Selbstironische Zwangsgedanken rund um (Un?)Sag- und Machbares. Billers „Der falsche Gruß“.
Maxim Billers neuer Roman ist eine klug konstruierte Erzählung, die kräftig austeilt, sich aber dabei selbst nicht zu ernst nimmt, findet Literaturkolumnist Sören Heim.
Ich habe mich zuletzt gleich zweimal über schlechte Formen dieser “Alter Mann heult über moderne Welt”-Romane pseudo-houellebecqscher Prägung beschwert. Zum Glück gibt es Maxim Biller, der zeigt, dass man sich dem Thema auch mit Witz und Niveau annehmen kann. Ja, Biller. Und ja, das ist kein Witz.
Kurz und gebrochen
OK zugegeben, Billers Der falsche Gruß ist höchstens in den erweiterten Kreis dieser Texttypen aufzunehmen. Sein frustrierter Mann, Erck Dessauer, ist noch relativ jung, Sex spielt eine etwas reduziertere Rolle und die Auseinandersetzung mit politischer Korrektheit und verwandten Themen ist klüger eingefädelt, spezifischer und dabei zugleich gebrochener als in den zuletzt von mir sehr negativ besprochenen Texten. Nebenbei: Der Text ist sehr kurz, gerade etwa 100 Seiten. Und erzählt darauf doch so viel mehr als die 300 Seiten Strunk oder Beigbeder.
Alles beginnt damit, dass der Protagonist, mittlerweile selbst ein halbwegs erfolgreicher Autor, vor dem polarisierenden Schriftsteller Ulrich Barsilay eines nachts während eines gedämpften Wutausbruchs einen verdrucksten Hitlergruß macht, vor sich selbst erschrickt und „flieht“. Auf dem Heimweg kauft er sich noch eine Flasche teuren Schnaps und verfängt sich in hysterischen Gedankenkreisen, wie nun seine Karriere zu ihrem Ende kommen würde. Wenn es nicht sowieso jemand mitgekommen hätte, würde doch in jedem Fall Barsilay diesen Ausbruch gegen ihn verwenden; der will ihn doch sowieso aus dem Verlag herausdrängen, da beide derzeit an einem ganz ähnlichen Buchprojekt schreiben.
An diesen kreisenden Zwangsgedanken ist die Erzählung an mindestens zwei weiteren Zeitsträngen aufgehängt. Wir erfahren in einer relativ chronologischen Rückblende, die nicht als solche auftritt, sondern wie eine Erzählung von früher wirkt, von der Zeit Dessauers als junger Student, als dieser erstmals auf Barsilay traf, der ihm riet, das Studium abzubrechen. Also sucht Dessauer, gerade auf dem Weg, seine Magisterarbeit abzugeben, Streit mit seinem Dozenten, der ihn daraufhin als „roten Nazi“ bezeichnet und rauswirft. Mission erfüllt. Es gereicht Dessauer nicht wirklich zum Nachteil; mit provokativen Kritiken fasst er Fuß in der Welt der Zeitungen. Was er mitnimmt, ist allerdings dieses paranoide Gefühl, Barsilay wolle sich in sein Leben einmischen und eine masturbatorische Obsession mit dessen attraktiver junger Ex-Freundin.
Barsilay, erfahren wir, ist selbst ein noch provokativerer Schriftsteller als Dessauer. Sein Werk „Meine Leute“ hat die Republik erschüttert. Dabei scheint Barsilay so etwas zu sein wie ein kultivierterer Henryk Broder mit einem etwas antiquierteren Sinn für Ästhetik, der als jüdischer Autor nicht nur den Mythos der deutschen Wiedergutwerdung und das rituelle Gedenken lächerlich macht, sondern auch die Wiedervereinigung wie eine Art Kolonialverbrechen behandelt. Dessauer, selbst eher ein moderner Links-bürgerlicher, der natürlich auch, wie die meisten Exemplare dieser Gattung, gern einmal auf Israel schimpft, hasst und bewundert diesen Typen gleichermaßen.
Von Unsympath zu Unsympath
Man sieht: Diese Konstruktion verleiht vielen der auch in diesem Roman verwendeten Versatzstücke ein ganz anderes literarisches Gewicht. Der Protagonist hat etwas „verbrochen“, wofür man durchaus auf die Finger bekommen kann und das wäre dann auch nicht unberechtigt, wobei man es durchaus problematisch finden könnte, wenn für diesen Ausbruch, der tatsächlich für das Gegenteil dessen steht, was den Protagonisten ansonsten ausmacht, die Karriere im Eimer wäre. Aber ist die im Eimer?
Eigentlich sind wir über den ganzen Text mit der Paranoia und den Rückblicken allein, während wir wissen, dass ein anderer, der die Klaviatur der Provokationen sehr viel besser zu spielen weiß damit bisher große Karriere gemacht hat. Und eigentlich, mag man sich denken, wenn man weniger auf Symbole als auf dauerhafte Einstellungen und Handlungen schaut, ist der habituelle Anti-Israelismus des Protagonisten, der an manchen Stellen zum Durchbruch kommt, nicht womöglich die ernsthaftere antisemitische Handlung als der Versuch von Unsympath zu Unsympath, den erfolgreicheren Unsympathen mit dem zu provozieren, was diesen vielleicht am ehesten provozieren würde? (Allerdings: Das tut es eben nicht, der verdruckste Hitlergruß prallt an Barsilay ab, vielleicht erkennt er ihn noch nicht einmal, denn Dessauer ist sich gar nicht so sicher, wie hoch er die Hand wirklich gehoben hat…).
Kurz: Biller gelingt es auf wirklich witzige Weise, mit Erwartungshaltungen zu spielen und den Lesern Empathie für gleich zwei Menschen abzunötigen, für die man die vielleicht eigentlich gar nicht fühlen möchte.
Ach ja: vielleicht ist es auch noch der Erwähnung wert, dass Barsilay zuletzt ein weiteres erfolgreiches Buch geschrieben hat. Es ist eine Art sexueller Schlüsselroman über seine Ex-Freundin, gegen den die in allen Instanzen erfolgreich geklagt hat. Ich denke, das dürfte uns alle an jemanden erinnern? Und Der falsche Gruß hat dabei die Stirn, konsequent Partei für die Ex-Freundin zu ergreifen und gar nicht erst zu versuchen, das Buch, Esra, … nein, Verzeihung, es heißt natürlich „Lustlos“ zu verteidigen. Das ist ein metafiktionaler Kniff, den ich durchaus noch etwas gewitzter finde als Houellebecqs Selbstermordung in Karte und Gebiet.
Schreibe einen Kommentar