Kölle Alaarm!
Eigentlich steht Köln für unbändige Lebensfreude und gelassene Toleranz. Aber die Übergriffe der Silvesternacht und die hilflosen Reaktionen von Politik und Medien ruinieren das Ansehen einer Millionenstadt. Soll das wirklich so bleiben?
„Kumm, loss mer fiere, nit lamentiere / jet Spass un Freud, dat hät noch keinem Minsch jeschad. / Denn die Trone, die do laachs, musste nit kriesche. / Loss mer fiere op kölsche Aat.“
So besingt die kölsche Karnevalsband „Höhner“ ihre Stadt. Wilde Feiern, Tränen, die wenn überhaupt vor Freude vergossen werden. Frohsinn, Leben, Karneval. Das ist Köln. So stellt sich der Markenkern der Millionenmetropole am Rhein dar. Hinzu kommen ein weltoffenes multikulturelles Image und nicht zuletzt der Ruf der Stadt als homosexuelle Hauptstadt Deutschlands. In Köln kann man, so das Bild, das die Stadt in die Welt ausstrahlen will, ohne Reue das Leben genießen.
Untergründig steht Köln freilich auch schon immer für Chaos, Klüngel und Korruption, was der rheinische Frohsinn mehr oder minder erfolgreich überdeckt. Nicht wenige Domstadt-„Tatorte“ handeln dann auch genau davon.
Die erschütternden Übergriffe der Silvesternacht haben, neben zahlreichen persönlichen davon berührten Schicksalen, darum auch die Marke Köln im Innersten angegriffen. Ein Treffer ins Mark! Der Lack des Frohsinns ist ab, was darunter zum Vorschein kommt, wirft kein gutes Licht auf „Kölle am Rhing“. Das ist nur zum Teil auf die außerordentlichen Vorkommnisse selbst zurückzuführen, die nun leider nicht mehr ungeschehen gemacht werden können. Bleibenden Schaden versprechen vor allem auch die Reaktionen auf die hundertfachen Übergriffe anzurichten. Das Kölner Krisenmanagement und dessen Kommunikation ist unter aller Kanone.
Sicherheit erschüttert
Die Sachlage, wie sie sich aus der Sicht eines kompetenten Krisenmanagers darstellen sollte, ist – unabhängig von allen Unklarheit über den genauen Ablauf der Silvesternacht und Fragen wie der, ob sexuelle Übergriffe oder Taschendiebstahl im Mittelpunkt standen – die folgende: Köln wurde dreifach ins Herz getroffen, geografisch mit den Übergriffen am zentralen Knotenpunkt von Leben und Verkehr in der Stadt, marketingtechnisch und vor allem auch menschlich. Kölner, potenzielle Kölner und die zahlreichen Gäste, die sich für gewöhnlich zum Feiern hierher begeben, sind erschüttert, sind in ihrer Bestimmtheit angegriffen, das heißt: Sind unsicher, was passiert ist, und folglich, was passieren wird und passieren kann.
Man mag von Angela Merkels konkreter Politik halten, was man will, doch stellt die Kanzlerin, im Guten wie im Schlechten, immer wieder unter Beweis, dass sie als sensibler Seismograf der Stimmung im Volk taugt. Wenn Merkel sich nun persönlich einschaltet und eine „harte Antwort des Rechsstaats“ fordert, klingt das banal – und benennt doch deutlich, wo es brennt.
Es geht nicht in erster Linie um Sex, um Flüchtlinge, um Vorsicht vor falschen Zuschreibungen und was nicht noch alles. Sondern um Bestimmtheit, Sicherheit, Aufklärung.
Alle haben sich verhoben
Doch angesichts der besonderen Umstände haben sich im Versuch, adäquat auf die Situation zu reagieren, alle Verantwortlichen in geradezu außergewöhnlichem Ausmaß verhoben.
Antirassisten und Feministinnen gleichermaßen, die mit überhasteten Exkulpationen ihrer Lieblingsopfergruppen vorpreschten oder – angesichts ihrer sonstigen Lautstärke – verräterisch schwiegen.
Die vereinte Presse, die in den Tagen nach Silvester gar nicht berichtete und dann, mit der Nase auf die Vorkommnisse gestoßen, zerknirscht Entschuldigungen publizierte oder zwischen marktschreierischen Spekulationen und deeskalierenden „Faktenchecks“ mäanderte. Die notorische Lügenpressepropaganda der neuen Rechten erhält dadurch natürlich weiter Auftrieb.
Die Polizei, die am 1. Januar noch entspannt verkündete, es sei eine ruhige Nacht gewesen, und aus deren Reihen seitdem bis heute widerstreitende Meldungen zu den Hergängen der Silvesternacht in Umlauf sind.
Und natürlich die Stadt Köln, insbesondere in Gestalt von Oberbürgermeisterin Henriette Reker. Deren unglückliches Statement, Frauen sollten zu Fremden eine Armlänge Abstand halten, das ebensogut von chauvinistischen Interessenverbänden hätte formuliert werden können, wurde völlig zu Recht voll Häme zigtausendmal geteilt und getweetet.
Vielleicht wäre die Aussage als erste, unbedachte Reaktion einer Person, die selbst kürzlich Opfer von Gewalt wurde, einer Oberbürgermeisterin im Angesicht ihrer ersten großen Krise sogar noch nachzuvollziehen. Dass aber Reker im ZDF noch einmal mit ähnlichen Formulierungen nachlegen durfte, ist ein kommunikatives Totalversagen ihres gesamten Stabes.
Ein schlechtes Licht auf diesen wirft auch das gleichzeitige Beharren darauf, dass einerseits über die Täter wenig bekannt sei und es sich andererseits aber keinesfalls um Angehörige der Flüchtlingswelle des letzten Jahres handele. Ganz richtig erklärt dazu der Kriminologe Christian Pfeiffer:
„Wir müssen die Probleme als solche erst mal ernstnehmen und beim Namen nennen. Mit Halbwahrheiten kommt man hier nicht durch. Es sind gerade diese Ausflüchte, die den Volkszorn erregen.“
Wie unvorbereitet eine Krise trifft, wie sehr sie auf die leichte Schulter genommen wird, offenbart sich manchmal mehr noch als in gewichtigen offiziellen Verlautbarungen in Kleinigkeiten. Dass Köln noch Mittwochvormittag mit der Titelstory auf der Website der Stadt den Kampf gegen Raser in den Mittelpunkt rückte und ansonsten Karnevalsvorfreude propagierte, während das Thema des Tages unter ferner liefen in einem dpa-Artikel abgehandelt wurde, lässt tief blicken.
Karneval steht vor der Tür
Und nun? Im Nachhinein zu meckern ist immer leicht. Aber kann Köln noch Schadensbegrenzung betreiben? Und was ist zu tun?
Nun, allem voran ist Kommunikation das Gebot der Stunde.
Kommunikation nach innen: Die Verantwortlichen in verschiedenen städtischen Institutionen und auf den unterschiedlichen Hierarchieebenen hätten sich viel, viel besser zu koordinieren. Es kann nicht sein, dass sich die Polizei mehrfach selbst widerspricht, die Stadtverwaltung der Polizei widerspricht und so weiter. In einer Situation, die offenkundig für so viel Unsicherheit sorgt, muss eine klare Linie gefahren werden.
Kommunikation nach außen: Es wird ermittelt, so viel ist klar. Aber wie wird ermittelt? In welche Richtungen wird ermittelt? Welche Fortschritte gibt es zu melden? Aus ermittlungstaktischen Gründen hält man Informationen zum Fortschritt polizeilicher Arbeiten für gewöhnlich gern diffus. Gerade vor dem Hintergrund des Rufes als Klüngelmetropole, der Köln bleibt, wenn das Image der Partystadt so beschädigt ist wie jetzt, ist für derartiges Taktieren aber kein Platz. Regelmäßig muss die Öffentlichkeit mit den neuesten Updates versorgt werden.
Und zuletzt müssen, auch wenn es vielleicht tatsächlich schwierig ist, genau zu identifizieren, wer wo welche Fehler gemacht hat, Köpfe rollen. Ein Signal muss gesetzt werden, und personelle Signale verstehen die verunsicherten Bürger. Auch das ist Kommunikation. Und notwendig.
Wir wollen doch nicht, dass Feierlustige ausgerechnet im Karneval eine Armlänge Abstand zu Köln halten. Kölle Alaarm!
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