Drogenpolitik: Was gibt’s Neues?
Heute Nachmittag wurde er der Öffentlichkeit präsentiert: der Koalitionsvertrag der Ampel. Ein zwiegespaltenes Urteil zum (kleinen) Kapitel „(Neue) Drogenpolitik“ zieht Kolumnist Henning Hirsch
Heute Nachmittag wurde er der Öffentlichkeit präsentiert – der Koalitionsvertrag der Ampel, der unter dem schönen Namen Mehr Fortschritt wagen ab sofort gelbe Freiheit, rote Gerechtigkeit und grüne Nachhaltigkeit garantieren wird.
Mich interessiert v.a., was zum Thema „Drogen“ drinsteht. Viel ist es nicht. Ganze 9 Zeilen am Ende des Kapitels „Pflege und Gesundheit“ sind es geworden:
Drogenpolitik
Wir führen die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften ein. Dadurch wird die Qualität kontrolliert, die Weitergabe verunreinigter Substanzen verhindert und der Jugendschutz gewährleistet. Das Gesetz evaluieren wir nach vier Jahren auf gesellschaftliche Auswirkungen. Modelle zum Drugchecking und Maßnahmen der Schadensminderung ermöglichen und bauen wir aus.Bei der Alkohol- und Nikotinprävention setzen wir auf verstärkte Aufklärung mit besonderem Fokus auf Kinder, Jugendliche und schwangere Frauen. Wir verschärfen die Regelungen für Marketing und Sponsoring bei Alkohol, Nikotin und Cannabis. Wir messen Regelungen immer wieder an neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen und richten daran Maßnahmen zum Gesundheitsschutz aus.
© Koalitionsvertrag „Mehr Fortschritt wagen“ vom 24. Nov. 2021, S. 88
Beim Vertrieb und Konsum von Cannabis gelten in Zukunft:
▪ Kontrollierte Abgabe (was auch immer das in der Praxis bedeuten mag)
▪ an Erwachsene (klar)
▪ zu Genusszwecken (zu welchem anderen Zweck raucht man sonst einen Joint?)
▪ in lizensierten Geschäften (vermutlich die deutsche Version der niederländischen Coffee Shops).
Lange überfälliger Schritt
Dieser Schritt war lange überfällig. Niemand jenseits der Union und der von ihr jahrelang gestellten Drogenbeauftragten hat jemals verstanden, weshalb Verkauf, Erwerb und Besitz von ein paar Krümeln Marihuana eine Straftat darstellen, während man mit drei Pullen Jägermeister im Gepäck sorgenfrei durch Deutschland spazieren darf. Das Suchtpotenzial von THC ist auch nicht stärker ausgeprägt als das von Alkohol. Dass man als abendlicher Haschpfeifchen-Raucher unweigerlich an der Heroin-Nadel landet, ist ein Schauermärchen bar jeglicher wissenschaftlichen Beweisführung. Die Korrelation Alkohol zu Opiaten ist nicht minder schwer entwickelt. Dass hochgezüchtetes THC jeden Zweiten in den Wahnsinn treibt, stimmt bedingt (in der Realität wird es eher jeder Zwanzigste sein). Speziell beim letzten Einwand stellen Coffee Shops einen medizinischen Fortschritt dar, denn hier darf gentechnisch gepushter Afghane gar nicht verkauft werden. Die lizensierte Abgabe garantiert zweierlei: THC mit gesundheitlich unbedenklichem Wirkstoffgehalt und Entlastung der Strafverfolgungsbehörden, die nun nicht mehr wegen drei Bröseln Nebula Haze zu Hausdurchsuchungen ausrücken müssen.
Die Evaluierung dieser Liberalisierungsmaßnahme nach vier Jahren ist vernünftig.
Beim Alkohol wird nach wie vor rumgeeiert
Während die Ampel-Koalition beim Thema Cannabis tatsächlich gemäß ihrem Motto „Mehr Fortschritt wagen“ verfährt, eiert sie beim Volkskiller Nr. 1, dem Alkohol, rum:
▪ Verstärkte Aufklärung (als ob es davon in der Vergangenheit zu wenig gegeben hätte)
▪ mit besonderem Fokus auf Kinder, Jugendliche und schwangere Frauen (warum das Augenmerk nicht ebenfalls auf erwachsene Männer – die den Löwenanteil bei den Alkoholikern stellen – richten?)
▪ Wir verschärfen die Regelungen für Marketing und Sponsoring (da bin ich ja mal gespannt, wie schnell der Vorhang für Bitburger und Krombacher bei der Sportschau fällt. Meine Prognose: das werde ich zu Lebzeiten nicht mehr erleben).
Kurz zur Erinnerung:
• Neun bis zehn Millionen Menschen in Deutschland konsumieren Alkohol in riskanter und gefährlicher Weise (davon zwei Drittel Männer und ein Drittel Frauen), von denen 1,5 bis zwei Millionen als alkoholabhängig anzusehen sind.
• Eine psychische oder verhaltensbezogene Störung durch Alkohol wurde im Jahr 2019 als dritthäufigste Einzeldiagnose in Krankenhäusern mit knapp 300.000 Behandlungsfällen diagnostiziert (davon 100000 mit akuter Alkoholvergiftung).
• Alkohol stellt nach Nikotin und Bluthochdruck das dritthöchste Risiko für Krankheit und vorzeitigen Tod in den westlichen Industrieländern dar.
• Jeder vierte Mann in Deutschland, der im Alter zwischen 35 und 65 Jahren stirbt, tut dies aufgrund der Folgen übermäßigen Alkoholkonsums.
• Analysen gehen für Deutschland von jährlich 74.000 Todesfällen, bedingt durch den kombinierten Konsum von Alkohol und Tabak aus (hierin gemäß Schätzungen 45.000 Tote durch Alkohol alleine). Nicht berücksichtigt ist jedoch die weitaus größere Zahl an Krebserkrankungen mit tödlichem Ausgang, die durch Alkoholmissbrauch (mit-) verursacht werden.
Zum Vergleich: Tote durch Nuckeln am Joint = 0.
Notwendige Maßnahmen, die leider niemand ergreifen will
Vorschläge, um den chronisch überbordenden Konsum von Karlskrone und Meckstädter Doppelkorn einzudämmen. gibt es einige. Die sinnvollsten lauten:
1. Erhöhung der Preise (der Stoff ist bei uns definitiv zu billig)
2. Heraufsetzung des Bezugsalters (keine Alkopops, kein Bier an Minderjährige)
3. Ausdünnung der Verkaufsstellen (was um Himmels willen hat Wodka in den Regalen von Tankstellen zu suchen?)
4. keine Abgabe nach 22 Uhr (mit Ausnahmeregelung für Clubs)
5. konsumfreie Räume (z. B. ÖPNV, öffentliche Plätze)
6. keine Werbung in TV, Radio, Printmedien, auf Plakatwänden und Trikots von Sportvereinen u. Ä.
7. Promillegrenze Nullkommanull am Steuer (erspart die lästige Rechnerei nach dem zweiten Weihnachtsmarkt-Rumpunsch).
So lange Bier und Hochprozentiges bei uns verniedlichend als Kulturdroge eingestuft werden und Politiker – egal, welcher Partei sie angehören – das Thema meiden wie der Säufer den Gang in die Suchtberatung, weil sie abrupten Liebesentzug ihrer Wähler befürchten, sobald sie Forderungen zur Erschwernis des Erwerbs aufstellen, wird sich am mitteleuropäischen Alkohol-Elend nichts großartig ändern. Wir werden weiterhin knapp elf Liter Reinalkohol (pro Kopf und Jahr) in uns reinschütten und jedes Jahr einige zehntausend Schnapsdrosseln aufgrund geplatzter Lebern zu Grabe tragen, bevor wir eine Stunde später beim geselligen Leichenschmaus mit Piccolöchen und Lakritzlikör auf den Verstorbenen anstoßen.
Zwiegespaltenes Urteil
Die „neue“ Drogenpolitik muss deshalb zweigeteilt beurteilt werden: bei der Legalisierung von Cannabis bedeutet sie einen wirklichen Fortschritt: Konsumenten und entlastete Polizeireviere werden danken. Und natürlich freut sich ebenfalls der neue Finanzminister über prognostizierte 5 Mrd. Euro Steuereinnahmen, die durch den Verkauf in staatlich lizensierten Shops in die Staatskasse sprudeln werden.
Beim Alkohol ist die Beibehaltung des Status quo hingegen als Rückschritt zu werten. Fortschrittlich wäre es hier gewesen, sich die Ratschläge der Weltgesundheitsorganisation zu Herzen zu nehmen und zum einen die Preise zu erhöhen und zum anderen die Anzahl der Verkaufsstellen auszudünnen. Aber dass solche Maßnahmen in einer notorischen Trinkernation wie unserer ergriffen werden, ist genauso wahrscheinlich wie ein Junggesellen:innen-Abschied, der ohne Kotzen in fremde Toiletten zu Ende geht.
Unterm Strich überwiegt beim Kolumnisten allerdings die Erleichterung, dass beim jahrzehntelangen Reiz- und Streitthema „Lasst uns abends gemeinsam ein Pfeifchen rauchen“ endlich Augenmaß und Ruhe einkehren.
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