Die Briefe des Bono – Kolumne für U2s „Songs Of Experience“
Früher in diesem Jahr gab es bereits eine Hörmal-Kolumne über Gavin Friday, die wir an dieser Stelle noch einmal gern empfehlen. Jetzt kommt der Rest der Familie dran. Die neue U2-Platte „Songs Of Experience“ birgt so manche Veränderung im Vergleich zu ihren Vorgängern
Als vor drei Jahren U2s „Songs Of Innocence“ erschien, interessierte sich kaum jemand für die dort gebotenen Lieder. Zu sehr stand damals das PR-Desaster um den iTunes-Deal im Vordergrund. Nun servieren sie das Schwesteralbum „Songs Of Experience“, und nicht nur die U2-Welt hat sich nachhaltig verändert. Live machten sie in der Zwischenzeit alles richtig, als sie nach dem Bataclan-Massaker in Paris zu einem Zeitpunkt auftraten, als etliche Kollegen die Segel strichen. Unvergessen bleibt jener Moment, in dem die Iren den Eagles Of Death Metal ihre Bühne zur Verfügung stellten und damit tatkräftig halfen, jenen Kollegen bei der Verarbeitung des erlebten Grauens zu helfen.
Hinzu kam die sarkastische Laune des Schicksals, zum 30 Geburtstag ihres politischen Überalbums „The Joshua Tree“ eine politische Horrorgestalt ins Weiße Haus zu hieven, der sch noch weit mehr zum Feindbild aufgeklärter Demokraten eignet, als Reagan es seinerzeit je konnte. Dieser Taumel sich ebenso wiederholender wie überschlagender Geschichte prägt die Entstehung ihrer vierzehnten Studioplatte nachdrücklich.
Entsprechend breit stellt sich der thematische Rahmen dar. Textlich ist von philosophischer Selbstreflexion, über Bonos Gesundheitskrise bis hin zur Tragik von im Mittelmeer ertrinkenden Flüchtlingen ein breites Netz gespannt.Die Songs sind angedeutet in Briefform verfasst. Teilweise schreibt der Sänger an geliebte Menschen; teils direkt an jene politischen Adressaten, die es angeht. Man hätte das Album auch „The Bono-Letters“ nennen können. Mindestens ebenso interessant ist jedoch die Art und Weise, wie sich die Dubliner hier zurückmelden. Brimborium und Kokolores bleiben wohltuend in der Mottenkiste. Teil Zwei beider sich lose auf William Blakes „Songs Of Innocence And Experience“ beziehender Longplayer kommt für ihre Verhältnisse nahezu bescheiden um die Ecke und konzentriert sich deutlich auf die musikalische Bandchemie. Erstmals seit vielen Jahren stehen wieder die Songs im Vordergrund, nicht ihre Erbauer.
Bis vor kurzem wäre es im U2-Kosmos wohl undenkbar gewesen, eine eigene Scheibe, zu der man angesagte Gäste wie Lady Gaga oder Kendrick Lamar einläd, ohne große Kampagne plus Vorab-Getöse einfach nur zum 1.Dez. in die Regale zu stellen. Ehrlicherweise muss man jedoch zugeben, dass diese Joker nur halb zünden. Sie machen ihren Job am Gastmikro gut, setzen aber keine wirklichen Akzente. Weder stilistisch noch dramaturgisch oder songwriterisch wären ihre Beiträge jenseits der großen Namen notwendig gewesen.
Weit essentieller wirkt die schon beim ersten Durchlauf mit den Händen greifbare Rückbesinnung auf die wichtigste Bandtugend: das Zusammenspiel. Nach langer Zeit stellt sich beim Hörer das angenehme Gefühl ein, es hier nicht mit vier Einzelakteuren zu tun zu haben, die ihre Tracks per Patchwork zusammenschrauben. Im Gegenteil: Alles klingt wie aus einem Guss, alles klingt nach Jam, alles klingt nach Gemeinsamkeit. Eine gute Voraussetzung für Lieder, die nach etwas mehr als der bloßen Summe ihrer Einzelteile klingen sollen.
Letzteres ist keine Selbstverständlichkeit, wenn ein halbes Dutzend Produzenten mitmischt (u.A. der alte Weggefährte Steve Lillywhite). Wer von diesem Album jedoch erwartet, U2 würden sich oder den Stein der Musikweisen neu erfinden, der irrt. Immerhin taten sie dies bereits zweimal; zum einen mit „The Unforgettable Fire“, zum anderen mit „Achtung Baby“. Das reicht für ein ganzes Musikerleben. Man könnte sogar sagen: Die hier gebotenen Stücke sind zutiefst konventionell. Melodien und Spannungsaufbau folgen den etablierten U2-Merkmalen, tragen dabei jedoch längst nicht so dick auf, wie man es von ihnen gewohnt ist.
Die meisten der dreizehn Nummern punkten folglich vor allem mit natürlicher Unverkrampftheit. Etwa „The Little Things That Give You Away“ oder „Get Out Of Your Own Way“ sind zweifellos nicht gerade verdächtig, songwriterisch herausragende Meisterwerke zu sein. Es macht dennoch Spaß, dort z.B. die Zurückgenommenheit von Edges Gitarrenarrangement zu vernehmen oder der rhythmischen Strömung von Bass und Drums zu folgen.. Verlässlich paddelt Bonos Gesang wie ein Musikdelfin durch den jeweiligen Klangteppich und wirkt nicht nur in Tracks wie „Landlady“, „Summer Of Love“ oder dem selbstironischen „The Showman (Little More Better)“ mehr bei sich und der Band als zuletzt im Studio.
Auf der Suche nach den typischerweise leicht angegospelten Ohrwürmern analog zu „All That You Can’t Leave Behind“ kristallisiert sich „Lights Of Home“ als Nachfolger von „Stuck In A Moment“ oder „Walk On“ heraus. „American Soul“ glänzt mit knochentrockenen Gitarrenriffs. „The Blackout“ überzeugt ebenfalls mit schroffem Sechssaiter zum fast schon unverschämt eingängigen Dancefloor-Refrain. Zweimal gehört, und man wird den Chorus auf angenehme Art tagelang nicht wieder los.
Die stärksten Momente bieten die „Songs Of Experoence“ dennoch zu Beginn und am Ende. „Love Is All We Have Left“ und „13 (There Is A Light)“ bauen hörbar aufeinander auf und zeigen Bono als romantischen Balladen-Crooner ganz alter Schule. Aus musikalischer Sicht lohnt es sich, bei der insgesamt 16 Lieder umfassenden Deluxe-Edition zuzugreifen. Denn ausgerechnet ihre gelungene Mandela-Hommage vom Soundtrack zu „Mandela: Long Walk To Freedom“ befindet sich ebensowenig auf der Standard-Ausgabe wie die schicke Streicher-Version der „Lights Of Home“. Auch die ästhetische Soundperle „The Book Of Your Heart“ gehört schon des Arrangements wegen zu den Highlights des Reigens. Haben U2 mit diesem Album somit bewiesen, dass sie noch immer relevant sind? Im Grunde führt diese Frage auf den Holzweg. Denn sofern diese vier ungekrönten Könige des Stadionrocks in Form sind, kann man sie immer brauchen.
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