Der doppelte Gabentausch bei Facebook
Gastautor Manuel Güntert macht sich Gedanken über den Gabentausch bei Facebook. Wer sich bei dem Netzwerk anmeldet, lässt sich auf einen Tauschhandel ein.
Obgleich er ihn zunächst als solchen kaum realisiert, der Facebook-Nutzer lässt sich auf einen abstrakten Tauschhandel ein. Etwas erhält er, und zwar eine Plattform, auf der er mit seinen „Freunden“ kommunizieren und ihnen sein Leben so darstellen kann, wie es (nicht unbedingt) ist. So scheint er über seine Entscheidungen zu verfügen, welche Seiten von sich er auf dieser Plattform präsentieren will. Aber das tut er in doppelter Hinsicht nicht oder nur bedingt. Zum einen ist das sozial erwünschte Image mit einer vorgeformten Erwartungshaltung verknüpft. Das, was man seinen Freunden von sich zeigen will, dürfte sich bei genauerem Hinsehen oft eher als das entpuppen, von dem man annimmt, dass sie es sehen wollen. Zum anderen, und darum geht es hier, nimmt man nie nur, man gibt auch.
Jedem Geschenk wohnt ein Zwang inne
Vom Marcel Mauss wissen wir, dass dem, was uns zunächst als Geschenk erscheint, ein veritabler Zwang innewohnt. Was theoretisch freiwillig ist, muss tatsächlich erwidert werden. Und natürlich gibt der Facebook-User. Er gibt Datenspuren von sich preis, wenn er sich in dieses System einspeist. Es muss nicht der nietzscheanische Abgrund sein, der auch in Dich hineinblickt, wenn Du lange genug in ihn blickst, dennoch schaut das, in was er schaut, wenn sein Account offen ist, auch in ihn hinein. Wenn er ihn öffnet, öffnet er zugleich einen Kanal, der in ihn hineinführt. Die Daten, die er von sich (preis-)gibt, sie kehren in modifizierter Form zu ihm zurück. Eine Werbung beispielswese, die auf so erhobene Vorlieben von ihm zugeschnitten wird, will sich in sein Unterbewusstes einschreiben, um seine Aufmerksamkeit in Richtung bestimmter Produkte zu lenken, die er erwerben soll – beim Produkt kann es sich, wie wir jüngst erfahren haben, durchaus auch um ein „politisches Produkt“ handeln, dem er fortan seine meine Gunst widmen soll.
Insofern wäre das eine Gabe, die er an Facebook entrichtet. Vielleicht ist es auch eine Rück-Gabe, da er mit seiner Nutzung der dargebotenen Kommunikationskanäle bereits genommen hat, wenn er gibt. Eine „erste“ Gabe ist kaum auszumachen, die Verhältnisse werden nach dem Einloggen reziprok. Mit diesem Akt des Einloggens beginnt das „Spiel“. Es öffnet sich ein ökonomischer Zirkel, der vom User zu Facebook und zu ihm zurück führt. Insofern Facebook mit jedem seiner User ein derartiges zirkuläres Verhältnis eingeht, wird es permanent von einer ungeheuren Datenmenge durchflutet.
Bezahlt wird immer
Was bedeutet es für diesen Gaben-Tausch, der nur bedingt als solcher wahrgenommen wird, wenn Facebook wirklich eine kostenpflichtige Variante anbietet, die möglichst auf Werbung verzichtet? In gewisser Weise würde sich ein User, der darauf zugreift, „abdichten“. Öffnet er dann seinen Account, öffnet er sich ihm nicht mehr in dem Maße, in dem er das jetzt noch tut. Der Kanal, der in ihn hineinführt, wird unzugänglicher. Eigentlich bezahlt er also für eine Art Zuschauerprivileg: Gezahlt wird dafür, dass das, in was er hineinsieht, weniger in ihn hineinsieht, während er hineinsieht. Er entrichtet einen Preis, damit er eher nehmen kann, als er selbst geben muss. Genau genommen kommt es zu einer Verschiebung des Gabentausches. Schließlich wird ihm eine andere Gabe abgenommen: Geld. Er lenkt den ökonomischen Zirkel an seinen Innenleben vorbei, direkt auf sein finanzielles Guthaben, von dem er nunmehr gibt, um weiter nehmen zu dürfen. Er gibt Geld, auf dass seinem Inneren nicht mehr oder zumindest weniger entnommen wird.
Insofern entrichtet er ein Lösegeld dafür, sich der impliziten Pflicht zu entziehen, ohne sich dafür entschieden zu haben, Informationen von preiszugeben. Dieser Pflicht verweigert er sich auf einer Plattform, die faktisch dafür geschaffen worden ist, Informationen von sich preiszugeben. Er öffnet sich also weiterhin, erwirbt sich aber eine Entscheidungsfreiheit darüber, wie er sich öffnen will. Man könnte sagen, er öffnet sich, ohne sich allzu sehr offenbaren zu müssen. Das bedeutet, man muss es sich leisten (können), nur das von sich preiszugeben, das man auch preisgeben will. Also hat es seinen Preis, sich so darzustellen, wie man sich darstellen will. Zieht man Obiges in Rechnung heißt das eigentlich: Es hat seinen Preis, sich in der Form zu präsentieren, wie man von anderen gesehen werden will. Insofern sind die eigentlich grundlegenden Entscheidungen dann halt doch schon getroffen, wenn man sie selbst zu treffen scheint.
Schreibe einen Kommentar