Lügde – Der verschwundene Koffer
Im Missbrauchsverfahren von Lügde sind ein Alukoffer und eine CD-Tasche mit etwa 155 CDs und DVDs bei der Polizei verschwunden. Ein Skandal. Und nun?
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„Wo ist denn das Koks?“ Der Mandant sah mich fragend an. Er saß wegen Handels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in U-Haft. „Welches Koks?“ fragte ich. „Na, das aus der Nachttischschublade neben meinem Bett. Da, wo die auch das Haschisch gefunden haben.“ Ich zuckte mit der Schulter und sah nochmal in das Verzeichnis der sichergestellten Gegenstände, das sich ziemlich am Anfang der Akte befand. „Da steht nichts von Koks.“ sagte ich. „Die Schweine,“ meinte der Angeklagte, “das waren mindestens 300 Gramm.“ „Die wollen Sie aber nicht ernsthaft wieder haben?“ Nachdem wir die Liste nochmal durchgegangen waren, stellte ich heraus, dass auch die Haschischmenge nicht ganz dem entsprach, was der Mandant gebunkert hatte. Nun ja, das ist rund 30 Jahre her, ihm hat es nichts geschadet und wer weiß, vielleicht hatte die Polizei ja etwas übersehen, oder halt selbst ein Geschäft gemacht oder einen Kameradschaftsabend gefeiert. In der Asservatenkammer war jedenfalls nur eine Menge gelandet, mit der eine erträgliche Strafe möglich war. Wo der Rest geblieben ist, will ich gar nicht wissen.
Dass Beweismittel sich im Laufe von Verfahren in Luft auflösen, kommt gelegentlich vor. Da muss auch nicht unbedingt böse Absicht hinter stecken. Aber was im Fall Lügde geschehen ist, ist bereits jetzt ein veritabler Skandal.
Alles geregelt
Der Umgang mit Asservaten ist – wir sind schließlich in Deutschland – ausführlich geregelt.
Im ministeriellen Runderlass „Behandlung von Verwahrstücken im Bereich der Polizei RV d. JM vom 22. Dezember 1983 (4333 – III A. 17)“ steht haarklein, was mit den Beweismitteln zu geschehen hat.
Gelangen Sachen in den Gewahrsam (amtliche Verwahrung) einer Polizeibehörde, so haben alle beteiligten Bediensteten darauf zu achten, dass diese Sachen (Verwahrstücke) vor Verlust, Verderb oder Beschädigung geschützt sind. Sie dürfen nicht unbefugt in Gebrauch genommen werden.
Man darf sich also nicht einfach aus dem asservierten Haschisch ein Tütchen drehen oder sich ein paar Kinderpornos mit nach Hause nehmen.
Bei allen Polizeibehörden ist mindestens eine Verwahrstelle einzurichten, deren Aufsicht einem verantwortlichen Bediensteten zu übertragen ist. Die Verwaltung der in der Verwahrstelle abgelegten Verwahrstücke darf nur durch einen eng begrenzten namentlich festzulegenden Personenkreis erfolgen. Andere Bedienstete sind vom Zugriff auf die Verwahrstücke ausgeschlossen.
Es müsste also auch in diesem Fall eine Liste mit zugangsberechtigten Beamten geben, die die neue Sonderkomission nun einer intensiven Befragung und Durchleuchtung unterziehen wird.
Die Verwahrstelle muss möglichst einbruchsicher sein. In der Verwahrstelle dürfen nur Verwahrstücke abgelegt werden.“ Von einem Einbruch war bislnag nicht die Rede, sodass es nahe liegt, dass der Grund für das Verschwinden der Beweise eher im Bereich der Polizei zu suchen sein wird.
Falls die Polizei nicht weiß, wie man einen Raum möglichst einbruchsicher machen kann, könnte sie sich an die für sie zuständige Polizeidienststelle wenden. Die machen da extra Beratungen für Bürger.
Für die Verwahrstelle ist ein gebundenes Verwahrbuch zu führen, das ein Verzeichnis (Anlage) aller Verwahrstücke enthält. In dem Verwahrbuch darf nicht radiert und auch sonst nichts unleserlich gemacht werden. Fallen unter einer laufenden Nummer im Verwahrbuch mehr als 5 Verwahrstücke an, kann auf das Verzeichnis der Niederschrift Bezug genommen werden. Zu dem Verwahrbuch kann bei größeren Verwahrstellen ein alphabetischer Namensindex des Eigentümers, des Empfangsberechtigten oder des letzten Besitzers geführt werden. Die Niederschriften sind nach der laufenden Nummer des Verwahrbuchs geordnet zu sammeln und nach Beendigung der Verwahrung abzulegen. Sie sind von diesem Zeitpunkt an noch für die Dauer von 3 Jahren aufzubewahren.
Ich sagt bereits, wir sind in Deutschland.
Wird ein Verwahrstück an einen Bediensteten vorübergehend herausgegeben, ist seine Empfangsbescheinigung anstelle des Verwahrstückes aufzubewahren und ihm gegen Rückgabe des Verwahrstückes zurückzugeben. In das Verwahrbuch braucht in diesen Fällen nichts eingetragen zu werden.
Im Idealfall bräuchte man nun eigentlich nur in dieses Buch zu schauen und dann wüsste man, bei wem die Sachen zuletzt waren, bevor sie verschwunden sind. Aber wenn es so einfach wäre, dann bräuchte es keine Sonderkomission.
Keine Ahnung
Sachbearbeiter sollen Verwahrstücke nicht länger in eigenem Gewahrsam halten, als zur Durchführung der Ermittlungen unbedingt notwendig ist. Verwahrstücke, die nicht unverzüglich wieder ausgehändigt oder an andere Behörden übergeben werden können, sind von dem Sachbearbeiter der Verwahrstelle zuzuführen. Vor der unmittelbaren Aushändigung oder Abgabe an andere Behörden hat der Sachbearbeiter die Verwahrstelle in Kenntnis zu setzen.
Da wird wohl des Pudels Kern zu suchen sein. Das Material wurde bei der Polizei von einem KA ausgewertet. Das bedeutet nur im behördeninternen Sprachgebrauch „Keine Ahnung“, ansonsten handelt es sich um einen Kriminalanwärter. Das sind sozusagen auszubildende Polizisten. Kann man natürlich machen, wenn das jemand ist, der die dafür erforderlichen Fähigkeiten mitbringt. Warum sollte nicht auch der Stdent mal einen Herzoperation machen, wenn er dafür geeignet ist. Erfahrung wird überschätzt. Warum das ganze Material in einem derart krassen Missbrauchsverfahren nicht gleich an die ausgemachten Spezialisten zum Landeskriminalamt gegangen ist, weiß der Geier. Aber vielleicht ist das ja auch geschehen und niemand hat es notiert. Hier gilt der alte Toyota Werbespruch „Nichts ist unmöglich“.
„Watt fott is, is fott“, sagt man hier im Rheinland. Und das wäre in diesem Fall vor allem für die Opfer furchtbar. Offenbar befand sich auf den „gesicherten“ Datenträgern Beweismaterial für unzählige Missbrauchsfälle an mindestens ca. 30 Kindern. Wenn das Material nicht mehr auftaucht, wovon man leider ausgehen muss, dann wird man den Tatverdächtigen vermutlich weniger nachweisen können, als mit dem Material. Und man wird möglicherweise die Kinder als Zeugen hören müssen, was ohne das Material womöglich nicht notwendig gewesen wäre. Und wenn das Material wieder auftaucht, wird niemand mehr sagen können, dass es sich dabei tatsächlich um das verschwundene Material handelt. Vielleicht bleiben auch weitere Täter, die sich aus dem Material ergeben könnten, gänzlich unbehelligt. Es ist einfach unglaublich.
Nun ist der Innenminister zu recht „fassungslos“ und schließt auch nicht aus, dass das Verschwinden durch Polizeibeamte geschehen ist. Ach was, wie sollte er das auch ausschließen? Offenbar war der Raum in dem sich das Material befand entgegen der oben zitierten Vorschriften eben nicht gesichert und jedermann, sofern er denn im Gebäude war, konnte diesen Raum betreten. Alleine das ist schon eine unglaubliche Geschichte. Eine Asservatenkammer zu der letztlich jedermann Zugang hatte.Wer hat noch nicht, wer will noch mal? Irres Ding.
Selbst Rainer Wendt, der sonst stets weiß, dass die Polizei immer alles richtig macht und nur Ausländer und Angelea Merkel den Rechtsstaat gefährden, behauptet, ihm fehlten die Worte – um dann allerdings noch zwei Minuten weiter zu sprechen. Nun wird vom Innenminister, wie stets, „lückenlose Aufklärung“ versprochen und man darf bereits jetzt annehmen, dass es bei dieser Aufklärung Lücken geben wird.
Reuls Oma
Aber dann sind wieder ein paar Monate ins Land gegangen und das Versprechen ist bereits nach anderen Skandalen in Vergessenheit geraten. Reul meinte, seine Oma habe das besser gekonnt. Nun kenne oder kannte ich Reuls Oma nicht, aber als oberster Dienstherr der Polizei und letztlich verantwortlicher Minister, sollte er auch einmal hören, was z.B. der BDK-Bundesvorsitzende und Landeschef in NRW, Sebastian Fiedler, zum Zustand der Polizei, insbesondere zu der betroffenen Behörde Lippe mit Sitz in Detmold sagt:
Gerade diese Behörde steht schon seit längerer Zeit bei uns im Fokus, weil sie bezogen auf die Situation des Personals desaströs dasteht.
Dass die Polizei seit Jahren personell und materiell unterbesetzt ist und die Belastbarleitsgrenze längst überschritten wurde, ist ein Lied, das ich seit Jahren singe, das bei den Innenministern aber auf mehr oder weniger taube Ohren stößt. Wo zu wenig Beamte und Mittel vorhanden sind, passieren Fehler leichter als da, wo niemand an seine Grenzen gehen muss. Hier darf der Minister gerne an die Nase seines Ministeriums fassen, zumal er zwar nicht meine Kolumnen, aber vielleicht die offenen Briefe des BDK gelesen haben sollte.
Und da hat unser Verband im vergangenen Jahr vor einer Notlage gewarnt, in der sich die Kriminalpolizei dort befindet.
so Fiedler.
Ja, sowohl Reul als auch Wendt haben recht, dass es nichts hilft, wenn man sich nun in Spekulationen und Verschwörungstheorien ergeht. Es wird aber erlaubt sein, jedenfalls jetzt schon mal ein eklatantes Versagen der Polizei feststellen zu dürfen – was beide ja auch selbst tun. Hier wurde offenbar mindestens einfachste Vorschriften über den Umgang mit Asservaten völlig missachtet. Der oder die dafür Verantwortlichen sollten schnell zur Rechenschaft gezogen werden und gleichzeitig sollte der Innenminister in sämtlichen Polizeidienststellen die Sicherheit der Asservatenkammern umgehend überprüfen lassen.
Außerdem wurde dem Verfahren ganz offensichtlich nicht die Aufmerksamkeit zuteil, die es aufgrund seiner Dimension verdient hat. Wie mag das kommen?
Selbstverständlich muss auch dem Anfangsverdacht nachgegangen werden, dass hier Behördenmitarbeiter oder Polizeibeamte zugunsten der Tatverdächtigen oder vielleicht sogar zu ihren eigenen Gunsten Beweismaterial verschwinden ließen. Das hat nichts mit einem Generalverdacht gegen alle Polizisten zu tun. Dass Kinderpornoringe sich durch alle Gesellschaftsschichten ziehen und auch Polizisten nicht vor dieser speziellen perversen kriminellen Neigung der Pädosexualität gefeit sind, dürft spätestens seit dem Skandal in Belgien kein Geheimnis mehr sein. Ein Anfangserdacht auf Strafvereitelung ist nicht von der Hand zu weisen.
Nicht auszuschließen ist aber auch eine simple Riesenschlamperei. Und es ist nicht einmal auszuschließen, dass das Material von wem auch immer nur innerhalb der Behörde in einen anderen Raum in einem anderen Schrank eingeschlossen wurde. Es gab auch schon Putzfrauen, die Kunstwerke geputzt habn.
Schade, dass Reuls Oma nicht mehr zur Verfügung steht. Die hätte den Fall ratzfatz geklärt.
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