Juden schützen – jetzt!

Es reicht nicht, schöne Reden zu halten. Juden in Deutschland brauchen den Schutz der Staatsgewalt. Eine Kolumne von Heinrich Schmitz


Bild von Mabel Amber, who will one day auf Pixabay

Kaum waren die ersten Raketen aus dem Gaza-Streifen auf Israel niedergegangen, formierten sich Antisemiten in Deutschland. Sie verbrannten israelische Flaggen, warfen Steine auf jüdische Einrichtungen und skandierten „Scheißjuden“ vor der Synagoge in Gelsenkirchen.

Nun ist Antisemitismus in Deutschland nicht gerade eine neue Entwicklung und trotz aller Aufarbeitung der deutschen Nazigeschichte nie verschwunden, dennoch macht es sprachlos, wie wenig Engagement der Staat hier aufbringt, um den offen gelebten Judenhass in die Schranken zu weisen.

Verurteilen

Frank-Walter Steinmeier ist ein netter Kerl und als Bundespräsident das Staatsoberhaupt Deutschlands. Allerdings ist seine Machtbefugnis begrenzt, und wenn er antisemitische Straftaten „verurteilt“, dann sind das halt nur warme Worte und leider nicht mit strafrechtlichen Verurteilungen zu vergleichen. Die aber bräuchte es, um Szenen wie vor der Gelsenkirchener Synagoge künftig zu verhindern.

Da stehen schreiende Judenhasser unmittelbar vor einer Kette von Polizeibeamten und schreien nicht etwa, wie zunächst im Spiegel zu lesen war, „antiisraelische Parolen“, nein sie schreien antisemitische Parolen. Und was machen die Polizeibeamten – richtig, sie machen nichts. Greifen keinen aus der Menge, nehmen niemanden vorläufig fest, hauen nicht mal einem aufs Maul, was sonst ganz schnell passiert, wenn mal jemand Scheißbulle ruft, sie stehen da und tun nichts. Zur Begründung wird darauf verwiesen, man habe zunächst zu wenige Beamte vor Ort gehabt und sich mit den wenigen darauf konzentrieren müssen, den Eingang der Synagoge zu schützen. Als die Verstärkung angekommen sei, habe die nicht angemeldete „Demonstration“ sich bereits begonnen aufzulösen. Tja, kammer nix maache. Shit happens.

Polizeiversagen

Ja nun. Dass der aus mehreren Quellen sprudelnde Antisemitismus sich vor einer Synagoge entladen könnte, konnte mal wieder niemand bei der Polizei ahnen. Wie denn auch? Von Anschlägen auf Synagogen in Deutschland haben die vermutlich noch nie was gehört. Dabei braut sich da mittlerweile ein gefährlicher Mix aus alten und neuen rechten Antisemiten, linken antisemitischen Hamasfans und last but not least aus islamistischen, hiesigen und zugereisten Antisemiten zusammen, die zwar sonst nicht viel mit einander gemeinsam haben, die aber der Hass auf Juden eint. Davon könnte doch auch die Polizei schon mal was gehört haben.

Angst

Es darf nicht – leider kann es aber immer noch – sein, dass jüdische Mitbürger in Deutschland Angst um ihr Leben und ihre körperliche Unversehrtheit haben müssen. Die haben hier leider keinen Iron Dome, der sie wenigstens zum erheblichen Teil vor extremistischen Angriffen schützt. Und sie haben keine Luftwaffe, die die Terrornester in der Nachbarschaft halbwegs zuverlässig wegbombt.

Die müssen sich darauf verlassen und auch darauf verlassen können, das der Inhaber des Gewaltmonopols sie und ihre Einrichtungen effektiv schützt. Und das geht halt nur, wenn solche Straftaten verfolgt und letztlich auch abgeurteilt werden. Die blödsinnige Behauptung, diese Demos seien Ausdruck einer Kritik an irgendwelchen Maßnahmen des Staates Israel, verfängt keine Sekunde. Was haben hier lebende deutsche Juden denn für eine Verantwortung für angebliches Fehlverhalten eines anderen Staats? Nee, hier geht es nicht um Kritik, hier geht es um Hass und Vernichtungslust. Da wird von Mohammeds Armee geträumt, die den verhassten Judenstaat wegfegt, andere träumen von der Wiedereröffnung der Gaskammern (Sie erinnern sich. „Hamas, Hamas, Juden ins Gas“), und die Vertreter der Staatsmacht stehen ganz ruhig da und sind vermutlich auch noch stolz auf ihre gelungene Deeskalation.

„Judenhass – ganz gleich von wem – wollen und werden wir in unserem Land nicht dulden“, sagte Steinmeier der „Bild“-Zeitung. Aber genau das tun wir. Nach jeder antisemitischen Sauerei gibt es ein paar Sonntagsreden und Empörung. Dann wird es wieder etwas ruhiger und das Thema verschwindet aus Wahrnehmung der Öffentlichkeit. Aber es verschwindet eben weder real noch aus den Köpfen meiner jüdischen Freunde und Bekannten. Wer traut sich denn noch mit Kippa auf die Straße?

Tun, nicht labern

Ja klar, friedliche Lösungen sind was Schönes und wir können auch gerne einen Stuhlkreis bilden und mit Kerzen in der Hand die Lieder der Friedensbewegung trällern. Wir können aber genauso gut in der Nase bohren und so tun, als ginge uns das alles gar nichts an. Tut es aber. Jeden von uns und insbesondere Polizei und Justiz. Hier muss es Ermittlungsverfahren, Verurteilungen, Strafvollzug und ggf. auch Abschiebungen hageln, bis selbst dem letzten Antisemiten klar geworden ist, dass er in Deutschland keine Schnitte mehr bekommt. Rechtlich geht das alles. Wir brauchen keine neuen Gesetze. Was wir brauchen, ist die Umsetzung der vorhandenen Gesetze. Jetzt.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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