Recht-zeitig
Unsere Justiz muss schneller werden, wenn sie die Anforderungen der Bevölkerung an den Rechtsstaat erfüllen will. Kommt das Recht zu spät, ist es oft kein Recht mehr. Das steigert die Gefahr von Selbstjustiz. Die Zeit drängt.
Handwerksmeister Müller war empört. Nach zwei Jahren Verfahrensdauer meinte der Richter im dritten Verhandlungstermin immer noch nicht über seinen Werklohn entscheiden zu können. Es müsse ein weiteres Gutachten eingeholt werden. Müller wurde laut und jammerte, wenn er nicht bald sein Recht – und damit sein Geld – bekäme, drohe er Pleite zu gehen. Mittlerweile wüssten die faulen Kunden ja, dass er die Heizung nicht einfach wieder ausbauen könne und lachten sich kaputt. Der Richter lächelte freundlich und sagte: „ Wir führen hier einen Prozess. Und Prozess kommt vom Lateinischen „procedere“. Das heißt „voranschreiten“ und nicht „voran rennen“. Ein richtiges Urteil braucht Zeit.“
Nun, unabhängig davon, dass „procedere“ nicht ausschließlich „voranschreiten“ bedeutet, hilft so ein Spruch dem Betroffenen nicht viel. Er könnte sogar als zynisch empfunden werden, wobei ich nicht einmal glaube, dass er so gemeint war. Er beschrieb lediglich die Realität der Justiz, deren Mühlen manchmal so langsam mahlen, dass das Korn der Gerechtigkeit darin langsam aber zuverlässig verschimmelt. Gerade dann, wenn Sachverständigengutachten eingeholt werden müssen, können Verfahren sich elend lange hinziehen.
5 Jahre ein Mörder
Szenenwechsel: Der Mandant wurde eines bestialischen Mordes verdächtigt. Bereits ein paar Tage nach der Tat wurde er erstmalig festgenommen, über Nacht in eine Zelle gesperrt und nach seiner morgendlichen Vernehmung wieder entlassen. Drei Jahre später wurde er aus heiterem Himmel erneut festgenommen, es erging Haftbefehl und er wurde nach einer Woche wieder aus der U-Haft entlassen. Es dauerte ein weiteres Jahr, bis die Staatsanwaltschaft eine wackelige Anklage erhob und noch ein paar Monate, bis das Landgericht die Eröffnung des Verfahrens ablehnte, was wiederum ein paar Monate später vom Oberlandesgericht bestätigt wurde. Rund fünf Jahre galt er als Mordverdächtiger, seine Nerven lagen blank. Dass er unschuldig war, nutzte ihm da auch psychisch nichts, es war eher noch schlimmer. Auch nicht, dass seine Unschuld nach fünf Jahren feststand. Entschädigt wurde er nur für die eine Woche U-Haft, nicht für die seelische Pein.
Abwarten und Tee trinken
Im letzten Monat billigte das Bundesverfassungsgericht einer Beschwerdeführerin 3000 Euro Entschädigung zu, weil sich die Entscheidung über ihre Verfassungsbeschwerde über fünf Jahre hinzog. Das war selbst für das Verfassungsgericht ziemlich lang.
Drei Beispiele aus ganz unterschiedlichen Rechtsgebieten, die deutlich machen, dass die Justiz häufig zu lange braucht, um zu Entscheidungen zu kommen.
In den Asylverfahren wird gerade schmerzhaft deutlich, wie wichtig schnelle Entscheidungsprozesse sind. Wer einen Asylanspruch hat, muss das schnell bestätigt bekommen und wer nicht, auch. Im Lager abwarten und Tee trinken ist auf Dauer unerträglich.
Der einfache Schluss, mehr Verfahren erfordern mehr Richter, wird aber nicht in ausreichendem Maße gezogen. Alles Gelaber über die Beschleunigung von Verfahren hängt davon ab, auf wie viele hoffentlich kluge Köpfe diese Verfahren verteilt werden.
Selbst wenn die gerichtlichen Entscheidungen dann am Ende richtig sein sollten, kommen sie häufig zu spät. Was nützt es dem Handwerker, wenn er nach Jahren Recht bekommt und sein Handwerkerlohn dann nur noch an seinen Insolvenzverwalter geht? Seine Angestellten musste der auch bezahlen, als seine Kunden ihn nicht bezahlten. Wer entschädigt den Freigesprochenen für den unsäglichen Stress, die Verdächtigungen der Nachbarn und womöglich der Familie, während eines laufenden Ermittlungsverfahrens? Lässt sich so etwas überhaupt wieder gut machen? Was bringt es, wenn die Sozialhilfe Jahre später erst nachgezahlt wird? Und wie fühlt sich ein Vergewaltigungsopfer, wenn es sich vier oder fünf Jahre nach der Tat erneut mit der Tat und dem Täter auseinandersetzen muss?
Hungern und Dürsten nach Gerechtigkeit
„Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit, denn sie werden gesättigt werden.“ (Mt 5:6 ) heißt es beim Evangelisten Matthäus. Aber das bezieht sich auf eine göttliche und damit ideale Gerechtigkeit. Die gibt es im wahren Leben nicht – auch wenn die Gerichte sich redlich darum mühen wollten – und so verhungert und verdurstet der ein oder andere auf dem Weg zu seinem Recht schon alleine deshalb, weil es zu lange dauert.
Nun könnte man ja auf die Idee kommen, die lange Verfahrensdauer läge an faulen Richtern und Staatsanwälten, die sich einfach zu viel Zeit ließen. Dies mag im Einzelfall vielleicht sogar tatsächlich stimmen. In der Regel sind die Richter und die Staatsanwälte allerdings eher fleißig und bemüht, so schnell wie möglich zu arbeiten und so viele Sachen so gut wie eben möglich zu erledigen. Das kann aber nicht klappen, wenn zu wenige Richter und Staatsanwälte mit immer mehr Verfahren befasst sind. Irgendwann stößt jeder an seine Leistungsgrenze. Manche Richter richten dabei ihre Gesundheit zu Grunde, was die Sache auch nicht verbessert.
In Zivilverfahren wird eine Beschleunigung nur möglich, wenn mehr Richter plus entsprechendes Geschäftsstellenpersonal eingestellt werden und die Arbeit damit auf mehr Köpfe verteilt wird. Größere Änderungen der Zivilprozessordnung, die zu einer Beschleunigung der Verfahren führen könnten, sind ohne Verlust für die Richtigkeit der Entscheidungen kaum denkbar.
In Strafverfahren wäre da durch Gesetzgebung deutlich mehr machbar.
Einfache Maßnahmen
So könnte man zum Beispiel durch eine Legalisierung von Haschisch/Marihuana bei Erwachsenen eine ganz erhebliche Einsparung von überflüssigen Ermittlungsverfahren und Verhandlungen bewirken. Nebeneffekt wäre eine Entkriminalisierung von Menschen, die nichts anderes tun, als ohne andere zu behelligen, ein Genußmittel zu genießen. Sogar Steuereinnahmen ließen sich mit einer Cannabissteuer erzielen.
Mit einer Ausgabe von kostenlosen Fahrausweisen für den öffentlichen Personennahverkehr für Bedürftige ließen sich ebenfalls unzählige Pillepalle-Verfahren wegen Beförderungserschleichung einsparen. Das Sparpotential bei der Justiz würde vermutlich die Kosten für diese Maßnahme locker aufwiegen. Wenn ich sehe, wie oft alleine ich ein und denselben Jugendlichen bzw. mittlerweile Heranwachsenden wegen Schwarzfahrens vertreten musste, und wie viel Pflichtverteidigerhonorar da insgesamt gezahlt wurde, stellen sich mir als Steuerzahler die Nackenhaare auf. Als Anwalt freut’s mich natürlich. Auf diesen Wahnsinn hatte ich bereits in einer Kolumne hingewiesen. Die Kosten für die Haftunterbringung entfielen ebenfalls.
Denunziantenstadl
Da würden Kapazitäten frei um die zusätzliche Flut von Anzeigen zu bearbeiten, die jetzt NRW-Justizminister Kutschaty mit seinem Appell, fremdenfeindliche Hetze anzuzeigen, auslösen könnte. Nicht, dass ich falsch verstanden werde, es ist richtig, wenn sich der Staat um diese Hetze kümmert, sofern sie strafrechtlich relevant ist. Es muss aber nicht sein, dass sich nun die sozialen Netzwerken in Denunziantenstadl verwandeln, in dem Jeder Jeden und Jede anzeigt und die Justiz sich mit einer Fülle von Strafverfahren beschäftigen muss, von denen die meisten ohnehin eingestellt werden dürften, weil die Äußerungen entweder zwar geschmacklos, aber nicht strafbar sind oder aber die Täter nicht zu ermitteln, weil sie ihre Klarnamen nicht verwendet haben. Dazu kämen noch all die Verfahren, in denen der Verdächtige behauptet, sein Account sei geknackt oder einfach von jemand anderem verwendet worden. Oder er habe vor Abfassen seiner Heilsbotschaft eine Flasche Hochgeistiges verköstigt und sei deshalb schuldunfähig gewesen. Bei der Rechtschreibung der meisten derartigen Posts wird man das kaum widerlegen können.
Angeln im Forellenpuff
Dass der NRW-Innenminister gleich acht neue Fahnder einstellt, die das Netz nach Hetze durchforsten, wird schon reichlich neue Verfahren generieren. An Hetze herrscht ja kein Mangel. Das wird für die Fahnder wie Angeln im Forellenpuff. Wenn es der Politik da ernst sein sollte, muss sie dann aber neben den Netzfischern auch weiteres Personal zur Verfügung stellen, das diesen ganzen Kram dann aufarbeitet – also mehr Staatsanwälte und Richter.
Letzte Woche erschien der Bericht der von Justizminister Maas einberufenen Expertenkommission zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des allgemeinen Strafverfahrens und des jugendgerichtlichen Verfahrens. Dem werde ich in einer der nächsten Wochen eine eigene Kolumne widmen. Vorab kann ich aber schon einmal verraten, dass die Empfehlungen zwar den ein oder anderen guten Ansatz haben, dass die Umsetzung dieser Vorschläge aber keine oder jedenfalls keine wesentliche Beschleunigung der Strafverfahren mit sich bringen wird.
Man kann das drehen und wenden wie man will. Wer eine funktionierende Justiz haben will, bekommt diese nicht zum Nulltarif. Wer da immer wieder notwendige Investitionen unterlässt, gefährdet nicht nur die Qualität der Entscheidungen, er gefährdet die Akzeptanz des Rechtsstaats in der Bevölkerung und muss sich nicht wundern, wenn der ein oder andere dann statt eines Rechtsanwalts lieber eine Schlägertruppe mit dem Inkasso seiner berechtigten Forderungen beauftragt, weil ihm das alles zu lange dauert. Wer sogar noch Richter und Staatsanwälte einsparen will, spielt mit dem Feuer. Wenn die Justiz kein schnelles und gutes Recht liefert, fühlt mancher sich zur Selbstjustiz berechtigt.
Gutes Recht ist schnelles Recht. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Es ist an der Zeit, das zu begreifen.
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