Frau
Vier Weisen, den Satz „ich bin eine Frau“ zu betonen. Und auch eine Antwort auf Erzbischof Giuseppe Laterza. Eine Kolumne von Frau Chris Kaiser.

Der italienische Erzbischof Giuseppe Laterza hat in Italien einen Shitstorm gegen sich selbst ausgelöst, als er in der Sonntagspredigt vor Weihnachten die Bemerkung machte: „Die Jungfrau Maria ist die freieste Frau der Welt, weil sie entschied, zu gehorchen.“ Dann setzte er das hinzu, das ihn endgültig zum Ziel von viel Kritik und Schmähung im aufgeheizten Internet machte: „Sage das mal einer den Feministinnen“.
Der giftige Seitenhieb gegen „Feministinnen“ sagt natürlich weniger über Feministinnen aus, als über die Gedankenwelt des Erzbischofs, die aber nicht verwundert, da die katholische Kirche nicht unbedingt im Rufe steht, die freisten Denker auf hohe Posten mit Macht auszustatten. Oder Frauen. Oder Frauen überhaupt in ihre Hierarchie reinzulassen. Da wir mit einem Grinsen konstatieren können, dass Feministinnen ein bisschen der natürliche Feind einer machistischen italienischen Enklave mit Absolutheitsanspruch über die Welt („urbi et ORBI“) darstellt, so ist der einführende Satz dennoch derjenige, der in mir die süffisanteren Gedanken auslöst.
Don Laterza hat sich mit diesem Satz gebührend verdient, im eigentlich schon vorher fertig konstruierten Text mit sowas wie Fußnoten bedacht zu werden. Aber bleiben wir vorerst bei dem ursprünglichen Konstrukt.
Frau-sein ist spätestens seit der Infragestellung durch Simone de Beauvoirs berühmten Spruch „Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es“ nicht mehr als eine selbstverständliche Definition zu sehen. Dass die Markus Söders dieser Welt sich im Basta-Stil das Gendern verbitten und es – weil man es als Ministerpräsident kann – einfach verbietet, lässt darauf schließen, dass viele sich wohl selbst für zu dumm halten, um ein bisschen Komplexität auszuhalten.
Linguistik und Biologie
Man kann davon ausgehen, dass jedes Wort eine ganze Linguistik anstrengen kann. In dem Moment, wo es uns Menschen entweder direkt betrifft oder das eigene Selbstverständnis irgendwie herausfordert, wird es noch schwerwiegender und sollte eigentlich mit noch mehr Vorsicht bearbeitet werden. Es hat direkte und nicht selten schwerwiegende Auswirkungen, was die Identität von Individuen anbelangt, wenn es ein soziopolitisches Label wird, das knallharte Politik oder gesellschaftlich Hopp oder Topp bedeutet. Unzweifelhaft gibt es eine physische oder biologische Dimension, die in diese anderen beiden Sphären Auswirkungen haben – zum Beispiel Abtreibungsrecht oder die Angst, nachts in der Stadt zu laufen, oder tagsüber an einer Baustelle vorbei. Der sexuelle Akt zwischen Frau und Mann hat grundsätzlich immer die Implikation, dass die Frau schwanger werden kann: also schwach werden, ausgeliefert, gesundheitlich beeinträchtigt, emotional besessen, kurz die Freiheit des Individuums mindestens für eine längere Zeit nicht mehr zu besitzen. Also ist dieser Punkt der Dichotomie im sexuellen Akt der Punkt, in dem sich Weiblichkeit und Männlichkeit nicht mehr leugnen lassen, aber sie genau eben nicht an diesem Punkt aufhören, sondern das ganze restliche Leben beeinflussen kann.
Aber damit nicht genug
Aber, wenn es nur das wäre! Wenn es selbst diese unwiederbringliche existenzielle Dichotomie nur wäre! Im Laufe der Jahrhunderttausende, in denen die Menschheit Gesellschaft und Kultur, Technologie und Tradition zum wesentlichen Teil gemacht hat, in der SPRACHE alles organisiert und eben in dem Maße möglich macht – in diesem Punkt muss man dann auch ansetzen, um zu analysieren, was lediglich biologisch bestimmt ist (und wie beschrieben, ist das schon himmelschreiend unterschiedlich) und was jenseits dessen ein Konstrukt wird. Wie Beauvoir andeutete. Denn Sprache ist eben nicht Biologie sondern betrifft genau diese Sphäre, die jenseits dessen ist: nämlich Kultur. Und wie kann man behaupten, dass die Sprache rein biologisch ist. Sie kann Biologie beschreiben, aber das ist eine inadäquate Nutzung, die voller Hilfskonstrukte ist. Denn Sprache ist zuallererst eben sozial bestimmt, sozial wirksam, sozial entstanden. Also ist es bei weitem erwartbarer, sich mit dem Gendern zu beschäftigen, als ein unterkomplexer – männlicher – Stammtischrührer mit Landesvater-Macht glauben machen will. Ich mache es dennoch sehr sehr einfach. Ich arbeite mit nur einem Satz. Einem einzigen. Vielleicht versteht der eine oder die andere etwas besser, wie konstruiert ein einfaches Wort wie „FRAU“ sein kann. Und wie viel Macht Sprache haben kann, die wir einfach nicht leugnen sollten.
Ich bin eine Frau
Ich bin eine Frau. So würde sich jeder einig werden bei mir, denn – ich habe tatsächlich Schwangerschaft und Geburt hinter mich gebracht. Im biologischsten Sinne habe ich den Beweis erbracht. Aber fangen wir doch mal an, zu sehen, wie dieser Satz mit der einfachen Feststellung mit unterschiedlicher Betonung zu unterschiedlichen Bedeutungen führt.
1. „Ich bin eine Frau“.
Wer so etwas sagt, indem „ich“ betont wird, will im Deutschen ausdrücken, dass das Subjekt selbst sich von anderen unterscheidet. Wenn man diesen Satz so Don Laterza entgegnet, würde man ihm zu verstehen geben, dass er selbst über die wahre Bestimmung von Frauen als Mann in einer männerdominierten Institution eben nichts oder nur wenig aussagen kann. Die Jungfrau Maria wird dem Subjekt mit dieser Aussage näher sein, als sie diesem Kirchenmann sein kann. Und nicht nur die Jungfrau Maria wäre dem Subjekt näher, sondern auch die „Feministinnen“. Noch schöner wäre es, wenn man sagen würde: „Die Jungfrau Maria war eine Frau“. Also ist sie per se den Feministinnen näher als er ihnen sein kann. Also kann er sich noch so viel drehen und wenden und Marien-verehren, sie steht jenseits des Zauns mit den Feministinnen, und er ist nicht Teil des Clubs. Egal wie „gehorsam“ Maria zu sein von ihm behauptet wird.
2. „Ich bin eine Frau“.
Das Subjekt behauptet seine Identität. Es steht zu der Darstellung, eine Frau zu sein. Wenn Laterza – und hier spekuliere ich nicht ganz ohne Grund dabei – den Feministinnen und allen „ungehorsamen“ Frauen unterstellen würde, dass sie nicht das sind, wie sich seine Idee von katholischer Kirche eine Frau vorstellen würde, dann bricht seine ganze Idee dort zusammen, dass „seine“ Jungfrau Maria in seinem Kopf ein völlig irreales Bild einer Frau darstellt. Während das Subjekt (und auch die echte Maria, wenn es sie gegeben haben sollte) eben reale Frauen sind. Sie definieren Frausein durch ihre Existenz, mehr als ein katholischer Zölibatbefolger durch Lesen und mit seiner katholischen Lehre geformte Vorstellung je vermögen. Jede noch so aus dem Gros der Frauenschaft herausstechende Frau vermag mit ihrer noch so abweichenden Person mehr „die Frau“ zu definieren, als ein abgehobener (männlicher) Prediger, zumal vorherrschend unter Männern lebend, je in der Lage ist. Existenz schlägt Vorstellung.
3. „Ich bin eine Frau“.
Eine von vielen. Eine Facette dessen was „Frau“-sein ausmacht. Jede Mainstream-Frau und jede völlig abseitig existierende Frau zusammen, als Maria, die Feministin, die Nonnen, die atheistischen, die italienischen und die amerikanischen etc. Frauen zusammen ergeben das, was man als „Frau schlechthin“ zu sehen hat. Und davon ist jede individuelle Frau eben eine. Eine von ca. 4 Milliarden (und da sind alle vorherig existierenden Frauen noch nicht gezählt). Selbst die vorgestellten und imaginierten Frauen würden eben nur „eine“ Frau sein, und eben nicht die Repräsentanz. Sie wären weiterhin ein Tröpfchen im Meer des „Frau-Seins“.
4. „Ich bin eine Frau“.
Man könnte meinen, keiner sagte es schöner als Eowyn, als sie den Hexenkönig in Herr der Ringe tötet, während sie es durch eine Negation sagte: „Aber ich bin kein Mann!“. Sie sagt es vor dem Todesstoß, als er zu ihr rief: „Du Narr! Kein lebender Mann vermag mich zu töten!“. Tja, Pech. Sie ist eine Frau. Sie ist eben kein Mann. Tatsächlich würde Simone de Beauvoir selbst da einen Einwand haben. Denn sie warnte mit dem Titel „Le Deuxième Sexe“ („Das andere Geschlecht“) davor, sich nur als Nicht-Mann zu sehen. Als das, was man dann noch erwähnt: Ah, ja, stimmt, der Mensch ist an sich eigentlich ein Mann, aber da ist ja noch was – die Frau. Die andere. Der zweitrangige Teil. Das Suffix beim Gendern. Und Feministinnen (bei dem Wort im Deutschen tragischerweise auch mit diesem Suffix geschlagen) stellen sich in dem Punkt gegen den Mann, wenn er für sich das gesamte Menschliche beansprucht, während die Krumen („Frauen und Kinder (nur dann) zuerst“ weil sie sonst niedergetrampelt werden), der Kaffeesatz sozusagen, der Nachgedanke aus der Rippe, das sind dann diese Frauen. Das Gendern ist das absolute Minimum der Forderung. Bitte gebt uns WENIGSTENS das Suffix, wenn wir schon nicht Teil der „Brüder“ in der „Ode an die Freude“ sind. Und nicht nur „kein Mann“ wie Eowyn sagte, ex negativo. Sondern in dem Satz ist es „FRAU“ als eigene Identität. Ich sehe mich mit dieser Identität. Singulär. Nicht als „nicht-Mann“, nicht als Suffix, nicht als ein Anhang wie „Frauen und Kinder“, sondern selbstbewusst, mit den Eigenschaften, die eine Frau auszeichnen. Was auch immer diese sein mögen.
Persönliche Meinung
All dieses gesagt, und soviel mit „ich“ und „ich bin eine Frau“ und all das – so möchte ich dennoch hier wiedergeben, wie eine sehr gute Freundin und ich vor vielen vielen Jahren in einem Punkt sehr unterschiedlich dachten. Während sie sagte, sie fühle sich in erster Linie als Frau und dann erst als Mensch, so konnte ich dem nicht zustimmen. Im Gegenteil, das erschien mir abartig. Ich sehe mich zuerst als Mensch. Das ist meine primäre Identität. Die mich mit Männern – ja, auch mit solchen wie Laterza- und Frauen – und Kindern! gleichermaßen zusammenbringt und definiert. Ich setze mich nicht vordergründig gegenüber einem Mann und sage: Ich bin anders als DU! Sondern versuche zuerst zu sagen: Don Laterza – wirklich? Und was ist mit dir, und all den Männern? Du unterscheidest zuerst zwischen Männern und Frauen und dann hast du leichtes Spiel, die Frauen alle gleichermaßen den Männern unterzuordnen. Denn „katholisch“ heißt „Hierarchie“. Das geht in schon längst gedachte Fahrwasser.
Natürlich bin ich mit diesem Gedanken GEGEN das Gendern. Nur nicht aus dem Grund wie der bayerische „Landesvater“, der sich nicht mit der Komplexität der sprachlichen Identitätszuschreibung auseinandersetzen möchte. Sondern weil ich nicht einsehe, in irgendeiner Form, sprachlich oder außersprachlich, alleine durch meine zufällige Identität durch die Biologie ein „Anderes“ zu sein, das sichtbar gemacht werden muss. Denn ganz schnell ist ein solches „Kennzeichnen“ das, was mich von dem ausschließt, was diejenigen ohne Kennzeichnung als selbstverständlich erachten.
Ja, ich bin eine Frau. Aber es macht mich weder stolz noch hat irgendjemand das Recht, mich deswegen zum „Nicht-“ oder „Anders-Menschen“ zu machen.
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