Für eine Kultur der Verantwortung
In Deutschland ist die Angst vor der Selbständigkeit weit verbreitet. Ein gründerfeindliches Klima trägt dazu bei. Doch volle Verantwortung für sein eigenes Leben und sein berufliches Tun übernimmt einzig der Selbständige.
Schon der römische Philosoph Seneca riet seinen Lesern im Traktakt „Vom glücklichen Leben“, um Irrtümer zu vermeiden, sich tunlichst vom „großen Haufen“ fernzuhalten. Gehalten haben sich an diesen Rat aber — allem besseren Wissen zum Trotz — im privaten wie im politischen Leben bis zum heutigen Tage nur wenige. Wie vor 2000 Jahren, so drängt es auch heute die Menschen in größere Gemeinschaften. Zumindest im Berufsleben sollten aber doch die Prinzipien der praktischen Vernunft zum Zwecke des persönlichen Fortkommens Anwendung finden. In der Realität jedoch übt auch hier „der große Haufen“, die wohlbekannten Konzerne und Unternehmen, eine unwiderstehliche Anziehungskraft aus. Es scheint, als sei es der sehnlichste Wunsch nahezu eines jeden deutschen Berufsanfängers, sich in diesen Haufen zu begeben, in einer dieser Institutionen ein Karriereleben lang zu arbeiten und mit knapp 60 die Riesterrente zu genießen.
Gehorsame Wetterfrösche
Zwar ist es naheliegend und verständlich, dass am Anfang einer Karriere der Wunsch besteht, innerhalb eines festen Arbeitsverhältnisses bei einem Unternehmen mit nachweisbarer Expertise etwas zu lernen und Erfahrung zu sammeln. Doch leider klettern dann die meisten deutschen Arbeitnehmer wie gehorsame Wetterfrösche langsam die Karriereleiter hinauf, statt irgendwann den Absprung zu wagen. Warum drängt es so viele Menschen in unserem Land in ein Angestelltenverhältnis? Warum streben so wenige Deutsche eine selbstständige, unternehmerisch geprägte Laufbahn an? Und warum sind so wenige Menschen in unserem Land bereit, die volle Verantwortung für ihr eigenes Leben zu übernehmen?
Hauptbeweggrund dafür ist wohl der Wunsch nach Beständigkeit des Arbeitsplatzes, also in erster Linie ein erhöhtes Bedürfnis nach Sicherheit. Wer jedoch sein Denken so stark nach Sicherheitsaspekten ausrichtet, der sollte in seine Überlegungen mit einfließen lassen, dass sein Angestellten-Schicksal nur zum Teil vom eigenen Können abhängig ist. Die Sicherheit eines Arbeitsplatzes wird nämlich von einer Vielzahl von nicht beeinflussbaren Faktoren bestimmt. Dabei gilt: Je größer der Konzern und je niedriger die Hierarchiestufe, desto größer ist die Menge dieser Unwägbarkeiten. Ein Angestellter eines Konzerns ist eben nicht nur von der Qualität seiner eigenen Arbeit abhängig, sondern von der Qualität der Arbeit des gesamten Kollektivs. So kommen in einem großen Konzern absolut betrachtet deutlich mehr Unsicherheitsfaktoren zusammen, als in einem kleinem Unternehmen. Zwar kommt es in weitläufigen Strukturen zu einem starken Verdünnungseffekt, wenn gravierenden Individual-Fehlleistungen erbracht werden. Doch hätten beispielsweise all die viel bemitleideten Schleckerfrauen sich noch so sehr im Kundenverkehr ins Zeug legen können, daran, dass der Konzern moderneren Discountern und dem Longseller Edeka ebenso wenig etwas entgegen zu setzen hatte, wie spezialisierten Drogerien, wäre letztendlich nichts zu rütteln gewesen.
Nichts ist sicher
Bei näherer Betrachtung ist es mit der vermeintlichen Sicherheit in einem großen Konzern also nicht weit her. Letztlich hat sein Schicksal nur derjenige voll und ganz in der Hand, der weitestgehend auf der Basis seiner eigenen Überzeugungen und der eigenen Verantwortung Entscheidungen treffen kann — unabhängig von der Meinung und den Unzulänglichkeiten anderer.
Zugegebener Maßen erhöht sich die Zahl und die Qualität der selbst beeinflussbaren Faktoren, je höher man in der Angestelltenhierarchie steigt. Doch bis zum Tag der Ernennung zum Geschäftsführer hat man seine Zeit in Unsicherheit und Fremdbestimmung verbracht.
In einem abhängigen Arbeitsverhältnis wird die Sicherheit des eigenen Arbeitsplatzes also gar nicht in dem Maße gewährleistet, wie es das erhöhte Sicherheitsbedürfnis — das ja die Hauptmotivation des diesbezüglichen Handelns darstellt — dem Grunde nach verlangt. Von daher ist es interessant sich einmal mit den Gründen und Folgen dieses erhöhten Sicherheitsdenkens auseinander zu setzen. Dabei ist zunächst festzustellen, dass ein starkes Sicherheitsbedürfnis stark positiv mit mangelndem Selbstvertrauen korreliert. Ein starkes Sicherheitsbedürfnis dokumentiert somit den fehlenden Glauben an, oder einfach nur das fehlende Bewusstsein der eigenen Fähigkeiten. Der starke Drang in die Angestelltentätigkeit ist somit auch Indikator für die Angst, die volle Verantwortung für sein eigenes Leben zu übernehmen. Das Maß an Übernahme von Verantwortung ist es jedoch, welches die Qualität der Arbeit bestimmt. Da Arbeitsqualität der wohl wichtigste Entlohnungsparameter ist, kann derjenige, der keine Verantwortung übernehmen will, nicht erwarten, dass eine solche Haltung auf Dauer mit großen Geldsummen entlohnt wird. Verantwortung voll und ganz für sein eigenes Leben und sein berufliches Tun übernimmt einzig der Selbständige.
No risk, no fun
Bei der Betrachtung des Sicherheitsbedürfnisses eines Menschen ist zu beachten, dass die Bereitschaft Risiken einzugehen positiv mit den Chancen auf Erfolg korreliert. Wie an der Börse gilt: geringes Risiko, geringe Chance, hohes Risiko, hohe Chance. Niemand kann daher ernsthaft erwarten, große berufliche Chancen zu erhalten, wenn er kein Risiko eingehen möchte.
Um Risiken eingehen zu können, muss man sehr genau wissen, über welche Fähigkeiten man verfügt. Daher gibt es nur ein einziges strukturelles Risiko, von den individuellen Marktrisiken einmal abgesehen, über das es sich lohnt lange nachzudenken: die Möglichkeit einer fehlerhaften Einschätzung der eigenen Fähigkeiten. Das größte Risiko ist somit, sich selbst zu überschätzen. Und sicher erfahren unternehmerische Fehlschläge, die aus Selbstüberschätzung und Hybris resultieren, große mediale Aufmerksamkeit. Klar: Was spektakulär scheitert gerät spektakulär in den Blick. Allerdings scheint im Großen und Ganzen die Selbstunterschätzung deutlich verbreiteter als die Selbstüberschätzung. Der Mensch ist mit so vielen Fähigkeiten ausgestattet, derer er sich im Allgemeinen gar nicht bewusst ist. Wer nicht weiß, was er kann, traut sich auch nichts zu. Nur geraten all die verpassten Chancen aufgrund mangelnden Selbstbewusstseins eben nicht in die öffentliche Wahrnehmung. Womöglich aber wurde weit mehr Wohlstand verschenkt, weil jemand sich nichts zutraute, als aufgrund der Selbstüberschätzung einiger weniger.
Kultur der Verantwortung
Für das Selbstbewusstsein, das es braucht, damit erfolgreiche unternehmerische Tätigkeit möglich ist, ist ein gründerfeindliches Klima Gift. Nur mit einer Kultur der Verantwortung, die zu eigenem Handeln ermutigt und gleichzeitig sicherstellt, dass ein Scheiternder nicht sein ganzes Leben lang als Gescheiterter gebrandmarkt wird, ist Zukunft zu gestalten. Heute wie vor 2000 Jahren gilt: Wir sollten unser Schicksal selbstständig bestimmen, die volle Verantwortung für unser Leben übernehmen und dem „großen Haufen“ fernbleiben.
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