Suizid in der U-Haft
Jedes Jahr töten sich ca. 100 Menschen im Strafvollzug. Die meisten davon in der Untersuchungshaft. Der Fall des Terrorverdächtigen Dschaber al-Bakr ist nur einer von ihnen.
Als Monty Python Film wäre die Pleiten, Pech und Pannenserie der sächsischen Justizbehörden ein großer Brüller. In der Realität ist sie eher zum Heulen.
Die sächsische Polizei twitterte am letzten Montag:
! NEWS ! Wir sind geschafft, aber überglücklich: der Terrorverdächtige Albakr wurde in der Nacht in Leipzig festgenommen. ÖA über #GenStA
Okay, da stand noch nicht dabei, dass die eigentliche Festnahme durch ein paar Syrer erfolgt war, die den völlig geschafften Polizeibeamten einen bereits fertig verschnürten Tatverdächtigen abholbereit lieferten, aber immerhin. Nun hatten sie ihn denn. Es ging ein Seufzer der Erleichterung durch das Land. Nicht alles ist schlecht in Sachsen.
Die kurz darauf bekannt gewordenen Pannen bei der sächsischen Polizei – Schutzwesten waren so schwer, dass die Beamten das vorbei spazierende Zielobjekt nicht verfolgen konnten – wurden als eher lustiges Beiwerk einer im Ergebnis dann mit Glück erfolgreichen Terroristenjagd angesehen. Eine echt pythoneske Szene. Ende gut, alles gut. Dachte man.
Sind Selbstmordattentäter suizidgefährdet?
Und dann das. Dschaber al-Bakr gelingt es erneut, der sächsischen Justiz zu entfliehen. Seinen Körper lässt er dabei leblos zurück. Dass ein mutmaßlicher Selbstmordattentäter möglicherweise einen Selbstmord begehen will, ist zwar nicht zwingend, scheint so unwahrscheinlich aber nicht. Das solche Täter grundsätzlich zum Suizid bereit sind, gehört ja quasi zum Berufsbild. Allerdings wollen sie in der Regel nicht alleine ins Jenseits reisen, sondern möglichst viele andere Menschen dabei töten und verletzen. Wäre al-Bakr einfach nur lebensmüde gewesen, dann hätte er sich diesen Wunsch auch ohne Sprengstoffweste erfüllen können. Wie diese allāhu akbar Freaks ansonsten so ticken, weiß man nicht so richtig. Das ist ja das Elend mit solchen Tätern, dass man selten mal mit einem sprechen kann, weil die sich ihrer Festnahme in der Regel durch einen Blitzflug ins Paradies entziehen. Für islamistische Märtyrer soll diese Allinclusiv-Himmelfahrt mit einer Flat für Jungfrauen, die „groß gewachsene“, „schwellende“ oder „wie Pfirsiche geformte“ Brüste haben, umgehend klappen, bei gewöhnlichen Selbstmördern ist der Suizid allerdings ein Einreisehemmnis für das Paradies. Da gibt es eine strenge Eingangskontrolle. Da geht’s dann ab in die Hölle.
Ich bin fassungslos, da ich davon ausgegangen bin, dass mein Mandant – jedenfalls zur Zeit – als einer der bestbewachtesten Gefangenen in Deutschland gelten konnte.
sagte der Verteidiger des Verdächtigen, RA Alexander Hübner. Ja, das hätte ich an seiner Stelle auch gedacht. Und dazu gab es doch, auch wenn man nicht jedem mutmaßlichen Selbstmordattentäter suizidale Gedanken unterstellt, jede Veranlassung.
Bereits die Haftrichterin hatte den Verdächtigen als suizidgefährdet eingestuft. Dafür gibt es auf dem Überstellungsformular für die JVA ein extra Kästchen zum Ankreuzen. Es war auch aufgrund des angekündigten Hungerstreiks nicht besonders schwierig zu erkennen, dass hier ein Gefährdeter einrückte. Das wurde nach Angaben des Leiters der JVA, Rolf Jacob, auch wahrgenommen und irgendwie berücksichtigt. Wenn auch nicht von ihm selbst, da er – was ihm gegönnt sei – in Urlaub weilte, aber von der JVA-Leitung.
Alles richtig gemacht?
Nun, glaubt man den Stellungnahmen der sächsischen Behörden, dann haben die alles richtig gemacht.
Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) beteuerte, man habe nach jetzigem Stand alles getan, um einen Suizid zu verhindern. Echt jetzt? Warum der Mann jetzt tot ist, keine Ahnung?
Martin Dulig (SPD), Vize-Ministerpräsident und Wirtschaftsminister in Sachen sieht immerhin eine falsche Einschätzung in der Justizvollzuganstalt für die Tat mitverantwortlich.
Es ist offensichtlich zu einer Reihe von Fehleinschätzungen sowohl über die Bedeutung, als auch den Zustand des Gefangenen gekommen.
Kann man so sehen. Dass irgendjemand da jetzt die politische Verantwortung z.B. durch einen Rücktritt übernehmen wollte, ist nicht erkennbar. Rücktritte gibt’s heute eher wegen falscher Titel oder seltsamer Doktorarbeiten, aber doch nicht wegen eines toten Häftlings.
Ministerpräsident Tillich stellt sich hinter seinen Justizminister Sebastian Gemkow und macht das, was Politiker immer gerne machen, wenn sie keine Verantwortung übernehmen wollen. Er will prüfen „ob wir Gesetze und Vorschriften anpassen müssen“. Ja wozu das denn? Die entsprechenden Gesetze sind doch da, man muss sie nur anwenden.
Die ursprünglich angeordneten Kontrollen alle 15 Minuten beruhte auf einer Anordnung nach § 88 StVollzG. Dort heißt es:
(1) Gegen einen Gefangenen können besondere Sicherungsmaßnahmen angeordnet werden, wenn nach seinem Verhalten oder auf Grund seines seelischen Zustandes in erhöhtem Maß Fluchtgefahr oder die Gefahr von Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen oder die Gefahr des Selbstmordes oder der Selbstverletzung besteht.
(2) Als besondere Sicherungsmaßnahmen sind zulässig:
- 1.
- der Entzug oder die Vorenthaltung von Gegenständen,
- 2.
- die Beobachtung bei Nacht,
- 3.
- die Absonderung von anderen Gefangenen,
- 4.
- der Entzug oder die Beschränkung des Aufenthalts im Freien,
- 5.
- die Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum ohne gefährdende Gegenstände und
- 6.
- die Fesselung.
(3) Maßnahmen nach Absatz 2 Nr. 1, 3 bis 5 sind auch zulässig, wenn die Gefahr einer Befreiung oder eine erhebliche Störung der Anstaltsordnung anders nicht vermieden oder behoben werden kann.
(4) Bei einer Ausführung, Vorführung oder beim Transport ist die Fesselung auch dann zulässig, wenn aus anderen Gründen als denen des Absatzes 1 in erhöhtem Maß Fluchtgefahr besteht.
(5) Besondere Sicherungsmaßnahmen dürfen nur soweit aufrechterhalten werden, als es ihr Zweck erfordert.
Dass der Verdächtige in einen Haftraum mit einem zum Erhängen geradezu auffordernden Zwischengitter verlegt wurde, muss ich ebenso wenig verstehen, wie die Tatsache, dass er offenbar von der JVA ein T-Shirt oder ein Hemd erhielt, dass so reißfest war, dass es sich zum Strangulieren eignete. Vielleicht sollten die Justizvollzugsanstalten einmal bei der Firma Puma nachfragen. Die wissen wie man leicht zerreißende Hemdchen produziert.
Warum der U-Häftling noch am selben Tag nur noch alle 30 Minuten gecheckt wurde, ist auch nur schwer nachzuvollziehen. Wenn weder ein Dolmetscher da war, noch eine sonstige Verständigung mit ihm möglich war, wie hat dann die Anstaltspsychologin ihre Prognose treffen können? Okay, Prognosen können falsch sein, aber psychologische Prognosen zur Selbstmordgefährdung ohne eine echte Verständigungsmöglichkeit können kaum richtig sein. Dass die Psychologin keine Erfahrung mit Selbstmordattentätern hat, ist ihr nicht vorzuwerfen, die gibt’s halt kaum lebend. Dass sie hier – entgegen der bei Prognosen eher immer auf Nummer sicher gehenden Übung – zu einer falsch positiven Prognose kam, ist gerade wegen der mangelnden Erfahrung mit solchen Tatverdächtigen allerdings erstaunlich.
War der JVA nicht bewusst, was für einen exotischen Verdächtigen sie hier beherbergte? Endlich mal ein eines geplanten Selbstmordanschlags verdächtiger Mensch, den man lebend erwischt hat. Einer, der eine spätere Aussage nicht von vorneherein ausgeschlossen hat und von dem die Sicherheitsbehörden – womöglich über einen Deal – wichtige Erkenntnisse im Kampf gegen die Terrorgefahr hätten erhalten können. Den musste man schon aus diesem Grund behüten wie ein Juwel, aber viel wichtiger noch, weil er ein Mensch ist, dessen Menschenwürde unantastbar ist, auch wenn er einer Straftat verdächtigt wurde.
Aber er wurde behandelt wie ein ganz normaler Antänzer oder notorischer Eierdieb. Bei Thomas Middelhoff hatte man die Suizidgefahr ernster genommen und ihn auch nachts alle 15 Minuten geweckt, um zu sehen, ob er noch lebt.
Einer von vielen
Und trotzdem ist Dschaber al-Bakr eben nur einer von rund 100 Gefangenen, die jährlich in deutschen Haftanstalten freiwillig ihr Leben beenden. Das dürfen die natürlich grundsätzlich auch. Der Suizid ist nicht strafbar und auch ein Gefangener darf sich grundsätzlich entleiben. Wenn der Gefangene allerdings erkennbar in einer psychischen Ausnahmesituation ist – und das ist bei jemandem, der in den Hungerstreik tritt immer so – dann hat die JVA zunächst einmal eine besondere Fürsorgepflicht sein Leben zu erhalten. In den ersten Tagen der U-Haft sind viele Häftlinge häufig so verzweifelt über ihre Inhaftierung, dass sie sich töten wollen. Hindert man sie daran und lässt ein paar Tage verstreichen, sind sie meistens dankbar dafür, dass man sie am Suizid gehindert hat.
Der Anstaltspsychologe der JVA Moabit, Andreas Terhedebrügge, erklärte im Zusammenhang mit der Problematik der Suizide in Haftanstalten im Jahr 2015 gegenüber dem Deutschlandfunk:
Also in den ersten 14 Tagen ist eine Hochrisikosituation. Und die Suizide hier im Gefängnis sind allgemein vier Mal so hoch wie in der Normalbevölkerung.
Das gehört zum Allgemeinwissen des Vollzuges, ebenso wie die Tatsache, dass gerade die ruhigen, in sich gekehrten Neuankömmlinge im Knast eher gefährdet sind, als die munteren Plaudertaschen oder die aggressiven Schreier.
Was hätte ernsthaft dagegen gesprochen, den Gefangenen zunächst einmal in einen besonders gesicherten Haftraum ohne gefährdende Gegenstände und vor allem ohne dieses blödsinnige Gitter zu sperren?
Ja, die Verlegung in einen solchen Beobachtungsraum ist ein schwerer Eingriff in die Persönlichkeitsrechte und die Würde eines Gefangenen. Aber sie ist eben manchmal die einzige Möglichkeit, sein Leben zu retten und dann auch rechtlich nicht zu beanstanden.
Warum wurde Dschaber al-Bakr nicht spätestens in dem Moment dorthin verlegt, als er die Lampe zerstörte und an den Steckdosen manipulierte? Eine Steckdose in der Zelle eines Suizidgefährdeten scheint mir ohnehin riskant. Aber wenn da auch noch dran manipuliert wird, sollte Schluss mit lustig sein.
Was hätte gegen eine dauerhafte Sitzwache gesprochen, also ein Beamter, der vor dem Haftraum sitzt und den Gefangenen im Auge hält? In der Psychiatrie ist so etwas üblich. Was hätte dagegen gesprochen, die 15 minütigen Kontrollen ein paar Tage durchzuziehen, bis man mit Hilfe eines Dolmetschers oder besser noch eines die Muttersprache des Verdächtigen beherrschende Psychologen eine etwas sicherere Prognose hätte erstellen können? Ich weiß es nicht und die Antworten des Anstaltsleiters überzeugen mich nicht.
Die JVA Leipzig hat ein eigenes Krankenhaus, dass über eine somatische und zwei psychiatrisch-psychotherapeutische Stationen verfügt. Auch dahin hätte man verlegen können.
Dass ausgerechnet eine Auszubildende, und das auch noch zufällig, den toten Häftling entdeckt hat, spricht Bände. Warum schauen da nicht die besten, die erfahrensten Vollzugsbeamten nach dem Häftling?
Mein spontaner Facebook-Kommentar lautete: „Zum Kotzen, diese Behörden“.
Shit happens?
Das war vielleicht nicht nett und vielleicht war es sogar ungerecht, aber es brachte mein Unverständnis darüber zum Ausdruck, dass es dem gefühlten Staatsfeind Nr. 1 gelingen konnte, sich einem Strafverfahren zu entziehen und einem jungen Menschen in der Obhut des Staates, aein Leben zu beenden. Dieses Unverständnis ist durch die Pressekonferenz der verantwortlichen Minister nicht kleiner geworden. Ja, shit happens, aber das ist ja schon Durchfall.
Nun wird zunächst die Staatsanwaltschaft die genauen Umstände des Todes von Dschaber al-Bakr ermitteln müssen. Es ist zu hoffen, dass sie das gründlich macht, ohne Rücksicht auf den Ruf der sächsischen Justiz. Der ist, ob zu Recht oder nicht, eh vorerst völlig im Eimer.
Zusätzlich sollte die Politik über einen Ermittlungsausschuss nachdenken. Der Verdacht, dass da nicht alles so gelaufen ist, wie es eigentlich sollte, drängt sich auf. Der nächste Terrorverdächtige sollte seine U-Haft überleben.
Nachtrag vom 16.10.16 aufgrund eines Hinweises von Maximilian Both. Die einschlägige Vorschrift ist nicht § 88 StVollzG, sondern – da Sachsen ein entsprechendes Landesgesetz verabschiedet hat – § 49 SächsUHaftVollzG. Inhaltlich ändert das jedoch nichts. Vielen Dank für den Hinweis an Maximilian Both.
Schreibe einen Kommentar