Um jeden Preis? Eine ekelhafte Abschiebung
Die Ausländerbehörde beim Landratsamt Saalfeld-Rudolstadt wollte einen Ivorer nach Italien abschieben. Dass der gerade mit seiner Frau im Kreißsaal auf die Geburt seines Kindes wartete, störte die Beamten offenbar nicht. Eine ganz üble Geschichte.
Es geschah nach Angaben der Thüringer Allgemeinen am 10.Oktober 2018. Kurz vor 2 Uhr, mitten in der Nacht und mitten in den Wehen der Frau des Mannes von der Elfenbeinküste, klingelte es an der Tür des Kreißsaals. Acht Polizeibeamte und ein Beamter des Ausländeramtes führten den Mann ab, um ihn zum Frankfurter Flughafen zu bringen, wo er nach Italien abgeschoben werden sollte. So läuft das nach dem Dublin-Abkommen, wenn jemand bereits in Italien registriert wurde halt. Ob die Abschiebung rein ausländerrechtlich formalrechtlich in Ordnung war, weiß ich nicht, das vermute ich allerdings. Aber wissen Sie was, es ist mir völlig egal.
Denn in Deutschland gilt nicht nur das einfache Recht, sondern es gibt auch noch eine über allen einfach-rechtlichen Regelungen schwebende und dieses beherrschende Verfassung. Und die bietet einige Gründe, um das Verhalten der Ausländerbehörde infrage zu stellen – von Anstand und Mitmenschlichkeit einmal ganz abgesehen.
Wunder des Lebens
Wer Vater oder Mutter ist, der wird sein ganzes Leben lang nicht die Stunde der Geburt seines Kindes oder seiner Kinder vergessen. Ich hatte dreimal dieses beeindruckende Erlebnis, wie ein neuer Mensch das Licht der Welt erblickte. Jede Geburt war ein einzigartiges Erlebnis, jede war anders und jede bleibt unvergesslich, sofern sich nicht irgendwann die Nebelschwaden der Demenz über meine Erinnerung legen. Monatelang hofft man, ängstigt sich, freut sich über das Wachsen des Embryos, freut sich über seine Bewegungen, redet mit ihm, fühlt ihn durch die Bauchdecke und dann kommt der Moment, in dem die Wehen einsetzten. Panik, Hektik, ab ins Krankennhaus oder zur Hebamme. Für die werdende Mutter eine äußerst schmerzhafte Erfahrung, für den werdenden Vater eine seltsame Mischung aus Hilflosigkeit und Spannung, Ängsten und Freude. Da erlebt man das Wunder des Lebens. Wenn mir in diesem Moment im Kreißsaal jemand gesagt hätte, ich müsse meine Frau nun im Stich lassen, ich glaube, ich wäre wahnsinnig geworden und hätte mich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt. Einen werdenden Vater in einer laufenden Geburt aus dem Kreißsaal zu holen, ist ein unglaublich inhumaner Vorgang. Haben diese Beamten, die doch alle einen Eid auf die Verfassung geschworen haben, in diesem Moment ihr Herz vereist? Haben die nicht eine Sekunde daran gedacht, was sie dem Mann und der in den Wehen liegenden Mutter antun? Oder ob der zusätzliche Stress, den sie da verursachen, vielleicht auch das Baby schädigen könnte? Scheissegal, wir haben einen Befehl?
Haben die nur eine Sekunde darüber nachgedacht, dass unser Grundgesetz Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung gestellt hat?
Art. 6 GG
(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.
(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.
(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.
(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.
(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.
War das den Beamten nicht bekannt oder glaubten sie, sie müssten auf Deubel komm raus etwas durchsetzen, was sie für Recht hielten?
Nun steht zwar nicht jede „Ehe“ unter dem Schutz des Grundgesetzes, aber auch eine traditionell geschlossene Ehe fällt unter diesen Schutz, sofern sie im Heimatland anerkannt ist.
Ob das hier der Fall ist, weiß ich nicht. Aber auch darauf kommt es gar nicht an, denn es steht nicht nur die Ehe unter dem Schutz des Grundgesetzes, sondern auch die Familie. Und was sollte mehr Familie sein, als Mutter, Vater, Kind – zumal der Vater die Vaterschaft bereits vor der Geburt beim Landratsamt anerkannt hat. Die Familie ist nichts anderes als die Gemeinschaft der Eltern mit ihren Kindern. Der Begriff der Familie ist also ein rein faktischer, der auch bei unverheirateten Paaren mit gemeinsamem oder nicht gemeinsamem Kind sowie Elternteilen mit Kind zutrifft. Es besteht demnach kein Zweifel daran, das hier der besondere Schutz des Staates greifen musste. Aber das hat niemanden gekümmert. Sind wir schon so weit, dass Art. 1 GG nun heißt, die Abschiebung ist unantastbar?
Als ich am 24.10.2018 von diesem Fall erfuhr, postete ich spontan bei Facebook:
Die Beamten werden ihren Enkeln erzählen, sie hätten nur Befehle befolgt und seien immer anständig geblieben.
Ich weiß nicht, ob diese Polemik überzogen ist, aber genau das schoss mir in dem Moment durch den Kopf. Da gehen Menschen hin und führen eine staatliche Maßnahme durch, weil sie meinen, dass sie das müssten. Dass sie dazu verpflichtet wären, weil sie Beamte sind. Weil sie eine entsprechende Anweisung von „oben“ bekommen haben. Dass man von ganz oben gerne den harten Horst markiert- für Hasnain Kazim: nein, der ist noch nicht zurückgetreten und ich weiß auch nicht warum – , wissen wir schon und dass aus politischen Gründen abschreckende Härte gezeigt wird, ist auch nichts Neues. Wenn diese Härte aber zur Unmenschlichkeit wird, ist eine Grenze überschritten, die nicht überschritten werden darf. Klar, die ausführenden Beamten sind am unteren Ende der Befehlskette tätig. Das ist aber keine Entschuldigung. Denn dem Beamten ist es nicht nur nicht verboten, über dienstliche Anweisungen nachzudenken, wenn diese ihm rechtswidrig vorkommen, im Gegenteil, er ist sogar verpflichtet, die Rechtmäßigkeit ihres eigenen Handelns stets zu prüfen und sich solchen Anweisungen aktiv zu widersetzen, die sie für rechtswidrig halten. Und das gilt erstrecht, wenn das Handeln verfassungswidrig, weil gegen die Menschenwürde verstoßend, ist.
Remonstrationspflicht
Beamte haben eine sogenannte Remonstrationspflicht. Für Bundesbeamte ist die in § 63 Bundesbeamtengesetz geregelt. Für alle anderen gleichlautend in den entsprechenden Landesgesetzen.
§ 63 Verantwortung für die Rechtmäßigkeit
(1) Beamtinnen und Beamte tragen für die Rechtmäßigkeit ihrer dienstlichen Handlungen die volle persönliche Verantwortung.
(2) Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit dienstlicher Anordnungen haben Beamtinnen und Beamte unverzüglich bei der oder dem unmittelbaren Vorgesetzten geltend zu machen. Wird die Anordnung aufrechterhalten, haben sie sich, wenn ihre Bedenken gegen deren Rechtmäßigkeit fortbestehen, an die nächsthöhere Vorgesetzte oder den nächsthöheren Vorgesetzten zu wenden. Wird die Anordnung bestätigt, müssen die Beamtinnen und Beamten sie ausführen und sind von der eigenen Verantwortung befreit. Dies gilt nicht, wenn das aufgetragene Verhalten die Würde des Menschen verletzt oder strafbar oder ordnungswidrig ist und die Strafbarkeit oder Ordnungswidrigkeit für die Beamtinnen und Beamten erkennbar ist. Die Bestätigung hat auf Verlangen schriftlich zu erfolgen.
(3) Verlangt eine Vorgesetzte oder ein Vorgesetzter die sofortige Ausführung der Anordnung, weil Gefahr im Verzug ist und die Entscheidung der oder des höheren Vorgesetzten nicht rechtzeitig herbeigeführt werden kann, gilt Absatz 2 Satz 3 bis 5 entsprechend.
Dass irgendeiner der beteiligten Beamten auf die Idee gekommen ist, dass die Vollstreckung des Abschiebeanordnung jedenfalls zu diesem Zeitpunkt ein Verstoß gegen Art. 1 und 6 GG oder auch einfach nur grausam sein könnte, ist der Berichterstattung nicht zu entnehmen. Dass jemand dies bei seinem Vorgesetzten geltend gemacht hätte, ist mir auch nicht bekannt. Mag sein, dass die Wahrscheinlichkeit, dass einer der Beamten Skrupel bekommt, mit steigender Zahl der handelnden Beamten sinkt. An der Front wurde jedenfalls funktioniert und nicht remonstriert. Und das Landratsamt macht sich einen schlanken Fuß.
Das Landratsamt verweist auf die Zuständigkeit des Bundesamts für Flüchtlinge und Migration. Es habe der Ausländerbehörde bestätigt, dass die Voraussetzungen für eine Abschiebung gegeben gewesen seien. In der Schwangerschaft der Frau wurde demnach kein Hindernis gesehen, da zwischen dem Paar kein „familiäres Verhältnis nach deutschem Recht“ bestehe.
Kein familiäres Verhältnis? Auweia
Merken Sie etwas. Da wird die eigene Verantwortung einfach mal nach oben an das BAMF (Bundesamt für menschenverachtendes Fortschaffen) abgegeben. Da wird keine eigenständige Überprüfung des Rechtslage vorgenommen, da wird nicht remonstriert, da wird nicht gesagt, dass können wir doch nicht machen. Da fragt sich keiner, warum das denn keine Familie sein soll? Nö, da wird mit dem Finger auf das BAMF gezeigt und damit zu begründen versucht, dass man selbst nicht anders handeln konnte, dass man selbst keine Verantwortung trägt – lächerlich. Das sind genau die verantwortungslosen Begründungen, die man von KZ-Wächtern, mordenden Soldaten oder Mauerschützen gehört hat. Ich habe doch nur auf Befehl gehandelt, ich bin nicht schuldig. Und nein, damit kann man sich heutzutage eben nicht mehr so einfach aus der Verantwortung stehlen. Egal ob großes Rad oder kleines Rädchen, jeder, ausnahmslos jeder Beamte hat seine Handlungen stets auf deren Rechtsmäßigkeit zu überprüfen und sich gegebenenfalls zu widersetzen oder halt dafür geradezustehen, dass er rechtswidrig oder unmenschlich handelt.
Ach ja. Der bereits zum Flughafen Frankfurt gebrachte Vater hat Widerstand geleistet. Welcher Vater hätte das in dieser Situation nicht getan? Und noch jemand hat Widerstand geleistet und damit erwirkt, dass der Mann wieder zurück in den Kreißsaal kommen durfte. Zwei Hebammen des Krankenhauses protestierten. Dafür gebührt ihnen Respekt und Dank zugleich. Das Krankenhaus hat jeden Grund um auf die beiden stolz zu sein. Man muss offenbar kein auf die Verfassung vereidigter Staatsdiener sein, um zu wissen, wann eine Maßnahme unmenschlich ist, vielleicht hilft es sogar, wenn man keiner ist.
Bleibt zu hoffen, dass die sechsmonatige Abschiebefrist nach dem Dublin-Abkommen mittlerweile abgelaufen ist und die junge Familie damit erst mal nicht mehr abgeschoben werden kann. Vielleicht kommt der Landrat ja auch zusammen mit dem Heimatminister mit einem Blumenstrauß vorbei und entschuldigt sich für das grausame Verhalten seines Ausländeramtes. Jaja, man wird doch noch träumen dürfen.
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