Sollen Schriftsteller rezensieren?
Wer als Autor rezensiert, macht sich womöglich leicht Feinde. Doch wenig schärft den Blick für künstlerische Form besser als die öffentliche Auseinandersetzung mit Kunst. Kolumne von Sören Heim.
Sollen Schriftsteller rezensieren? Die Frage hat vor längerer Zeit Alessandra Ress mit Blick auf das Feld der fantastischen Literatur aufgeworfen. Im Zentrum standen vor allem nachvollziehbare pragmatische Erwägungen; etwa: Innerhalb der deutschsprachigen Genreliteratur kennen sich rasch alle Autoren: Da könnte man Leuten auf die Füße treten. Oder: Haftet Rezensionen zu Werken von Freunden oder Bekannten nicht am Ende der Ruch der Auftragsarbeit an? Und andererseits: Wenn ich mit solchen Freunden total ehrlich bin … wie lange habe ich dann noch Freunde? (Ich spitze natürlich zu).
Das „Beziehungs-Problem“ gilt für den Markt als Ganzes
Ich möchte die pragmatischen Erwägungen mal weitgehend beiseite schieben (hier muss wohl sowieso jedeR einen eigenen gangbaren Weg finden), jedoch noch eine Kleinigkeit: Der Literaturbetrieb ist insgesamt wahrscheinlich kaum weniger verwickelt als die Sparte der Fantastik. Allein ich habe auf vier Rezensionen (von denen eine definitiv nicht von mehr als fünf Personen gelesen wurde!) Rückmeldungen der Autoren bekommen (übrigens auch auf kritische Besprechungen positive Rückmeldungen) … Dennoch überlegt man da bei der nächsten scharfen Formulierung natürlich zweimal. Auch ich will niemanden verletzen, und ich weiß, dass Kritik am Text berühren kann, als ginge sie tatsächlich gegen die Person. Aber letztlich waren Rückmeldungen auch immer: Lieber begründete, auch scharfe, Kritik, als die hundertste Jubelrezension von jemandem, der/die das Werk nur oberflächlich behandelt. Und trotzdem frage ich mich öfter, ob mir die meist kaum vermeidbaren Buchpreis-Verrisse nicht schon die ein oder andere Tür im Literaturbetrieb zugeschlagen haben.
Lassen wir jedoch die taktischen Erwägungen und fragen nach dem größeren, dem ästhetischen Imperativ. Sollen Schriftsteller als Schriftsteller rezensieren? Die Empirie sagt „ja“: Goethe besprach Freunde und Feinde, Schiller besprach gar den größten Feind: sich selbst (hier nachzulesen die kritische Räuber-Rezension), Pynchon bespricht Rushdie, Rushdie Roy, Orwell besprach Kipling und Karl Krauss besprach alle.
Die Rezension als Arbeit am eigenen Werk
Autoren, die mehr sein wollen als bloße Einfälle-Aufschreiber, leben ja sowieso in einem konstanten Modus des Rezensierens. Wie anders soll ich eine Vorstellung von Kunst entwickeln als in der andauernden kritischen Auseinandersetzung mit Kunstwerken? Sicher, der/die MeisterIn, die noch nie ein belletristisches Werk gelesen hat, geschweige denn sich kritisch über eines Gedanken gemacht, mag alle 100 Jahre vom Himmel fallen. Doch normalerweise ist der Weg zum Werk ein konstantes Ringen mit den eigenen Unzulänglichkeiten, den genialen Lösungen anderer, und auch den Unzulänglichkeiten anderer. Und zumindest ab dem zweiten Werk findet Selbstkritik wohl immer statt. Wenn ich den Finger darauf legen kann, warum To The Lighthouse trotz scheinbarer Unwuchten als Werk so wunderbar funktioniert, während The Waves immer eine Spielerei für Akademiker bleiben wird, komme ich vielleicht auch mit dem eigenen Schaffen weiter.
Die Frage wäre also nicht so sehr: Sollen Autoren rezensieren? Sondern: Sollen sie das dann auch veröffentlichen? Ich plädiere, wiederum um der Ästhetik willen, für „ja“. Denn erst die Öffentlichkeit stellt den eigenen Gedanken wirklich auf die Probe. Im Stillen Kämmerlein ist es gemütlich radikal über Kunst nachdenken. Doch wenn ich mich nicht traue, meine Gedanken zu einem Werk in die Welt zu entlassen – vielleicht sind sie dann ja gar nicht so zwingend?
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