Der tote Prinz und die Menschenwürde
Prinz Philip war noch nicht kalt, da gab es schon Reaktionen im Internet, die unseren Kolumnisten veranlassen, auf die Bedeutung der Menschenwürde hinzuweisen. Eine Kolumne von Heinrich Schmitz
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Im Radio, bei meinem Lieblingssender WDR5, hörte ich die Nachricht vom Tode Prinz Philips. Ich mochte den Mann, nicht nur wegen seines mitunter tiefschwarzen, schrägen Humors, sondern auch wegen seiner Disziplin, sein Leben lang in der Öffentlichkeit ein paar Schritte hinter seiner Frau herzugehen, ohne sich öffentlich darüber zu mokieren. Was die Royals so zuhause gemacht haben, weiß ich nicht, aber ich glaube, dass die viel mehr Spaß hatten, als man so von Außen vermutet. Egal, darum geht es hier nicht.
Kurz nach der Nachricht schaute ich mal bei Facebook rein und stieß auf folgenden Kommentar:
Arkadius Stosur
Ich möchte keineswegs pietätlos erscheinen, jeder Mensch verdient einen gewissen Grundrespekt. Aber was hat dieser Mann der Welt für einen Mehrwert gebracht? Paar billige TV-Aufritte und ein, zwei Wohltätiskeitsveranstaltungen? Ich bin der Meinung er und seinesgleichen haben der Welt mehr genommen, als sie ihr je hätten bieten können.
Nun kenne ich weder Arkadius Stosur noch interessiert mich, was dieser Mensch so meint, aber die Frage nach dem Mehrwert eines Menschen darf einfach nicht unbeantwortet bleiben.
Unsere Verfassung hat gleich vorweg einmal klargestellt, dass Menschen eben nicht nach irgendeinem Nutzwert beurteilt werden dürfen.
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
Art 1
(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.
Wer Menschen nach ihrem „Mehrwert“ für die Welt beurteilt – für wen oder was eigentlich und nach welchen Kriterien? – hat dieses grundlegende Prinzip offenbar nicht verstanden.
Selbstzweck
Der Mensch ist eben nicht auf einen Zweck reduziert, er ist selbst Zweck. Von Geburt an. Selbstzweck. Die Menschenwürde hat jeder Mensch, ganz gleich, ob er etwas kann, ob er etwas leistet, ob er ein Arschloch oder ein Heiliger, ob er ein Einheimischer oder ein Flüchtling, ob er ein Demokrat oder ein Nazi, ob er ein Wissenschaftler oder ein Schwurbler, ein Verbrecher oder ein Wohltäter ist. Die Menschenwürde ist einfach da. Die muss man sich nicht verdienen und die wird einem auch nicht verliehen und was noch viel wichtiger ist: sie kann niemandem entzogen werden. Niemals, unter keinen Umständen. Wer meint, jemand habe seine Menschenwürde „verwirkt“, bei dem stimmt was im Kopf nicht.
Nun sagt Art. 1 GG aber nicht nur, dass die Würde des Menschen unantastbar ist, sondern er verlangt auch, dass alle staatliche Gewalt diese Würde zu achten und zu schützen hat. Und da gibt es natürlich unterschiedliche Auffassungen, wie das zu geschehen hat.
Rummenigge
Wenn Karl-Heinz Rummenigge meint, die Menschenwürde sei verletzt, weil Spieler des FC Bayern in der Presseberichterstattung kritisiert wurden, dann ist das grober Unfug. Es gibt Meinungs- und Pressefreiheit und der FC Bayern steht nicht über dem Gesetz, auch wenn er in der Tabelle über allen anderen schwebt. Wenn aber z.B. Flüchtlinge bereits an der Grenze abgewiesen werden sollen, dann sieht das schon anders aus.
Es ist auch keine Verletzung der Menschenwürde, wenn Straftätern durch ein Gerichtsurteil die Freiheit entzogen wird. Allerdings muss der Strafvollzug dann auch unter menschenwürdigen Bedingungen ablaufen und der Staat muss darauf acht geben, dass nicht nur Leib und Leben der Gefangenen im Knast nicht gefährdet werden, sondern auch bestimmte Standards im Hinblick auf die Größe von Hafträumen, die Ernährung und Resozialisierungsangebote und soziale Kontakte eingehalten werden.
Selbst bei lebenslangen Haftstrafen muss der Verurteilte zumindest die Hoffnung haben dürfen, irgendwann einmal den Rest seines Lebens in Freiheit verbringen zu dürfen, sofern er denn keine Gefahr für andere mehr darstellt. Gleiches gilt für Menschen, die im Maßregelvollzug sitzen, weil sie als Schuldunfähige oder vermindert Schuldfähige dort eingesperrt wurden.
Und das gilt auch für Menschen, die öffentliche Leistungen beziehen, seien es Renten- Sozial- oder Hartz IV-Leistungen. Die müssen alle ein menschenwürdiges Leben führen können. Art. 1 GG garantiert zwar kein Leben in Saus und Braus, aber er garantiert, dass man nicht nur überlebt, sondern auch am öffentlichen Leben teilnehmen kann.
Coronaregeln
Ja, rufen nun die Coronageschädigten. Wir wollen aber auch wieder am öffentlichen Leben teilnehmen. Wir wollen shoppen, poppen und Party machen, verkaufen, saufen und nachts herumlaufen. Und ja, in der Pandemie wurden und werden Freiheitsrechte zum Teil massiv eingeschränkt. Sie werden allerdings meist nicht in verfassungswidriger Weise verletzt, sondern auf der Basis von Gesetzen eingeschränkt. Das ist nicht nur möglich, es ist auch immer da geboten, wo es nötig ist. Und das ist schon in Artikel 2 GG ausdrücklich vorgesehen:
Art 2
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
Die Tatsache, dass nur aufgrund eines Gesetzes in die Freiheitsrechte eingegriffen werden darf, bedeutet ja gerade, dass in diese Rechte eingegriffen werden darf. Allerdings halt nur, sofern das erforderlich ist. Und ob das erforderlich ist, überprüft wiederum das Bundesverfassungsgericht. Es gibt also keinen Grund, sich in einer „Merkel-Diktatur“ zu wähnen.
Die Coronabeschränkungen haben bisher der Prüfung des BVerfG standgehalten. Das wird aber nur solange der Fall sein, wie sie erforderlich sind, um die Pandemie in den Griff zu bekommen. Sie sind für jeden Einzelnen hart und auch ich würde gerne mal wieder mit Freunden feiern oder auch nur in der Stadt einen Kaffee trinken gehen. Das geht zur Zeit nicht und es wird auch noch länger so bleiben. Es gibt zwar die zur Menschenwürde gehörende Freiheit, sich selbst zu gefährden und sogar zu töten, allerdings gilt das nicht für andere. Die darf man weder gefährden geschweige denn töten.
Geimpft
Mag sein, dass die Geimpften früher wieder normal leben dürfen werden als die Ungeimpften. Wenn die Geimpften niemanden mehr anstecken können – was noch nicht erwiesen ist – und sich selbst nicht infizieren können, gibt es keinen Grund mehr, sie einzuschränken. Bis dahin müssen die Beschränkungen aufrecht erhalten oder gar – meine persönliche Meinung – sogar noch verschärft werden. Aber auch damit wird niemandem die Menschenwürde genommen. Und auch durch die Strafen, die es bei Nichteinhaltung der Coronaregeln gibt, verliert niemand seine Menschenwürde. Käme ja auch keiner auf die Idee, er habe nun seine Menschenwürde verloren, weil er dafür bestraft wird, dass er im Suff Auto gefahren ist oder seine Frau erschlagen hat.
Der alte Kant hat das mit der Würde jedes einzelnen Menschen in den kategorischen Imperativ gepackt:
Handle so, dass du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.
Eigentlich ganz einfach. Ein Satz, der alles enthält, was man wissen muss zum Thema Menschenwürde.
Ich kann nicht ausschließen, dass ich Herrn Stosur hier bitter Unrecht tue, vielleicht habe ich ihn auch einfach nur missverstanden oder er hat sich unglücklich ausgedrückt, denn selbstverständlich ist die Frage gestattet, ob Prinz Philipp etwas Besonderes für die Menschheit geleistet hat, oder auch Herr Stosur. Kann ich beides nicht beurteilen. Ist auch nicht meine Aufgabe. Diese Frage nun ausgerechnet am Todestag eines Menschen zu stellen, ist aber mindestens genau das, als was Herr Stosur nicht erscheinen möchte – pietätlos. Vielleicht denkt er ja mal drüber nach, falls er das liest. Falls nicht, ist es mir auch egal.