicht dazu genutzt werden darf, um strafbare Handlungen zu begehen oder um gegen Grundrechte anderer Personen zu verstoßen. Was das genau sein soll, weiß der Geier.
Notdienste
In einigen Branchen, wie zum Beispiel im öffentlichen Dienst, den Krankenhäusern oder in der Verkehrsbranche, gibt es noch weitere Einschränkungen des Streikrechts. Hier sind die Arbeitnehmer verpflichtet, eine Notdienstvereinbarung mit ihren Arbeitgebern abzuschließen, um sicherzustellen, dass wichtige Aufgaben und Dienstleistungen weiterhin aufrechterhalten werden. Wäre ja blöde, wenn im OP plötzlich das gesamte medizinische Personal dem Patienten einen schönen Tod wünscht und sich zur Demo vor das Krankenhaus begibt. Also keine Angst. Der RTW holt sie ab und Sie werden auch verarztet, wenn Sie einen Unfall oder Herzinfarkt haben.
Ein weiterer wichtiger Aspekt: Auch bei Streiks des Bahnpersonals sind die Gewerkschaften und Arbeitgeber verpflichtet, eine Vereinbarung über den Notdienst während des Streiks abzuschließen. Dadurch soll sichergestellt werden, dass wichtige Aufgaben und Dienstleistungen, wie zum Beispiel der Transport von Gütern des täglichen Bedarfs oder die Versorgung von Krankenhäusern, aufrechterhalten werden können. So eine Notdienstvereinbarung sieht in der Regel vor, dass ein bestimmter Prozentsatz der Züge trotz des Streiks fahren muss. Hierbei handelt es sich um einen Mindestbetrieb, der gewährleistet, dass die Grundversorgung der Bevölkerung aufrechterhalten wird. Die genaue Anzahl der Züge, die im Notdienst fahren müssen, wird in der Notdienstvereinbarung zwischen den Gewerkschaften und der Deutschen Bahn festgelegt. Die Notdienstvereinbarung darf aber nicht dazu dienen, den Streik letztlich zu untergraben oder das Streikrecht zu beschränken. Vielmehr dient sie ausschließlich dazu, sicherzustellen, dass wichtige Dienstleistungen aufrechterhalten werden können und dass die Auswirkungen des Streiks auf die Bevölkerung und die Wirtschaft möglichst gering gehalten werden.
Es gab in der Vergangenheit mehrere Notdienstvereinbarungen bei der Bahn, da es dort immer wieder zu Streiks kam, die Auswirkungen auf den öffentlichen Verkehr und die Wirtschaft hatten. Einige Beispiele für Streiks bei der Bahn, bei denen Notdienstvereinbarungen abgeschlossen wurden, sind:
Im Mai 2015 kam es z.B. zu einem Streik der Lokführer-Gewerkschaft GDL, bei dem der Personen- und Güterverkehr der Deutschen Bahn massiv beeinträchtigt wurde. Die GDL forderte unter anderem kürzere Arbeitszeiten und höhere Löhne. Im Rahmen des Streiks wurde eine Notdienstvereinbarung abgeschlossen, die vorsah, dass ein Mindestbetrieb aufrechterhalten wurde, um die wichtigsten Verbindungen aufrechtzuerhalten.
Ein Comedian
Nun gibt es allerdings auch prominentere Zeitgenossen, die ein wenig mit dem Streikrecht fremdeln. Der mehr oder weniger bekannte Ex-Physiker und Comedian Vince Ebert z.B. postete gestern auf seiner Facebookseite:
Ich kenne Länder, in denen Menschen, die mit ihrem Job unzufrieden sind, sich einfach einen neuen suchen.
Und ich kenne Länder, in denen Menschen, die mit ihrem Job unzufrieden sind, das ganze Land lahmlegen.
Das ist an Schlichtheit kaum zu toppen.
Denkfehler Nummer 1:
Die Streikenden sind in aller Regel nicht mit ihrem Job unzufrieden, sondern mit den Arbeitsbedingungen und der Bezahlung. Dass man auch von einem Job, der einem Spaß macht, leben können muss und den nicht nur als Hobby betreibt, dürfte jedem vernünftigen Menschen klar sein.
Denkfehler Nummer 2:
Welchen neuen Job soll sich denn ein Bahnbediensteter oder eine Krankenpflegerin „suchen“? Es können ja nicht alle Comedians werden und dummes Zeug erzählen. Und vor allem, wer soll denn den „Job“ machen, wenn nun alle Comedians werden?
Und noch eins, Herr Ebert: Wenn die Inflation die Gehälter auffrisst, werden die Menschen als erstes nicht an der Miete, den Heizkosten, der Kleidung und der Nahrung sparen, sie werden eher darauf verzichten, Geld für Kulturveranstaltungen auszugeben. Dann kann es sein, dass ihre meist gut besuchten Kabarettabende auf einmal nicht mehr so gut gebucht werden und Sie irgendwann vor fast leeren Sälen spielen dürfen. Da sitzen dann nur noch ein paar ganz Reiche, die sich zwar sicherlich über ihre Späße bezüglich der aus Ihrer Sicht unmöglichen Rettung des Klimas amüsieren, aber ob sie damit über die Runden kommen – ich weiß es nicht. Dann müssten Sie sich nach Ihrer eigenen Logik halt was anderes suchen oder bis ans Ende Ihrer Tage von Ihren Reserven leben. Und welchen Job könnten Sie sich dann aussuchen? Kämen Sie als Physiker heute noch an eine Stelle? Gingen Sie wieder zu einer Unternehmensberatung oder würden Sie gar Lobbyist bei der Atomwirtschaft? Ich weiß es nicht. Aber vielleicht denken Sie ja auch nochmal über Ihren Post nach, obwohl der über 1600 Likes bekam.
Ja, der Streik ab Montag wird das Land für ein paar Tage lahmlegen. Das ist nicht schön für diejenigen, die dringend auf die Bahn, den Flieger oder den ÖPNV angewiesen sind. Die Autobahnen werden proppenvoll sein. Die Schuld für diese Unbill allerdings alleine bei den Gewerkschaften und den Arbeitnehmern zu suchen und die Streikenden zu verfluchen, ist eindeutig zu kurz gesprungen. Wieso kommen so wenige auf die Idee, dass die Schuld eher bei den Arbeitgebern liegt, deren bisherige Angebote nicht einmnal in die Nähe dessen kommen, was bei der Post vereinbart wurde?
Eine funktionierende Wirtschaft braucht fröhlich arbeitende Menschen, die eben nicht so gerade am Existenzminimun herumkrebsen, sondern die auch einmal in Urlaub fahren können, die ins Theater oder ins Kino gehen, mal Essen gehen oder einfach konsumieren können. Denn ohne Konsum und Binnennachfrage ist es schnell vorbei mit dem notwendigen Wirtschaftswachtum.
Wenn Sie sich nun am Montag durch den Streik behindert fühlen, nehmen Sie es leicht. Der geht auch wieder vorbei.
Und zum Schluss noch ein musikalischer Gruß an die Streikenden.