Ärger auf dem Biohof
Die „Neue Gentechnik“ ist in der Praxis noch nicht angekommen. Es zeigt sich aber schon deutlich ihr Potenzial, die festgefahrenen Traditionen der Gentechnikablehnung zu erschüttern.
Urs Niggli ist seit mehr als einem Vierteljahrhundert Direktor des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (Fibl) in der Schweiz und damit einer der international wichtigsten Verfechter der ökologischen Landwirtschaft. Seine Einstellung zum Thema Gentechnik dürfte klar sein. Die Branche lehnt die Manipulation des Erbguts mit modernen Methoden strikt ab. Ihr Einfluss ist so groß, dass Europa heute weitgehend gentechnikfreie Zone ist. Wenn man sich also in der Bioszene um etwas keine Sorgen zu machen brauchte, dann um die kompromisslose Haltung zur Gentechnik, zumal man nicht nur die eigene Kundschaft und die Politik, sondern Umfragen zufolge auch eine große Mehrheit der Bevölkerung hinter sich hat. Auch Urs Niggli war nach eigenen Angaben schon vor 25 Jahren Kämpfer gegen die Gentechnik „an vorderster Front“.
Klare Verhältnisse also. Bis zum 6. April 2016. An diesem Tag erschien in der taz ein Interview mit Urs Niggli. Er wurde nach seiner Haltung zu den neuen, sehr leistungsfähigen Methoden der Veränderung des Erbguts gefragt, die gemeinhin als Genome Editing bezeichnet werden und deren wichtigstes Werkzeug CRISPR/Cas ist. CRISPR/Cas ermöglicht es, einfach und präzise Gensequenzen oder einzelne DNA-Bausteine zu entfernen, auszutauschen oder einzufügen. Das funktioniert sowohl bei Mikroorganismen als auch bei Pflanzen und Tieren. Für eingeschworene Gegner der Gentechnik ist diese Methode der Horror. Sie macht das Umschreiben des Erbguts kinderleicht und öffnet somit der vielfältigen Manipulation von Pflanzen Tür und Tor. Eigentlich müssten sich die Reihen schließen, um den Widerstand zu stärken. Urs Niggli aber sagt:
CRISPR/Cas hat großes Potenzial. Sie hat aber wie jede Technologie auch Risiken und kann falsch verwendet werden. Das sollte man für jede Anwendung einzeln bewerten, statt diese Technik generell abzulehnen. Ich weiß jetzt schon Anwendungen, die Sinn machen.
Er spricht davon, dass man Krankheitsanfälligkeit ausschalten und Resistenzgene einbauen kann, dass dadurch in großem Maßstab Pestizide eingespart werden könnten. Und damit meint er nicht Pestizide im konventionellen Anbau, sondern Pestizide, die im Biolandbau eingesetzt werden und von denen zu reden eigentlich ein Tabu in der Szene ist. Ob er den Einsatz im Biolandbau empfehle, wird er gefragt, und antwortet:
Die Biobauern entscheiden das selber, und es überwiegt eine ablehnende Skepsis. Für den Ökolandbau sind nicht nur technische Überlegungen relevant, es geht auch um die Natürlichkeit und die Authentizität der Lebensmittel. Da könnte CRISPR/Cas bereits ein Schritt zu viel sein.
Die Antwort deutet an, was schon seit längerem immer deutlicher wurde. Während früher Gentechnik abgelehnt wurde, weil man Risiken für die Umwelt oder sogar den Menschen fürchtete, ist heute auch vielen Aktivisten bewusst, dass diese nicht existieren, also mit Gentechnikpflanzen grundsätzlich keine anderen Risiken verbunden sind als mit konventionell gezüchteten Pflanzen. Deshalb verbleiben als Gründe für die Ablehnung nur noch diffuse weltanschauliche Aspekte, die mit Ideen von „Natürlichkeit“ oder „Authentizität“ zu tun haben und letztlich den persönlichen Lebensstil zum Ausdruck bringen. Gerne ist auch vom „Schutz der bäuerlichen Landwirtschaft“ die Rede. Für Wissenschaftler wie Niggli ist es natürlich schwieriger, eine solche Lifestyle-basierte Ablehnung aufrecht zu erhalten, als für Bio Normalverbraucher. Denn er müsste das ja wider besseres Wissen tun. Und dazu ist er offenbar nicht mehr bereit.
Nicht nur, dass Niggli den Einsatz von Pestiziden im Biolandbau thematisiert, er setzt noch eins drauf, indem er in Aussicht stellt, dass sich der ökologische Landbau mit seiner Ablehnung der Gentechnik in eine Situation bringen könnte, in der man sich nicht richtig wohl fühlen könne.
Es wäre unschön, wenn der konventionelle Bauer eine Kartoffelsorte hätte, die ohne Pestizide auskommt – und der Biobauer eine Kartoffelsorte, die er mit Kupfer spritzen muss.
Und es wird noch schlimmer. Auch das Thema „Konzerne“ greift Niggli auf. Gentechnikgegner stilisieren sich gerne als Kämpfer gegen den Goliath „Monsanto“. CRISPR/Cas, so Niggli, sei eine gute Möglichkeit, die Vorherrschaft der Konzerne zu brechen. Denn das Verfahren sei spottbillig und damit nicht den Großen vorbehalten, sondern auch für kleine Züchter bestens geeignet. CRISPR/Cas sei „eine demokratische Methode.“ Schließlich plädiert er auch noch dafür, die aufwändigen und teuren Zulassungsverfahren der „alten Gentechnik“ für die neue Methode stark zu vereinfachen, und kritisiert die übertriebene, vermeintliche Risikovermeidung, die Gentechnikgegner mit Verweis auf das Vorsorgeprinzip so lieb gewonnen haben.
Dass wir eine Nullrisikostrategie verfolgen sollen, finde ich weltfremd. Jäger begannen vor 10.000 Jahren, die Kuh zu züchten, und sahen, dass mit Kuhmist die Gräser auf ihren Äckern viel besser wachsen. Wenn die nach dem Maßstab Nullrisiko vorgegangen wären, hätten die den Kuhmist nie aufs Feld getan.
Harsche Reaktionen
Urs Niggli konnte nicht erwarten, dass er sich mit diesem Interview beliebt macht. Und die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Am 7. April schrieb der Verband der Ökopflanzenzüchter Saat:gut e.V. einen offenen Brief an den Stiftungsrat des Forschungsinstituts für den Ökolandbau, Fibl Schweiz, und den Vorstand des Fibl Deutschland mit dem Anliegen, dem Mann einen Maulkorb zu verpassen.
Voller Empörung nehmen wir die Äußerungen Prof. Nigglis, Leiter des „Forschungsinstituts für den Ökolandbau, Fibl“ in der Schweiz zu Gentechnik im Ökolandbau zur Kenntnis. Willentlich und wissentlich setzt sich Prof. Niggli über den bekundeten Willen der deutschen Biobranche hinweg und diskreditiert die gemeinsamen Anstrengungen der Erzeuger-, Verarbeiter- und Verbraucherverbände. Er brüskiert das Vertrauen unserer Kunden und sät Zweifel an unserer Haltung zur Gentechnik. (…) Wir fordern den Stiftungsrat und den Vorstand auf, ihre Mitarbeiter darauf zu verpflichten in ihren öffentlichen Äußerungen zu den Zielen und Inhalten des Ökolandbaus zu stehen und die gemeinsamen Anliegen der Biobranche zu befördern, nicht konterkarieren!
Auch der Grund für den Ärger wird erstaunlich deutlich benannt:
Eine Strategie, die uns auf Dauer sehr teuer zu stehen kommen könnte. Der Ökolandbau und die Biobranche müssen immer erklären, warum nachhaltiges Wirtschaften nicht zum niedrigsten Preis machbar ist. Anstatt hier Zweifel über die Notwendigkeit dieser Kosten zu säen, sollte Prof. Niggli helfen, diese Nachhaltigkeit der Gesellschaft zu erklären.
Das Interesse an freier Forschung und einer offenen Debatte über Chancen und Risiken der Gentechnik scheint sich bei den Lobbyisten der Biobranche in sehr engen Grenzen zu halten.
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