Die Rückkehr der Grinsekatze

Studierende behinderten eine Lehrveranstaltung des AfD-Mitgründers Bernd Lucke und erzwangen den Abbruch der Veranstaltung. Eine berechtigte Aktion?


Bild von Bonnie Taylor auf Pixabay

Bernd Lucke hat es nicht leicht. Der Mitgründer der AfD kehrte als Professor zurück an die Uni Hamburg und wurde gleich einmal daran gehindert, seine erste Vorlesung nach seinem kläglich gescheiterten Versuch in der Politik abzuhalten. „Nie, nie, nie wieder Lucke“ oder auch „Nazischweine raus der Uni“, tönte es ihm entgegen. Er wurde mit Papierkügelchen beworfen und niedergebrüllt. Das war nun mit Sicherheit keine besonders kluge Aktion. Aber daraus nun

einen linksextremen Angriff auf die Meinungsfreiheit, der nicht auf den Widerstand stößt, den er in einer demokratischen Gesellschaft entfachen sollte.“

zu machen, wie dies Filipp Piatov z.B. in BILD macht , ist dann doch ein wenig zu viel des Guten.

Dass es sich bei den Studierenden – waren das nun überhaupt alles Studierende? -, die Luckes Vorlesung störten und damit letztlich verhinderten, ausschließlich um Linksextremisten gehandelt hat, wird man kaum beweisen können. Das ist auch nicht sehr wahrscheinlich. Dass es ein Angriff auf die Meinungsfreiheit gewesen sein soll, ist ebenfalls so nicht richtig, es handelt sich vielmehr um einen eher kleinen Angriff auf die grundgesetzlich geschützte Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre. Und dass die Aktion nicht auf Widerstand in der demokratischen Gesellschaft stößt, ist ebenfalls unzutreffend. Es gibt kaum einen Kommentator, der die Aktion nicht wenigstens etwas kritisiert. Selbst ich tue das. Man sollte es aber auch nicht übertreiben. Wer behauptet, mit Lucke sei umgegangen worden wie mit jüdischen Wissenschaftlern im Dritten Reich, der hat sie nicht mehr alle und verharmlost in unverantwortlicher Weise den Nationalsozialismus.

Hyperventilation

Es ist in den Zeiten der neuen Äquidistanz – ja, genau darauf führe ich die teilweise hyperventilierenden Kommentare zurück – mittlerweile Usus geworden, jedes aufmüpfige Verhalten von jungen Leuten als linksextremistischen Angriff zu brandmarken, von dem man sich dann angeblich ebenso abgrenzen müsste, wie von rechtsextremistischen Bestrebungen. Die Aktion der Studenten wurde tatsächlich mit dem Terror der Nazis verglichen. Vielleicht geht es ja auch einmal eine Nummer kleiner.

Spätestens seit der 68er-Bewegung waren Vorlesungen bestimmter Professoren immer wieder ein beliebter Ort für studentische Aktionen. Studenten waren früher einmal politisch aktive, streitbare Bürger und das ist grundsätzlich zu begrüßen. Zwischenzeitlich war das politische Engagement  durch die Verschulung des Studiums ein wenig der privaten Karriereplanung zum Opfer gefallen. Aber spätestens seit die Schüler sich wieder politisch betätigen, tun das auch die Studenten wieder. Dass die Störung einer Vorlesung, die für die älteren Akademiker unter uns nichts besonders aufregendes Neues ist, heute als offenbar staatsgefährdende Aktion eingestuft wird, wirkt eher erheiternd.

Lucke wurde weder mit Tomaten noch mit faulen Eiern beworfen, sondern mit Papierkugeln. Er wurde wohl angerempelt, aber nicht körperlich verletzt. Er wurde lediglich für ca. zwei Stunden daran gehindert, seine Arbeit zu machen. Wie man hört, wurden die sich anschließenden Lehrveranstaltungen Luckes ohne Störung durchgeführt.

Die Behauptung,

Das Ziel ist klar: Mit freundlicher Unterstützung der Antifa will der AStA die Lehre an seiner Universität ideologisch auf Kurs bringen.

ist reine Spekulation. Auf welche Linie denn und wieso „die Lehre“?

Die vom AStA lange vorher angemeldete Demonstration vor der Uni war ein völlig legitimer Akt. Man darf auch gegen unliebsame Professoren demonstrieren. Dass vor oder bei dieser Demonstration dazu aufgerufen worden wäre, im Hörsaal die Vorlesung zu stören, konnte ich an keiner Stelle verifizieren. Dass bei der Aktion auch ein paar „Antifa-Fahnen“ geschwenkt wurden, besagt nicht mehr und nicht weniger, als dass die Fahnenschwenker sich als Antifaschisten begreifen, keineswegs aber dass sie die Universität „ideologisch auf Kurs“ bringen wollen.

Büchse der Pandora

Dass die Aktion sich ausgerechnet gegen Bernd Lucke richtete – und nicht etwa explizit gegen die Universität oder die Freiheit der Lehre – ist aus der Sicht antifaschistisch denkender Menschen durchaus nachvollziehbar. Denn dieser Bernd Lucke hat die Büchse der Pandora geöffnet, indem er nach der Gründung seiner AfD, ganz gezielt Faschisten angesprochen hat, um möglichst viele Stimmen zu generieren. Es ist Luckes trauriges Verdienst, den Rechtsextremen die Tür weit aufgestoßen zu haben.

Ja, der nette Herr Lucke, mit der akkuraten Frisur und dem putzigen Pullunder, der die eurokritische „Professorenpartei“ ins Leben rief, hatte, solange er bei der AfD noch als nützlicher Idiot gelitten war, keine Hemmungen z.B. gezielt auch um die Stimmen der NPD zu buhlen.

Selbstverständlich ist das nur eine Erklärung und keineswegs eine Rechtfertigung etwa für Gewalt gegen Lucke. Lucke soll bei der Vorlesung „bedrängt“ und „gerempelt“ worden sein. Bereits das ist Mist, auch wenn es noch nicht zwingend eine Straftat ist.

Die Freiheit der Wissenschaft, Forschung und Lehre, ist ein hohes Verfassungsgut. Art. 5 Abs. 3 GG sagt es ganz klar

(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

Art. 5 Abs. 3 GG schützt nicht eine bestimmte Auffassung von Wissenschaft. Der Wissenschaftsfreiheit folgt vielmehr aus dem Grundgedanken, dass eine Wissenschaft, die frei von gesellschaftlichen und politischen Nützlichkeitserwägungen ist und sich anhand immer wieder neuer Fragestellungen weiterentwickelt, Staat und Gesellschaft im Ergebnis am besten dient. Dem Wissenschaftler wird ein Schutz seiner Tätigkeit vor Beeinflussung gewährt. Damit ist insbesondere staatliche Beeinflussung gemeint, aber nicht nur. Der Staat muss nicht nur nicht eingreifen, sondern ganz gezielt die Bedingung einer freien Wissenschaft sicherstellen, also in deren Sinne aktiv werden, z.B. indem finanzielle Mittel und Personal bereitgestellt und organisatorische Maßnahmen getroffen werden, die die Freiheit der Wissenschaft sicherstellen. Diesen Schutz genießt selbstverständlich auch der Professor Lucke.

Dazu kann auch der Schutz einer Vorlesung gehören. An diesem Punkt ist die Hochschulleitung gefordert, wirksame Maßnahmen zu ergreifen, damit sich derartige Störungen künftig nicht wiederholen. Es reicht eben nicht aus, im Nachhinein ziemlich aussichtslose Strafanzeigen zu erstatten. Vielmehr muss bei entsprechenden Hinweisen für ausreichend Ordnungskräfte gesorgt werden, damit auch Herr Lucke seine Vorlesungen abhalten kann.

Allerdings hat kein Professor einen Anspruch darauf, dass sich auch Hörer in seine Vorlesung begeben. Und ja, Lucke mag nun so tun, als habe er an der Tatsache, dass nun Rassisten und Antisemiten im Bundestag und in den Landtagen sitzen, keinen Anteil. Genau den hat er aber. Ohne Lucke gäbe es die AfD nicht.

Bodensatz

Und wer Sätze wie

Das Problem sind eher Randgruppen wie Sinti und Roma, die leider in großer Zahl kommen und nicht gut integrationsfähig sind“

sagt (2014), äußert sich eindeutig rassistisch und zieht damit bewusst Rassisten an, auch wenn er sich selbst wohl für keinen halten wird. Das Ganze wird dann noch garniert mit dem Begriff „Bodensatz“ für ausländische Langzeitarbeitslose.

Ja, Lucke, die ewige Grinsekatze des Populismus, hat sich mit seiner AfD kräftig verzockt. Immerhin hat er ein nettes Mandat im Europaparlament eingesackt, aber das war es dann auch schon. Von den Rechten, die er in die AfD geholt hat, weil er sich davon einen Stimmenzuwachs versprochen hatte, wurde er genauso vom Hof gejagt, wie seine Nachfolgerin Frauke Petry. Er hat nicht einmal ernsthaft versucht, Faschisten wie Björn „Bernd“ Höcke aus der Partei zu vertreiben. Alle späteren Absetzungsbeteuerungen helfen nichts. Als der frühere Vize-Vorsitzende der AfD, Hans-Olaf Henkel, 2015 sagte:

Wir haben ein richtiges Monster erschaffen

dann traf das den entscheidenden Punkt. Ohne Dr. Frankenstein kein Monster. Diese Verantwortung wird Lucke nicht mehr los. Und wenn er gedacht haben sollte, nach fünf Jahren sei das alles vergessen, und er könne nun lückenlos da weitermachen, wo er bei seiner Beurlaubung aufgehört hat, und die Studierenden würden sich ganz brav verhalten, dann hat er sich offenkundig getäuscht.

Nazischweinemäster

Dass Lucke als „Nazi-Schwein“ tituliert wurde, ist nicht okay. Er hat die Nazis in seiner Partei geduldet und damit stark gemacht, ohne selbst einer zu sein. So einer ist kein Nazi-Schwein, sondern allenfalls – wenn man denn im Bild bleiben möchte – ein Nazischweinemäster.

Lucke war getrieben von seinem heroischen Kampf gegen den Euro-Rettungsschirm, ebenso wie dies Henkel war. Dagegen war zunächst einmal auch gar nichts einzuwenden. Um dieses Ziel zu erreichen hat er allerdings Figuren in der AfD geduldet, die aus ihrem nationalistischen, rassistischen, ja völkischen Denken kaum einen Hehl gemacht haben. Und er selbst hat diese Figuren mit Worten aus dem Goebbels-Vokabular angelockt. Auf dem Parteitag im Januar 2014 sprach er selbst von „Altparteien“. Lucke sprach auch von „Entartungen von Demokratie und Parlamentarismus“ und rechtfertigte den Hinweis, dass dies Nazisprache sei, damit, dass dies nicht zwingend so sein müsse, da auch ein Arzt von „entarteten Krebszellen“ sprechen würde, was ja eher noch schlimmer macht.

Nun es gibt zwei Möglichkeiten. Die eine, Lucke ist grenzenlos naiv und ungebildet – was man bei einem Professor eigentlich nicht unterstellen kann – , oder er benutzte diese Begriffe als Pheromone, um entsprechend naziaffine Wähler in die AfD-Falle zu locken. Sei‘s drum. Er ist mit seinem Projekt gegen den Euro und den Rettungsschirm krachend gescheitert und seine Partei hat sich in eine Richtung entwickelt, die ich damals bereits abgesehen habe. In einer Kolumne zur Landtagswahl in Sachsen und Thüringen schrieb ich am 6.9.2014:

 Populismus ist nicht verboten, Populismus ist legitim. Wer sich nicht verkaufen kann, wird nicht wahrgenommen. Es ist die Aufgabe der Medien und der anderen Parteien, die steilen Thesen der AfD einem Faktencheck zu unterziehen. Ganz clever wird das von der AfD dadurch ausgebremst, dass man die anderen Parteien als eine Art „rotgrünversifften“ Einheitsbrei und die normalen Medien als Mainstreammedien – warum eigentlich ein Anglizismus? – darstellt, von denen der Wähler sowieso nur Lügen zu hören bekommt.

Dazu verbreiten nervige Social-Media-Trolle mit Fakeaccounts permanent Horrorstorys über die drohende Überfremdung Deutschlands. Unter meinen Facebook-Kontakten hat sich dafür bereits der Begriff „bucknägeln“ etabliert, weil ein AfD-Mitglied unter dem falschen Namen Jakob Nägele lustig rechten Müll verbreitet.

Ob die Führungsriege der Bundes-AfD – denen ich ihre von der ursprünglichen, berechtigten Eurokritik getragenen Motive durchaus immer noch abnehme – die braunen Geister, die sie augenzwinkernd zur Verstärkung ihrer Wählerschaft rief, wieder loswerden kann, bezweifle ich allerdings. Vielleicht haben sie diese Unterwanderung unterschätzt und vielleicht werden sie irgendwann selbst weggefegt.

Ich kann keiner/m Studierenden verübeln, wenn sie/er keine Vorlesung von Lucke hören möchte. Dann steht der Herr Professor halt alleine im leeren Hörsaal und redet gegen die Wand wie früher bei der AfD. Freiheit der Leere halt. Immerhin gibt es da dann noch Geld für und er kann kein weiteres Unheil anrichten.

Wenn die Studierenden allerdings meinen, sie müssten auch künftig Lucke-Vorlesungen verhindern, dann tun sie der guten und notwendigen Auseinandersetzung mit rechtsradikalem Gedankengut und rechtsradikalen Politikern keinen Gefallen. Denn derartige Aktionen sind letztlich nur Futter für diejenigen, die jeden linken Furz zu einem mit rechtem Terror vergleichbaren Giftgasangriff hochjazzen.

Um die Eingangsfrage zu beantworten. Die Aktion war in dieser Form rechtlich keineswegs berechtigt und sie war, was die mediale Wirkung angeht auch ziemlich dumm. Als Begrüßungsfeier für die Rückkehr der Grinsekatze an die Uni kann ich die Aktion der Studierenden allerdings auch durchaus ganz gut verstehen. Und Extremismus sieht anders aus.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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