Judenhass
Die antisemitischen Demonstrationen in Berlin waren nicht die ersten und es werden nicht die letzten sein. Trotz aller Politikerworte von Scham und „Nie wieder“. Es ist unerträglich, dass Juden in Deutschland mehr als andere Bürger um ihr Leben fürchten müssen. Tatsache ist allerdings ebenfalls, dass es diesen Judenhass immer gegeben hat und vermutlich auch noch lange geben wird. Am Judenhass ist wirklich nichts neu. Das bedeutet aber nicht, die Hände in den Schoß legen zu können. Es muss etwas geschehen.
Foto: Synagoge in Berlin Quelle: pixabay CC0 Creative Commons Freie kommerzielle Nutzung / Kein Bildnachweis nötig
Seit ein paar Jahren wird der Hass auf Juden nicht mehr nur von Rechtsextremen und Spinnern im Internet und in Hinterzimmern verbreitet, die von einer jüdischen Weltverschwörung raunen und vom Finanzjudentum fantasieren, sondern auch von Islamisten sowie linken Antisemiten offen auf die Straße getragen.
Ähnlich wie im Rechtsextremismus werden Juden als Drahtzieher einer weltweiten Verschwörung gesehen und kollektiv für verschiedene Übel und Missstände verantwortlich gemacht“
steht im Verfassungsschutzbericht 2016.
Ebenfalls vermeintliche Friedensaktivisten mischen da munter mit und beschweren sich dann umgehend über die Antisemitismuskeule, wenn man ihnen widerspricht.
Blanker Hass
Bei den Demonstrationen gegen Israel oder „Pro-Palästina“ in Berlin wurden Parolen gebrüllt, die nichts mit Kritik an der israelischen oder amerikanischen Politik zu tun haben und mich schaudern lassen. Wer – wie schon 2014 in Berlin geschehen – „Jude, Jude, feiges Schwein, komm heraus und kämpf allein“ schreit, wer die Forderung aufstellt „Hamas, Hamas – Juden ins Gas“ oder „Tod den Juden“ brüllt, der sucht eben keine politische Auseinandersetzung mit Israel, der will „die Juden“ vernichten. Das ist der blanke Hass, der pure Antisemitismus.
Hass ist ein starkes Gefühl. Hass ist schnell geweckt. Hass ist verständlich. Und Hass ist normal, jedenfalls wenn er auf individuellem Erleben beruht.
Wäre ich ein friedliebender Palästinenser, der weder die Hamas noch sonstige Extremisten unterstützt und meine gesamte Familie oder auch nur ein Familienmitglied würde durch die israelische Armee getötet, ich könnte nicht dafür garantieren, dass ich dafür tatsächlich die eiskalt kalkulierenden Kämpfer der Hamas verantwortlich machen würde, die kurz vorher ihrerseits vom Nachbarhaus aus eine Rakete Richtung Tel Aviv geschickt haben. Wie sollte ich auch, wenn ich den Hass auf Israel und „die Juden“ mit der Muttermilch aufgenommen hätte? Wer da zumindest keinen vorübergehenden Hass entwickelt, kann sich schon mal auf seine spätere Heiligsprechung freuen.
Genauso ginge es mir aber auch als israelischer Vater, wenn mir immer wieder die Hamasraketen um die Ohren fliegen würden. Meine Frau, meine Kinder und ich immer wieder in den Bunker müssten. Immer die Angst da wäre, dass der Iron Dome doch einmal versagt oder dass irgend so ein Arschloch mitten in der Stadt ein Messer zückt oder mit dem LKW in eine Menge rast. Es wäre schon eine fast unmenschliche Leistung, wenn da kein Hass entstünde.
Es ist auch normal, dass man gegen tatsächliches oder vermeindliches Unrecht protestiert, demonstriert und seinen Unmut lauthals rausbrüllt. Das ist ja auch ein Ventil gegen die eigene Wut.
Demonstrations- und Versammlungsrecht
Demonstrationsrecht und Meinungsfreiheit sind hohe Werte, in Deutschland wie in Israel. Wie das in Gaza ist, weiß ich nicht. Ob man da eine Pro-Israel-Demo abhalten könnte, wage ich allerdings stark zu bezweifeln.
Demonstrationen müssen in Deutschland nicht genehmigt, sondern lediglich angemeldet werden. Nach den Versammlungsgesetzen können zwar einzelne Auflagen erteilt werden, für ein grundsätzliches Verbot einer Demonstration müssen aber recht hohe Hürden genommen werden.
Das Versammlungsrecht ist grundsätzlich „inhalts- und meinungsneutral“. Die staatliche Gewalt darf prinzipiell nicht prüfen, ob eine mit einer Demonstration vertretene Meinung „wertvoll“ oder „wertlos“, ob sie „richtig“ oder „falsch“ oder einfach nur „scheiße“ ist. Dieses Recht findet seine Grenze aber da, wo eine Demonstration strafbare Volksverhetzung ( § 130 StGB) zum Inhalt hat, wenn die Äußerungen nicht nur von einzelnen verpeilten Idioten kommen, sondern von der Versammlung selbst ausgehen. Ruft also die Mehrheit der Demonstranten „Juden ins Gas“, dann ist Schluss mit lustig. Dann kann die Polizei diese Versammlung umgehend auflösen und dann muss sie auch die Straftaten verfolgen. Was in Hamburg bei G20-Gegnern geht, die sich vermummt haben, muss auch bei antisemitischen Demos in Berlin gehen. Ob man sich mit einer Sturmhaube oder einem Palestinensertuch vermummt, macht rechtlich keinen Unterschied.
Übles Spiel
Wenn Herr Wendt, der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, die Berliner Hassdemos erneut dazu nutzt, um gegen Ausländer und Politiker gleichzeitig vom Leder zu ziehen, indem er sagt:
Dieselben Politiker, die das Einreise- und Abschiebedrama fortsetzen, indem sie immer weitere Ausländer aus der antisemitischsten Weltregion unerlaubt einreisen lassen und nicht einmal die Straftäter unter ihnen abschieben, verkünden dann, sie würden alles gegen Antisemitismus tun“
dann spielt er ein übles Spiel. Das ist zwar bei ihm nichts Neues, aber es stößt doch hier erneut unangenehm auf.
Dass diese Demos – nachdem eindeutig volksverhetzende Inhalte gebrüllt wurden – nicht aufgelöst und die Täter verfolgt wurden, ist gerade nicht die Schuld der Politiker oder mangelhafter Gesetze, sondern alleine Schuld der Polizeiführung. Punkt. Davon lenkt der feine Herr Wendt bewusst ab.
Die Auflösung einer Versammlung ist auch möglich, wenn in einem „das Bild der Gesamtveranstaltung prägenden“ Umfang, Gewalt von der Demo ausgeht. Also auch hier reiht es nicht, wenn ein paar Irre mit Steinen werfen, sondern die Demo als solche muss einen gewalttätigen Charakter annehmen. Manchmal ist die Polizei da ja ganz flink, manchmal geradezu stoisch. Zudem machen sich die Demonstranten dann auch noch wegen Landfriedensbruchs strafbar.
Wenn der Berliner Polizeisprecher Thomas Neuendorf erzählt:
Es müssen Straftaten erheblichen Ausmaßes geschehen, damit solche Versammlungen aufgelöst werden, es muss also Gefahr für Leib und Leben bestehen.
dann ist das nicht zutreffend.
Unsere freiheitliche Demokratie muss zwar auch ekelhafte Meinungen aushalten, solange sie die Grenze der Strafbarkeit nicht überschreiten. Und ja, auch wenn Henryk M. Broder in der Anti-Judenhass-„Bild“ von 2014 gegen einen „taz“-Redakteur polemisierte, der geschrieben hatte, es müsse „in einem freien Land möglich sein, straflos das Existenzrecht Israels infrage zu stellen“: der „taz“-Mann hatte recht. Das bedeutet ja nicht, dass man diese Meinung gutheißt, billigt oder nicht vehement dagegen seine „Stimme erheben“ dürfte, es bedeutet nur, dass man die Spielregeln der Meinungsfreiheit verstanden hat. Und die endet eben da, wo zur Vernichtung von Menschen aufgerufen wird.
Hassspirale
Nicht ungefährlich ist es, wenn dieser unbestreitbare Judenhass und die ebenso unbestreitbare Tatsache, dass dieser eben nicht mehr nur aus den alten braunen oder neuen blauen und roten Quellen sprudelt, sondern auch von eingewanderten muslimischen Menschen und deren Hasspredigern getragen und gezielt geschürt wird, nunmehr seinerseits dazu benutzt wird, umgekehrt weiteren Muslimhass zu befeuern. Schon während des letzten Europawahlkampfs wurde heftig gegen Ausländer und speziell gegen Muslime gehetzt. Nicht nur von den üblichen Verdächtigen wie der NPD, sondern auch von Anhängern der AfD, die sich damals besonders auf Rumänen und Bulgaren eingeschossen hatten.
Das habt ihr Multikultigutmenschen nun davon, dass wir so viele Muselmänner ins Land gelassen haben. Das liegt am Islam. Der Islam gehört in die Wüste geschickt , wo er herkommt,
waren noch eher harmlose Kommentare. Auch das ist nicht nur in den sozialen Netzwerken, sondern auch in manchen Medien zu beobachten.
Wenn nun Herr Wendt sagt:
Dass Gegendemonstrationen gegen diesen eingewanderten Antisemitismus am Wochenende ausblieben, wundert mich nicht. Der deutsche Linke demonstriert nur gegen deutsche Antisemiten.“
dann hat das den erwünschten Nebeneffekt, dass die berechtigte Empörung gegen die antisemitischen Parolen über den Begriff „eingewanderten Antisemitismus“ nicht mehr nur diejenigen trifft, von denen sie tatsächlich geäußert wurden, sondern gleich eine ganze Menschengruppe, nämlich die der Muslime und alle eingewanderten Menschen.
Bevor jetzt wieder in den Kommentaren die bekannten Koran-Suren gegen die Ungläubigen zitiert werden: die sind mir wohlbekannt. Die werden allerdings auch nur von beknackten Islamisten sowie vielen, wenn nicht sogar den meisten, Salafisten als tatsächliche Handlungsanweisung verstanden. Bei der radikalislamischen Hamas steht die Vernichtung der Juden bereits als Ziel in ihrer Charta, aber das ist ein politisches Papier und eben kein Teil des Korans. Und nicht jeder Muslim ist ein Fan der Hamas, nicht mal in Gaza und im Westjordanland, aber noch weniger hier in Deutschland.
Der weitaus größte Teil der Muslime in Deutschland ist weder islamistisch, salafistisch noch sonst in irgendeiner Weise radikal oder gewalttätig. Schiebt man aber den Judenhass grundsätzlich allen Muslimen in die Schuhe, dann wird man damit höchstens erreichen, dass sich weitere, bisher friedliche Muslime radikalisieren, weil ihnen damit Unrecht getan wurde. Fragt sich, wer daran interessiert sein kann. So unerträglich es ist, wenn Juden in Deutschland Angst haben müssen, so unerträglich ist es, wenn Muslime, Christen oder Atheisten Angst haben müssen; wenn überhaupt jemand Angst haben muss, weil er ist, wie er ist und weil er glaubt , was er glaubt.
Irrwitziger Plan
Den einen Hass mit anderem Hass zu bekämpfen, ist ein irrwitziger Plan. Wir sind hier weder im Gazastreifen noch im Westjordanland. Bei uns herrscht neben Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit auch Religionsfreiheit. Für diese Freiheiten sind viele Menschen gestorben und es gibt keinen Grund, diese Freiheiten aufzugeben. Weder aus Angst noch aus Hass und schon gar nicht aus parteipolitischem Kalkül.
Die Einhaltung der rechtsstaatlichen Spielregeln haben Polizei und Justiz zu überwachen und durchzusetzen. Das ist ihr Job. Wenn sie Volksverhetzung und Übergriffe billigend in Kauf nehmen sollten, machen sie sich mitschuldig. Straftaten sind zu verfolgen, auch wenn man vielleicht im Moment der Demonstration selbst aus Deeskalationsgründen oder zum Eigenschutz nicht sofort zugreifen können mag. Aufgezeichnet wird ja heute eh in feinster digitaler Qualität und die Rädelsführer sind auch im Nachhinein zu identifizieren – wenn man denn will. Hassprediger und geistige Brandstifter, egal aus welchem Spektrum, dürfen nicht mit Milde rechnen, denn sie sind das eigentliche Problem.
Respekt
Die Kölner Oberbürgermeisterin wird zur Zeit im Netz wegen einer Aktion mit Armbändern, die die Aufschrift „respect“ tragen kritisiert. Diese sollen an Silverster an die Kölnbesucher verteilt werden. Kübelweise Häme wird da über Frau Reker ausgekippt. Dabei ist es neben guter Polizeiarbeit genau das, was in unserer Gesellschaft zunehmend fehlt: Respekt und Anstand. Fordert man diesen ein, dann wird man als Anhänger von PC (political correctness) geschmäht, die laut Alice Weidel auf den Müllhaufen der Geschichte gehört.
Nein, gehört sie nicht. Sich in unanständigen Hassreden zu suhlen, ist gerade total in. Es gibt Menschen, die geradezu aufblühen, wenn sie lustvoll Neger, Zigeuner und ähnliche Worte verwenden. Wenn schon in der Grundschule Lehrerinnen als Fotze beleidigt, Lehrer angegriffen werden und Jude das aktuelle Topschimpfwort ist, dann liegt das auch an der Verrohung der Sprache, die in den letzten Jahren gerade von Rechts bewusst vorangetrieben wurde. Kein Anstand, kein Respekt, vor nichts und niemand. Das wird man doch noch sagen dürfen, ist die Parole.
Aber genau diese Rückkehr des Respekts wäre der Weg, die sich aufschaukelnde Hasswelle wieder zum Abebben zu bringen. Und wer diesen Respekt anderen Menschen gegenüber nicht durch eine gelungene Erziehung und eine ordentliche Sozialisation entwickelt hat, dem muss er dann eben später vermittelt werden. Das gilt für alle Formen von Respektlosigkeit und Menschenfeindlichkeit. Die Mittel sind vorhanden. Wir brauchen ganz sicher keine neuen Gesetze, wir brauchen nur die Anwendung der vorhandenen. Es geht ja nicht nur um Demos, die allenfalls die Spitze des Eisberges darstellen.
Gedanken, Worte, Taten
Wir müssen darüber hinaus erkennen, dass man mit Gesetzen nicht den Hass aus den Köpfen bekommt. Erst sind die Gedanken da, dann die Worte und dann die Taten. Wer den Judenhass bekämpfen will, muss deshalb frühzeitig gegensteuern.
Statt jetzt großartige Reden zu schwingen und weitere Gesetzesverschärfungen wie ein allgemeines Fahnenverbrennverbot zu verlangen, ist es an der Zeit, endlich den nicht nur vom Zentralrat der Juden geforderten Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung zu installieren und diesen mit ausreichenden Mitteln auszustatten.
Und ja, angesichts der Tatsache, dass nur 59% der Schüler ab 14 Jahren wissen, für was Auschwitz steht, ist es auch an der Zeit, das Thema Antisemitismus – und nicht nur den rechten – im Unterricht zu intensivieren und nicht wie einige verlangen,die deutsche Schande langsam zu vergessen. Das Vergessen und Verharmlosen der industriellen Judenvernichtung ist doch der Nährboden für das Wiedererstarken des Judenhasses. Das Informieren und Erinnern darf sich auch nicht nur auf den Geschichtsunterricht der weiterführenden Schulen beschränken, sondern muss schon ganz früh anfangen. Und immer da, wo auf einem Schulhof „Jude“ als Schimpfwort gebraucht wird, muss darüber gesprochen werden. Mit den Schülern und mit den Eltern.
Nicht nur die Lesekompetenz von Grundschülern, die unter aller Sau ist, ließe sich fördern, wenn man eine allgemeine Kindergartenpflicht ab dem dritten Lebensjahr einführen würde, sondern auch der wechselseitige Respekt. Alle Kinder zusammen im Kindergarten aufwachsen zu lassen, wäre der sicherste Weg gegen die Entwicklung von Dummheit und Hass, ganz unabhängig von der Kompetenz der Eltern.
Ob man die antisemitische Seuche jemals in den Griff bekommen wird, wage ich zwar zu bezweifeln, ich bin aber sicher, dass man viel mehr tun kann und muss, als es bisher geschehen ist. Denn nur wenn wir mit Überzeugung sagen können, das Judentum und die Juden gehören ganz selbstverständlich zu Deutschland, und kein Jude sich hier mehr bedroht fühlt, nicht mehr jede Synagoge rund um die Uhr bewacht werden muss, erst dann haben wir die richtigen Konsequenzen aus der deutschen Geschichte gezogen.
Am 4. Oktober 2000 rief Gerhard Schröder zu einem Aufstand der Anständigen auf. Bisher ist davon nichts zu sehen. Aber wenn der nicht bald kommt, ist der antisemitische Wahnsinn nicht mehr zu stoppen.
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