Loveparade – Wahrheit und Gerechtigkeit
Am 8.12.17 begann im Düsseldorfer Kongress-Zentrum der Prozess über die Love Parade 2010, bei der 21 Menschen getötet und über 650 teils schwer verletzt wurden. Das Verfahren soll Aufklärung über die strafrechtliche Verantwortlichkeit bringen. Wahrheit und Gerechtigkeit erhoffen sich die Opfer. Doch ist das überhaupt zu leisten?
Es ist ein Mammutverfahren. 10 Angeklagte nebst rund 30 Verteidigern, 60 Nebenkläger mit weiteren 35 Anwälten, im Ermittlungsverfahren wurden über 3400 Zeugen vernommen, es gibt rund 1000 Stunden Videomaterial, verschiedene Gutachten mit riesigem Umfang.
Das Hauptproblem dieses Verfahrens ist allerdings neben dem enormen Umfang des Materials der Zeitdruck, den dieses Verfahren prägen wird. Hier geht es neben fahrlässiger Körperverletzung um den Vorwurf der fahrlässigen Tötung, d.h. eines Vergehens mit einer Höchststrafe von fünf Jahren. Eine solche Tat verjährt nach § 78 Abs. 3 Ziffer 4 StGB bereits nach fünf Jahren.
Verjährung
Dass diese Verjährung noch nicht eingetreten ist, obwohl seit der Katastrophe bereits sieben Jahre vergangen sind, hängt mit den vielfältigen Unterbrechungsmöglichkeiten des § 78c StGB zusammen.
§ 78c Unterbrechung
(1) 1Die Verjährung wird unterbrochen durch
1. die erste Vernehmung des Beschuldigten, die Bekanntgabe, daß gegen ihn das Ermittlungsverfahren eingeleitet ist, oder die Anordnung dieser Vernehmung oder Bekanntgabe,
2. jede richterliche Vernehmung des Beschuldigten oder deren Anordnung,
3. jede Beauftragung eines Sachverständigen durch den Richter oder Staatsanwalt, wenn vorher der Beschuldigte vernommen oder ihm die Einleitung des Ermittlungsverfahrens bekanntgegeben worden ist,
4. jede richterliche Beschlagnahme- oder Durchsuchungsanordnung und richterliche Entscheidungen, welche diese aufrechterhalten,
5. den Haftbefehl, den Unterbringungsbefehl, den Vorführungsbefehl und richterliche Entscheidungen, welche diese aufrechterhalten,
6. die Erhebung der öffentlichen Klage,
7. die Eröffnung des Hauptverfahrens,
8. jede Anberaumung einer Hauptverhandlung,
9. den Strafbefehl oder eine andere dem Urteil entsprechende Entscheidung,
10. die vorläufige gerichtliche Einstellung des Verfahrens wegen Abwesenheit des Angeschuldigten sowie jede Anordnung des Richters oder Staatsanwalts, die nach einer solchen Einstellung des Verfahrens oder im Verfahren gegen Abwesende zur Ermittlung des Aufenthalts des Angeschuldigten oder zur Sicherung von Beweisen ergeht,
11. die vorläufige gerichtliche Einstellung des Verfahrens wegen Verhandlungsunfähigkeit des Angeschuldigten sowie jede Anordnung des Richters oder Staatsanwalts, die nach einer solchen Einstellung des Verfahrens zur Überprüfung der Verhandlungsfähigkeit des Angeschuldigten ergeht, oder
12. jedes richterliche Ersuchen, eine Untersuchungshandlung im Ausland vorzunehmen.
Nach jeder dieser Unterbrechungen läuft die Frist von fünf Jahren von Neuem. Dieses Unterbrechungsspielchen lässt sich aber nicht beliebig lange spielen. Irgendwann ist damit Schluss. Und das ist gemäß § 78c Abs. 3 StGB dann der Fall, wenn:
seit dem in § 78a bezeichneten Zeitpunkt das Doppelte der gesetzlichen Verjährungsfrist und, wenn die Verjährungsfrist nach besonderen Gesetzen kürzer ist als drei Jahre, mindestens drei Jahre verstrichen sind.
Im Falle der fahrlässigen Tötung ist also nach 10 Jahren endgültig Feierabend. In diesem Prozess muss deshalb bis zum 24. Juli 2020 ein Urteil gesprochen sein.
111 Tage
Die Duisburger Strafkammer hat bisher 111 Verhandlungstage bis Ende 2018 angesetzt. Das ist eine ambitionierte Planung. Aufgrund der Tatsache, dass die Ermittlungen nun in der Tat elend lange gedauert haben, bleibt für das, was die Angehörigen der getöteten Opfer und die Verletzten an Aufklärung erwarten, aller Voraussicht nach nicht genügend Zeit.
Würden in der Hauptverhandlung wirklich alle Beweismittel des Ermittlungsverfahrens ausgeschöpft – und darauf wird die Verteidigung drängen – kommt man mit der Zeit nicht hin. Unterstellt man zwölfstündige Verhandlungstage mit nur minimalen Pausen – was natürlich keinem Beteiligten zuzumuten wäre -, dann würde allein das Ansehen des Videomaterials rund 85 Tage dauern.
Und von den über 3400 Zeugen wird man wohl auch nur einen Bruchteil hören können. Schwerpunkt der Anklage und Hauptangriffsziel der Verteidigung werden die Gutachten, insbesondere das bzw. die Gutachten des Sachverständigen Jürgen Gerlach sein. Schon der erste Teil seines Gutachtens ist 2000 Seiten lang und ein zweiter Teil noch in Arbeit.
50000 Seiten
Die Ermittlungsakten umfassen 50000 Seiten – und zwar ohne die noch zusätzlich 1000 Anlagen-Ordner. Zum Transport der Akten fuhr ein 7,5-Tonner vor.
Die Kammer wird nur mit einem äußerst straffen Verhandlungsplan in der Lage sein, innerhalb der gesetzlich vorgegebenen Deadline überhaupt zu einem Urteil zu kommen. Das bedeutet aber nahezu zwingend, dass eine gründliche Aufklärung der gegen jeden einzelnen der Angeklagten erhobenen Vorwürfe, gar nicht möglich sein wird. Das wird für die betroffenen Angehörigen der Toten und die Verletzten eine weitere Enttäuschung darstellen.
Wer von diesem Verfahren ernsthaft Wahrheit und Gerechtigkeit erwartet, kann nur enttäuscht werden. Wenn die Verteidigung auch nur annähernd ihre Arbeit macht – und davon ist auszugehen –, wird es der Strafkammer nicht gelingen, innerhalb der verbleibenden Zeit zu einem Urteil zu gelangen, dass auf einer akribischen prozessualen Wahrheitssuche beruht.
Möglicherweise wird das Gericht versuchen, über – zulässige – Absprachen zu einer verkürzten Hauptverhandlung und im Gegenzug zu eher moderaten Strafen zu gelangen, oder gar über Einstellungsmöglichkeiten gem. 153a StPO nachdenken. Das könnte angesichts des unüberschaubaren Bergs von Beweismitteln sogar aus prozessökonomischer Sicht vernünftig sein; es führt aber gerade nicht zur vollständigen Aufklärung des Geschehens, um das es den Betroffenen in erster Linie geht.
Man kann trefflich über den Sinn dieses Verfahren streiten. Es mag sein, dass den Angeklagten bei der Planung Fehler unterlaufen sind, die man hätte vermeiden können. Es mag aber auch sein, dass diese Fehler für sich genommen gar nicht ausschlaggebend für die Katastrophe waren und andere Verantwortliche, z.B. im Bereich der polizeilichen Einsatzleitung, es – warum auch immer – gar nicht bis auf die Anklagebank geschafft haben. Mag auch sein, dass das sich so in der Hauptverhandlung darstellen wird. Aber dann ist es für eine Anklage gegen andere Beschuldigte vermutlich längst zu spät.
Keine Erfolgsgeschichte
Unterm Strich ist das gesamte Loveparadeverfahren bisher keine Erfolgsgeschichte für die Justiz und es ist auch nicht wirklich zu erwarten, dass dieses Verfahren daran noch großartig etwas ändern kann. Was im „Landgericht Duisburg, Außenstelle CCD Ost“ in den nächsten Monaten passieren wird, ist von erheblichem öffentlichen Interesse und es ist auch richtig und lobenswert, dass es in erster Linie auf der Beharrlichkeit der Nebenkläger und ihrer Vertreter beruht, dass dieses Verfahren überhaupt in eine Hauptverhandlung mündet. Die Wahrheit wird man in diesem Verfahren nicht finden. Und was wäre dann in der Konsequenz angesichts des unendlichen Leids der Betroffenen auf der einen und der vermutlich eher geringen Schuld der Angeklagten auf der anderen Seite, von denen mit Sicherheit niemand eine solche Katastrophe sehenden Auges in Kauf genommen hat, ein gerechtes Urteil?
Vermutlich wird die Suche nach der Wahrheit die Angehörigen auch nach dem Ende des Verfahrens nicht ruhen lassen. Vermutlich wird erst eine jahrelange wissenschaftliche Aufarbeitung der Katastrophe Licht ins Dunkel bringen. Das ist schade, aber es zeigt auch, dass die Justiz bei solchen Ereignissen manchmal scheitern kann, vielleicht sogar scheitern muss.
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