Tauber macht Wut
Über Peter Taubers Minijobs-Tweet haben sich viele aufgeregt. Unser Leser, der Logopäde Uwe Fischer, hat Tauber einen offenen Brief geschrieben. Wir dokumentieren ihn hier. Sollte es eine Antwort geben, sind wir gerne zur Veröffentlichung bereit.
Uwe Fischer wurde 1960 in Duisburg, mitten im Ruhrgebiet geboren und erlebte den Strukturwandel der großen Wirtschaftsmetropole hautnah mit. Nach dem Gymnasium und zweijähriger Arbeit in einem Heim für sogenannte schwererziehbare Jugendliche, folgten verschiedene befristete Tätigkeiten, u.a. auch eine Zeitarbeitertätigkeit am Hochofen bei Thyssen, als Flugzeugabfertiger, Aushilfsverkäufer in der Orientteppichabteilung eines großen Kaufhauses, Auslieferungsfahrer, in einem Handwerksbetrieb u.a.m..
Nach 18 Jahren als Kundenbetreuer im Außendienst, 15 Jahre davon bei einem mittelständischen Unternehmen aus der Lebensmittelbranche, hieß es „back to the roots“ mit einer späten Ausbildung zum Logopäden. Heute betreibt Fischer seit fast 10 Jahren gemeinsam mit seiner Partnerin eine PraxisDer für Logopädie in der Eifel.
Peter Taubers Tweet
machte ihn so wütend, dass er diesen Brief schrieb:
Sehr geehrter Herr Tauber!Ich bin einer der vielen Menschen, die auf ihren Tweet zum Thema Qualifikation und Minijobs mit Irritation, auf Ihre „Klarstellung“ mit Entsetzen reagiert haben. Das Video, in dem Ihr Kollege Spahn Ihnen mehr als ungeschickt zur Seite springen wollte, lasse ich lieber unkommentiert. Sollte es Sie interessieren, dann kann ich Ihnen Details gerne in einem persönlichen Gespräch erläutern, an dieser Stelle sollten die folgenden Zahlen reichen, die der realen Realität entstammen und nicht etwa der, die Sie oder Herr Spahn dafür halten.Vor einigen Jahren habe ich in meinem Leben ein paar Veränderungen vorgenommen und eine neue Ausbildung zum Logopäden begonnen. Diese Ausbildung, die einen sehr hohen Anteil an medizinischen Fächern enthielt, macht es mir heute möglich, Ihnen z.B. grundlegende Funktionen des menschlichen Gehirns zu erklären, wie das Gehör funktioniert, die Atmung, der Schluckakt u.a.m. Ich kann in meinem Berufsfeld Patienten behandeln mit Stottern, Autismus, Mutismus, Lippen-Kiefer-Gaumenspalte, Down Syndrom, Schlaganfall, Parkinson, MS, ALS, diversen Tumorerkrankungen, Demenz, Formen der geistigen Behinderung, allen möglichen kindlichen Sprach- und Sprechstörungen und weiteren Erkrankungen.Wenn Sie aus verschiedenen Gründen Ihre Stimme nicht mehr benutzen könnten, würde ich sie Ihnen vermutlich wiedergeben können. Ich bin also – und das sollten Sie nicht als Arroganz verstehen – recht ansehnlich qualifiziert und muss mich mit meinem beruflichen Wissen nicht verstecken. Ich habe etwas „ordentliches“ gelernt.
Dafür habe ich, genauso wie eine beträchtlich sechstellige Zahl an Kolleginnen und Kollegen aus dem Bereich der Heilmittelerbringer, ordentlich investiert. Seinerzeit mussten für die dreijährige Ausbildung monatlich 800.-€ bezahlt werden, heute ist es etwas weniger, dafür sind vier Jahre Ausbildung unumgänglich. Das waren also schon mal 28.800.-€ Schulgeld. In dieser Zeit konnte ich natürlich kein Geld verdienen, mir fehlten – etwas Geld bekam ich, aber Details spielen ja hier keine Rolle – monatlich ungefähr 1.200.- € an Einkommen, also 43.200.-€, das macht zusammen 72.000.-€. Ich bin kein Mathegenie und bitte Sie daher, falls Sie eines sein sollten, den Verlust durch fehlende Einzahlung in die Sozialversicherungen selbst zu überschlagen und dazuzurechnen. Einschließlich der Fahrtkosten, Bücher und anderer Arbeitsmaterialien können wir jedenfalls von rund 80.000.- € sprechen.Wir sind uns hoffentlich einig darin, dass es sich dabei um sehr viel Geld handelt, wenn man nicht gerade mit Goldstaub gepudert wurde. Jetzt gibt es nach der Ausbildung zwei Möglichkeiten: ich mache mich selbständig, investiere also in Praxisräume und Material, überbrücke die Zeit, bis die Praxis angelaufen ist und investiere – das ist eine Vorgabe – in den nächsten Jahren konsequent weiter in Fortbildungen, die mich ebenfalls ein paar 1000 Euro kosten, oder ich suche mir eine Anstellung, von der ich aber nicht wirklich leben kann.Meinen Steuerberater entbinde ich Ihnen gegenüber gerne von seiner Schweigepflicht, dann kann der ihnen sagen, wie sehr die horrenden Beiträge für die Krankenversicherung schmerzen und warum man mit einem kleinen Unternehmen lieber den Geldeintreibern von der Mafia ausgeliefert wäre als dem Finanzamt. Von mir oder Kollegen/Innen können Sie zusätzlich erfahren, in welchem Abhängigkeitsverhältnis von Ärzten und Krankenkassen ich trotz meiner Qualifikation stehe oder auch, welche verlangten, leider aber unbezahlten Nebentätigkeiten ich leisten muss – in dieser Zeit könnte ich schon mal in zwei Minijobs Geld verdienen, Sie verstehen ja bestimmt Spaß.Wenn Sie dann noch sehen, dass ich fehlerhafte Verordnungen, die von den Ärzten kommen, akribisch kontrollieren muss und bei Fehlern, die ich dann übersehe, kein Geld für meine geleistete Arbeit erhalte, dann dürften Ihnen – falls das nicht längst schon vorher geschehen ist – die Tränen in die Augen schießen. Den tatsächlichen Stundenlohn errechnen wir aber lieber mal nicht, so viel Mitleid könnte ich einfach nicht ertragen.Aber wir haben ja noch die Angestellten, die nach ihrer hochqualifizierten Ausbildung eine äußerst anspruvchsvolle Arbeit, oft mit sehr schwierigen Patienten, zu leisten haben. Möchten diese Angestellten von ihrem Einkommen bei normaler Arbeitszeit eine Familie ernähren, dann schließt sich der Kreis meines kleinen Schreibens. Diese Angestellten haben auch was „ordentliches“ gelernt und – abzüglich der Praxiseinrichtung – nicht weniger investiert als ich, Da sollten die doch eigentlich mit einem guten Verdienst rechnen können. Aber die 2.200 – 2.400€ brutto, die ich ihnen zahlen kann, sind jetzt nicht sonderlich viel, angesichts der getätigten Investition und der Qualität der Ausbildung. Ja, da denkt gelegentlich tatsächlich jemand über die Notwendigkeit eines Minijobs nach. Und so müssen leider auch Selbständige denken und handeln, die ihre kleine Praxis alleine betreiben.Zum Abschluss noch die Anmerkung, dass Sie nicht nur Logopäden, sondern auch Physiotherapeuten oder Ergotherapeuten besuchen können, um einen Einblick in die Realität jenseits Ihres politischen Wolkenkuckucksheimes zu erhalten.Wenn Sie mehr über den tatsächlichen Zusammenhang zwischen Qualifikation und Auskommen, zwischen was odentlichem gelernt und überleben, erfahren möchten, dann stehe ich gerne zu Ihrer Verfügung.Herzliche GrüßeIhr Uwe FischerP.S.: Sollten Sie am 24.6.2017 in Ihrem Hauptberuf tätig gewesen sein, dann dürfte Ihnen ja der Demonstrationszug von ca. 3.000 Heilmittelerbringern in Berlin nicht entgangen sein – einer der Redner war übrigens einer ihrer Parteikollegen, den sie ebenfalls befragen können
Schreibe einen Kommentar