Kunstfreiheit und Antisemitismus

Die documenta 15 erregt die Gemüter. Kann oder soll der Staat solche Skandale verhindern? Eine Kolumne von Heinrich Schmitz


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Art. 5

(1) 1Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. 2Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. 3Eine Zensur findet nicht statt.

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

(3) 1Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. 2Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

In Absatz 3 finden Sie sie. Die berühmte Kunstfreiheit. Während die Grundrechte aus Absatz 1 nach Absatz 2 ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönliche Ehre finden, gelten diese Schranken nicht für die Freiheit der Kunst.

Nicht alles

Das bedeutet allerdings nicht, dass Kunst alles darf. Sie darf sehr viel, aber sie darf nicht alles.

Die Kunstfreiheit ist nicht mit einem ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt versehen. Sie ist aber nicht schrankenlos gewährleistet, sondern findet ihre Grenzen unmittelbar in anderen Bestimmungen der Verfassung, die ein in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes ebenfalls wesentliches Rechtsgut schützen (vgl. BVerfGE 30, 173 [193]; – 67, 213 [228]).

Nur aus den andere Bestimmungen des Grundgesetzes selbst und nicht etwa aus irgendwelchen allgemeinen Gesetzen wird die Kunstfreiheit eingeschränkt.

Wer also in seinen anderen Grundrechten durch eine künstlerische Betätigung eines anderen verletzt wird, der kann vom Staat verlangen, dass der ihm einen Schutz gegen diese Grundrechtsverletzung gibt.

In der „Esra-Entscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts wird das so ausgedrückt:

Gerade wenn man den Begriff der Kunst im Interesse des Schutzes künstlerischer Selbstbestimmung weit fasst und nicht versucht, mit Hilfe eines engen Kunstbegriffs künstlerische Ausdrucksformen, die in Konflikt mit den Rechten anderer kommen, von vornherein vom Grundrechtsschutz der Kunstfreiheit auszuschließen (so in der Tendenz BVerfG, Beschluss des Vorprüfungsausschusses vom 19. März 1984 – 2 BvR 1/84 –, NJW 1984, S. 1293 [1294] – „Sprayer von Zürich“), und wenn man nicht nur den Werkbereich, sondern auch den Wirkbereich in den Schutz einbezieht, dann muss sichergestellt sein, dass Personen, die durch Künstler in ihren Rechten beeinträchtigt werden, ihre Rechte auch verteidigen können und in diesen Rechten auch unter Berücksichtigung der Kunstfreiheit einen wirksamen Schutz erfahren. In dieser Situation sind die staatlichen Gerichte den Grundrechten beider Seiten gleichermaßen verpflichtet. Auf private Klagen hin erfolgende Eingriffe in die Kunstfreiheit stellen sich nicht als staatliche „Kunstzensur“ dar, sondern sind darauf zu überprüfen, ob sie den Grundrechten von Künstlern und der durch das Kunstwerk Betroffenen gleichermaßen gerecht werden.

Ja, schön. Das klingt ausgewogen. Muss man im Einzelfall prüfen usw. Ist ja auch richtig so. Denn wie soll es anders gehen?

Wenn Richard C. Schneider in einem Gastbeitrag im SPIEGEL schreibt:

Ist Antisemitismus von der Kunstfreiheit gedeckt? Nein, denn solche Bilder sind mitverantwortlich dafür, dass meine Familienmitglieder ermordet wurden.

dann ist das zwar einleuchtend, aber auch in dieser Absolutheit eben nicht zwingend richtig.

Das deutsche Grundgesetz ist geprägt von den Erfahrungen des Nationalsozialismus. Und auch ohne eine spezielle Anti-Antisemitismus-Klausel, wie sie sich nun in der brandenburgischen Landesverfassung als Staatsziel findet, ist das GG per se anti-antisemitisch. Damit ist der Antisemitismus aber weder aus den Köpfen, noch aus Deutschland, geschweige denn aus der Welt verschwunden.

Das Banner

Ja, dieses 20 Jahre alte Banner, das auf der documenta gezeigt wurde, ist unzweifelhaft antisemitisch. Ich finde es auch richtig und nachvollziehbar, dass es nach der idiotischen Verhüllung, die ja nicht erst seit Christo ein Kunstwerk noch interessanter macht, abgehängt wurde. Und auch die Feststellung, dass die Kuratorin offenbar gepennt hat und es gar nicht hätte hängen sollen, finde ich zutreffend. Aber, dass es sich gleichwohl um ein Kunstwerk handelt, müsste ebenso unstreitig sein.

Und was hilft die Meinung, dass Antisemitismus nicht von der Kunstfreiheit gedeckt sei, denn konkret weiter? Möchte jemand ernsthaft eine Kunstaufsichtsbehörde, die Kunstwerke vor ihrer Veröffentlichung prüft, abnimmt und mit einem Prüfsiegel versieht? Oder sollen Künstler sich davor fürchten müssen, mit strafrechtlichen Sanktionen belangt zu werden, weil eines ihrer Werke als antisemitisch gelabelt wird? Und wenn man schon mal dabei ist, warum sollte der Staat sich dann auf das Ausmerzen von antisemitischen Inhalten beschränken? Warum nicht auch gleich Rassismus, Sexismus, Homophobie oder was es sonst noch an menschlichen Ekligkeiten gibt. Will die jemand sehen? Also weg damit? Nur noch „saubere“ Kunst?

Ich kann mir nicht ernsthaft vorstellen, dass jemand das will. Und außerdem wäre so eine Behörde ganz offensichtlich verfassungswidrig und der erste Schritt in eine Unfreiheit der Kunst, die abscheulich wäre. Der Staat in Form der Exekutive muss sich tunlichst aus der Bewertung, was nun der Kunstfreiheit unterliegt und was nicht, heraushalten.

Wenn jemand sich durch ein Kunstwerk in seinen Grundrechten verletzt sieht, dann kann er die ordentlichen Gerichte anrufen. Er kann privat dagegen klagen. Wenn er recht hat, können die Gerichte dann die Ausstellung oder das Kunstwerk verbieten oder die Verbreitung einschränken. Und auf dem ganz normalen Rechtsweg kann der Künstler oder die Künstlerin sich dagegen zur Wehr setzen. Und ganz am Ende kann dann das Bundesverfassungsgericht allen Beteiligten erklären, ob seiner Meinung nach die Gerichte verfassungsrechtlich unproblematisch entschieden haben.

Provokation

Kunst muss nicht politisch korrekt sein, vermutlich kann sie das auch gar nicht. Sie kann, darf und muss provozieren können. Der einkalkulierte oder auch nicht einkalkulierte Skandal gehörte schon immer dazu. Aber die Grenze der Kunstfreiheit ist eben nur da erreicht, wo die Abwägung zu dem Ergebnis kommt, dass das Grundrecht des Künstlers hinter einem Grundrecht einer anderen Person zurückstehen muss.

Der Versuch, die Kunst zu reglementieren, muss scheitern und würde scheitern, wenn jemals jemand auf diese Idee käme. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes hatten gute Gründe, ein staatliches Kunstrichtertum, wie es bei den Nazis bestand, auszuschließen. Ja nicht einmal eine juristische Definition von Kunst ist möglich, da es gerade zu den hervorstechenden Eigenschaften der Kunst gehört, stets neue Ausdrucksformen zu entwickeln. Die Rechtsprechung hat im Laufe der Zeit nur einige ganz grobe Pflöcke eingeschlagen, um sich einem juristischen Kunstbegriff zu nähern.

Der Lebensbereich „Kunst“ ist durch die vom Wesen der Kunst geprägten, ihr allein eigenen Strukturmerkmale zu bestimmen. Von ihnen hat die Auslegung des Kunstbegriffs der Verfassung auszugehen. Das Wesentliche der künstlerischen Betätigung ist die freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden. Alle künstlerische Tätigkeit ist ein Ineinander von bewußten und unbewußten Vorgängen, die rational nicht aufzulösen sind. Beim künstlerischen Schaffen wirken Intuition, Phantasie und Kunstverstand zusammen; es ist primär nicht Mitteilung, sondern Ausdruck und zwar unmittelbarster Ausdruck der individuellen Persönlichkeit des Künstlers. https://openjur.de/u/31670.html

Nun ist nicht alles, was jemand ausdrückt, Kunst. Es kann auch ein Pickel oder ein Haufen Scheiße sein, aber Sie verstehen schon, dass auch das oberste deutsche Gericht sich da schwertut, eine klare Grenze zu ziehen.

Zurück zum Antisemitismus in der Kunst. Den gibt es zweifellos, so wie es ihn zweifellos in der Gesellschaft gibt. Und das nicht nur in Deutschland, sondern vermutlich überall auf der Welt, vielleicht mit Ausnahme von Israel, aber vielleicht auch da. Und nein, wer jetzt meint, es käme eine Relativierung des Skandals, der täuscht sich.

Dieser Antisemitismus, ganz gleich ob rechts, links, arabisch, muslimisch oder weiß der Teufel wie geprägt, gehört bekämpft. Hier und überall. Auch wenn er als Kunst daherkommt, die Grundrechte von anderen verletzt. Das schafft man aber nicht damit, dass man ihn verbietet; denn Verbote machen Verbotenes nur noch interessanter, sondern indem man ihn stellt, ihn benennt und plastisch macht. Das könnte Kunst tun, genauso wie sie das Gegenteil kann. Der Antisemitismus muss aus den Köpfen. Staatliche Eingriffe in die Kunstfreiheit sollten dabei aber Tabu bleiben. Denn wir haben schmerzlich gelernt, was staatliche Kunstkontrolle für die Künstler und die Gesellschaft bedeutet. Das brauchen wir nicht noch einmal.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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