Rettet die Bücher vor dem Buch!
Zum Welttag des Buches wurde im Netz einmal wieder DAS LESEN gefeiert. Wichtiger wäre eine Diskussion darüber, WAS eigentlich gelesen wird, findet Kolumnist Sören Heim
Der Kult, der gerade wieder zum Welttag des Buches um D a s B u c h betrieben wurde, befremdet. Und nicht nur dann. Regelmäßig gibt es FB-Meme-Staffetten und ähnliche Aufmerksamkeitsveranstaltungen, die suggerieren, das Lesen an sich sei etwas besonderes, wer viel lese, sei oder werde gar in irgendeiner Form ein besserer Mensch, und allerlei weitere Lobe D e s B u c h e s in seiner allgemeinsten, das heißt auch: inhaltslosen, Form.
Da droht, ein hoch idealisierter Begriff D e s B u c h e s die Bücher unter sich zu begraben. Denn nicht Lesen bildet, sondern das Lesen von Büchern, die Fakten klug und interessant aufbereiten, oder durch ihre Geschichte dazu animieren, sich weiter in ein Thema einzuarbeiten. Und auch nicht Lesen an sich stärkt etwa interkulturelle Kompetenzen, führt dazu, dass man sich empathisch in andere Menschen hineindenken kann, bereichert die eigene Vorstellungskraft, und was noch so alles mit dem Lesen verbunden werden mag. Sondern immer nur: Das Lesen der richtigen Bücher. Der guten Bücher, der formal aufregenden Bücher, der Bücher von besonderer sprachlicher Brillanz, manchmal auch: Der richtigen Bücher zur richtigen Zeit.
Wo immer D a s B u c h glorifiziert wird, ist wenig Platz für die so notwendige Diskussion darüber, welche Bücher eigentlich solche Bücher seien. Der Großteil der weltweiten Literaturproduktion ist im besten Fall Zeitvertreib. Vieles ist auch grober Unfug, manches gefährlich, menschenverachtend, zum Hass anstacheln. Das Lob D e s B u c h e s derweil speist sich, teils bewusst, teils unbewusst, aus einer Logik, die mehr mit Zählen als mit Lesen zu tun hat. In Memes (nicht nur) zum Welttag des Buches wirkt es immer wieder so, als sei die Quantität das Entscheidende. Dem korrespondieren all die Klagen, es werde immer weniger gelesen. Wo ist das Problem? Während ich überzeugt bin, dass wenige andere Kulturprodukte jemals die innere Geschlossenheit, die ästhetische Formvollendung großer literarischer Werke erreichen werden, lässt sich doch nicht leugnen, dass viele Serien, Computerspiele, ja, Gespräche mit Nachbarn, ebenso gut und besser wie die meisten Werke der Literatur die oben angeführten Anstöße setzen können: Zu bilden, zum sich Weiterbilden animieren, neue Denkformen einzuüben und Empathie zu lernen.
Ob D a s B u c h Lob verdient, das lässt sich erst erscheinen, wenn man es kennt. Wenn es nicht mehr D a s B u c h ist, sondern d i e s e s Buch. Und ob es es wirklich ein Problem ist, dass Menschen weniger lesen, lässt sich ebenso erst entscheiden, wenn man weiß, w a s weniger gelesen wird, was mehr. Und wodurch die Lektüre gegebenenfalls ersetzt wurde. Ich glaube nicht, dass nach einer eingehenden Analyse unbedingt großer Jubel angesagt wäre. Aber Da s B u c h sollte uns den Blick auf D i e B ü c h e r nicht verstellen.
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