Jahr um Jahr, Tag um Tag

Wenn in Science-Fiction-Geschichten der Astronaut sich vom Sonnensystem entfernt und immer noch in Jahren, Tagen und Stunden zählt, dann ist das eine grobe Übersetzung für uns, dem Leser auf der Erde. Wenn in Geschichten aus dem alten China die Stunde der Ratte mit Mitternacht übersetzt wird, dann können wir uns hier in West-Europa darunter wenigstens etwas vorstellen. Beides sind Fallstricke, über die wir an einer anderen Stelle in der Geschichte stolpern könnten. Aus verschiedenen Gründen. Eine Kolumne von Chris Kaiser

Erde pixabay

Wir haben heutzutage weltweit eine einheitliche Regelung der Zeiteinteilung. Es handelt sich dabei sicher nicht um die möglichst beste Lösung, aber die tradierte eurozentrische hat sich durchgesetzt, sei es aus kolonialer Dominanz oder auch deswegen, weil die technologischen Erfindungen der Neuzeit, die das schnelle Reisen ermöglichten, im europäischen und europäisch geprägten Teil der Welt erfunden wurden.

Andere Systeme wurden zurückgedrängt. Doch, wenn man die verschiedenen Kulturen und ihre Aufzeichnungen vergleicht, findet man interessante Alternativen und letztlich auch Ähnlichkeiten. Es handelt sich dabei oft um Konstanten, die eben auf der ganzen Erde gelten. Erst wenn wir Aliens in einer fernen Zukunft begegnen, werden wir spätestens merken, dass andere Sonnensysteme und andere Planeten eben auch in diesen „Konstanten“ Variablen sehen.

Überall auf der Erde

Aber zumindest wir hier, in allen Ecken der Erde, können davon ausgehen, dass wir in etwa dieselbe Zeit der Sonnenzyklen erleben. Genauer gesagt, ist es eher der Zyklus der Erdumdrehung um die Sonne, aber wenn wir uns strikt an der Beobachtung von der Erde aus halten, dann können wir uns mit dem aztekischen oder dem babylonischen Seher einig werden.

Es gehört nicht viel dazu, zu merken, dass unsere Schatten auf dem Boden durch die Sonnenbestrahlung im Laufe des Tages kürzer und wieder länger werden (und dabei von rechts nach links wandern) und an einem Zeitpunkt des Tages eben am kürzesten sind. Und dass dieser kürzeste Schatten über Tage hinweg auch länger und dann wieder kürzer wird, und das mit der Wärme der Jahreszeit korreliert. Links und rechts davon ist er wiederum länger. Und wenn man eine Sanduhr oder eine andere kontinuierlich messende Zeitmechanik laufen lässt, stellt man fest, dass der Abstand zwischen den beiden kürzesten Schatten von zwei aufeinanderfolgenden Tagen immer gleich ist. Und wenn man schlau ist, merkt man, dass dieser Abstand von derselben Zeit zwischen zwei Tagen der Schatten immer in dieselbe Richtung zeigt. Die Sonnenuhr ist somit erfunden. Und die Mittagszeit. Natürlich hängt die Länge des Schattens direkt mit dem Stand der Sonne am Tagesablauf zusammen. Und das ist überall auf der Welt gleich.

Wie kurz wird der Schatten und wann

Wenn man das Ganze weiter beobachtet, dann merkt man, dass auch dieser kürzeste Schatten des Tages über verschiedene Tage hinweg länger und kürzer wird. Und es gibt einen Tag, an dem der kürzeste Tagesschatten, also der Mittagsschatten, auch der kürzeste im Vergleich zu allen anderen Mittagsschatten ist und dieser Punkt kommt immer ziemlich genau nach 365 Tagen, bevor der Schatten sich quasi wieder umdreht, um dann wieder länger zu werden. Und wenn man wieder die Sanduhr parallel rieseln lässt, dann merkt man, dass dieser kürzeste aller Mittagsschatten dann auftritt, wenn der Sonnenaufgang und der Sonnenuntergang maximal auseinanderliegen. Und weil der Schatten im Zusammenhang mit der Sonne steht, wird es eben nicht

„Schattenwende“ genannt, sondern Sonnenwende. Der Schatten muss aber nach dem Längerwerden auch wieder kürzer werden und das tut er nach der Hälfte der 365 Tagen (ungefähr). Und am längsten ist der Mittagsschatten, wenn der sonnenbeschienene Tag besonders kurz ist. Das ist auch eine Sonnenwende. Je weiter nördlich man sich auf der Nordhalbkugel der Erde befindet, desto krasser ist der Unterschied zwischen beiden. Kein Wunder dass die Sonnenwenden in den nordeuropäischen Mythologien und Jahresabläufen besonders bedeutend sind.

Unabhängige Bewegungen

Diese Beobachtungen sind physikalisch an die Sonnen- und Erdmechanik gebunden. Aber in dieser Mechanik kommen nicht nur ganze Zahlen oder ganze Vielfache und Teiler vor. Der Tag ist das Erscheinen der Sonne über dem Horizont, während eigentlich die Erde sich dabei um sich selbst dreht, und sich zugleich in einer elliptischen Bahn um die Sonne herum bewegt. Die beiden Mechaniken sind voneinander unabhängig.

Und so kommt es, dass das, was wir ein „Jahr“ nennen, also wie lange die Erde braucht um um die Sonne herum wieder an derselben Stelle auf ihrer elliptischen Bahn zu landen, eben nicht in einer ganzen Zahl an Tagen gezählt werden kann. Der Tag entspricht bekanntlich der Zeit, die die Erde braucht, um sich einmal um sich selbst zu drehen, um dabei dieselbe Stelle der Erde sich im selben Winkel von der Sonne bescheinen zu lassen. Genau genommen wandert dabei die Erde sich ein 365stel weiter in ihrer Bahn um die Sonne, so dass es nicht ganz derselbe Winkel des Bescheinens ist, wenn sie sich einmal um sich selbst gedreht hat, dieser Winkel trifft dabei um ein paar Minütchen verspätet ein. Die Ellipsenform der Bahn lässt selbst dieses Abweichen nicht gleich, sondern je nach Punkt auf dieser Ellipsenbahn sind es mehr oder weniger Minuten, die sich das Gleichbescheinen verspätet. Als ob das nicht kompliziert genug wäre, braucht die Erde um die Sonne herum auch keine ganzzahlige Anzahl an Eigenumdrehungen, also mehr als 365 Tage, circa ein Viertel Tag mehr. Wir sehen, dass unsere Sterne-Mond-und-Sonne-beobachtenden Vorfahren eine Menge an Mathematik erfinden mussten, um selbst diese Konstanten als große Ordnung, womöglich von Göttern geschaffen, zu präsentieren.

Irdische Zyklen

Es gab aber auch weitere objektivierbare, wenn auch nicht so trennscharf messbare, Phänomene, die die Menschen in vielen Kulturen ähnlich beobachten konnten. Auf der Nordhalbkugel, in den gemäßigten Zonen, welche die heutige globale Kultur prägen, haben wir vier Jahreszeiten, die sich zwar durchaus an den erd-sonnen-mechanischen Gegebenheiten binden lassen, aber letztlich wird der Zyklus nach der landwirtschaftlichen und Versorgungs-Notwendigkeit des täglichen Lebens eingeteilt: Der Winter ohne Bewirtschaftung der Felder, dafür harsche Lebensbedingungen, die nach fester Behausung, Bevorratung der Nahrung und dicker Kleidung verlangen. Der Sommer, in dem man lange im Hellen tätig sein kann und tatsächlich auch auf die große Jahres-Ernte zuarbeitet. Dazwischen der wichtige Herbst, in welchem diese Ernte stattfindet und anschließend die Felder für den nächsten Zyklus vorbereitet werden, die Bevorratung und Konservierung des Geernteten wichtig ist. Der Frühling hingegen ist die Befreiung vom Muss des Heizens, um nicht zu erfrieren, das sprichwörtliche und buchstäbliche Keimen der Hoffnung, noch ein Jahr zu überleben.

Fatale Rechenfehler

So ist es in Europa, in Nordamerika und im großen altehrwürdigen China. Und letztlich ist genau dieser Aspekt des Zyklischen des Jahres das Wichtige, das die Berechnungen der Tage, Stunden, Sonnenwenden, Neu-Jahr notwendig machen. Im alten Ägypten war die Berechnung der Nilschwemme als zyklisches Phänomen, an der Sommersonnenwende orientiert, eine kultische und staatliche Aufgabe, die insgesamt die Zivilisation deutlich prägte. Es war somit keine akademische Spielerei der Gelehrten, die Mechanik genau zu berechnen. Dass über die Jahrzehnte sich der einmal mit 365 Tagen berechneten Jahresablauf verschiebt, hat zur Folge, dass die berechnete Sonnenwende im Kalender immer weiter zurückfällt.

Und somit warten zum Beispiel im alten Ägypten die Menschen vergeblich auf die Nilschwemme, die dann plötzlich ein paar Tage später hereinbricht, als sie alle ihre Vorbereitungen liegengelassen haben. Das kann eine Katastrophe bedeuten. Auch sonst: Sich nur nach den klimatischen Gegebenheiten zu orientieren, ist für den Bauer nicht unbedingt das Beste, denn der Oktober kann ungewöhnlich milde sein und verlocken, die Ernte noch um ein paar Tage zu verschieben, während dennoch die Winterkälte des November dann doch mit ein paar Tagen Schnee wütet und da ist das Getreide noch nicht trocken gelagert für die lange Winterzeit. Der Bauer braucht das präzise Datum, das ihm Orientierung bietet.

Mathematik ist Staatssache

Und das berechneten die Nerds der Jungsteinzeit und der Bronzezeit, die im Turm über der Stadt den Lauf der Gestirne am Nachthimmel und am Boden den Schattenwurf der Sonnenuhr beobachteten und dazwischen sicher über diese krummen Zahlen der Verhältnisse von Jahr zu Tag und dann noch der Mondphasen schier verzweifelten. Damit muss man auch umgehen können und eine Lösung bieten, die eine unvergängliche Ordnung, eben einen ewigen Zyklus bietet. Und wenn sie Mist bauten, dann mussten sie sich mit irgendwelchen mythischen Erklärungen retten oder eine neue Lösung bieten. Fehler waren für den Staat letztlich fatal, denn die Landwirtschaft war das Rückgrat der Zivilisation und war ihrerseits wetter-, klima- und jahreszeitenabhängig.

Mathematik für Nerds

Jedenfalls waren diese frühen Mathematiker und Astronomen mit der Tatsache geschlagen, dass die Erde bei ihrer Umrundung um die Sonne eben 365,24219 Tage, oder Eigenumdrehungen, lang braucht. Und das im Schnitt! Diese Nachkommastellen sind ja nicht sofort bemerkbar, aber über die Jahre sind es Fehlbeträge, die sich addieren. Und dann das Fehlerfass über einen Tag überfließen lassen. Dann gibt es eben einen Schalt-Tag, eine Fehlerkorrektur. Aber diese Fehlerkorrektur ist bei einem Vierjahresrhythmus auch zu viel, denn 0,24219 ist nicht 0,25. Deswegen gibt es die Korrektur der Korrektur und alle 100 Jahre wird eben nicht geschaltet, obwohl es ein viertes Jahr der Zählung ist. Und dann wieder ist das irgendwann einmal wieder überkorrigiert und muss wieder zurückkorrigiert werden, so dass alle 400 Jahre doch wieder ein Schaltjahr stattfindet.

Diese Regelung ist eine mathematische Berechnung der Jahreslänge, orientiert an der Beobachtung und Messung der eigentlichen Umrundungszeit der Erde um die Sonne, die – zumindest die Altvorderen – an dem kürzesten Schatten messen konnten.

Gregors Kalenderbruch

Diese beschriebene Korrektur der Korrektur der Korrektur (etc.) mithilfe von Schalttagen ist aber das, was wir heute global und globalisiert nutzen und den „gregorianischen Kalender“ nennen. Benannt nach dem Papst Gregor, der 1582 die heute gültige Zählung festlegte. Eigentlich eine Korrektur des damals bestehenden julianischen Kalenders, der dieselbe Grundidee des Schaltjahres mit dem Schalttag 29. Februar hatte, aber eben nicht die weiteren hin-und-her-Korrekturen vorgenommen hatte. Und über die Jahrhunderte ganze 10 abweichende Tage angesammelt hatte.

Der julianische Kalender seinerseits war schon mit einem Geburtsfehler in die Welt gesetzt worden. Na gut, so schön selbsterklärend war er schon mit seinen Monatsnamen und hin- und herschwankenden Monatslängen nicht gewesen. Warum wir den neunten bis zwölften Monat mit den lateinischen Bezeichnungen für sieben bis zehn haben? Weil die alten Römer vor Julius Cäsar die ersten 61 Tage des Jahres einfach ignorierten und ihnen keine eigenen Monate oder gar Namen zugeordnet hatten. Erst im 2. Jahrhundert vChr. schoben sie den ianuarius und februarius ein. Dass diese zusammen keine 61 Tage haben, macht nichts, sagte sich der vorjulianische Römer, dann ist das Jahr halt mal kürzer und dann mal länger, wenn wir Schalt-Monate einfügen müssen.

Et tu, Schaltjahr?

Julius Cäsar konnte sich das ganze Elend mit den mal hin, mal hergeschobenen Tagen im Jahr nicht mehr ansehen und wollte römische Bürokratie und Effizienz zu der Tradition des Antritts der Konsuln in den Dienst am 1. Januar des Jahres verbinden und hat sich – beraten von einem ägyptischen Astronomen und Mathematiker – die bis heute ungefähr gültige Ordnung einfallen lassen, mitsamt dem einen Schalttag alle vier Jahre, und zwar im Februar.

Bevor das vierte Jahr nach Einführung anbrach, wurde Cäsar 44 vChr. getötet, Was gleich zwei Dinge zur Folge hatte: Erstens – da die Römer damals seinen Kalender genausowenig liebten wie die Senatoren Cäsar – dass wir heute noch dank Shakespeare eher wissen, dass der spektakuläre politische Mord an den Iden des März stattgefunden hat, als dass es der 15. März und Zweitens – dass Cäsar die Schaltjahrwächter für seinen neuen Kalender noch nicht gut geschult hatte und diese ihn so verstanden hatten, dass das Schaltjahr ALLE drei Jahre stattfinden sollte, er meinte aber: NACH drei Jahren, also das jeweils vierte. Augustus nahm dann die erste Korrektur kurz nach Christus vor und setzte die ursprünglich geplante vier-Jahres-Regel ein, diesmal richtig. Und 1582 kam dann der komplexe Korrekturen-Reigen durch Papst Gregor, wie wir ihn heute noch kennen und wie ich weiter oben ausgeführt habe.

Erleichtert sind wir endlich im perfekten Rhythmus angekommen und die römisch-christliche Tradition hat es ja auch gut hingekriegt. Oder?

Möge der bessere gewinnen?

Naja. Als der präziseste und „richtigste“ historische Kalender der Welt gilt der persische oder iranische. Im Gegensatz zum gregorianischen Kalender, der einem mathematischen Modell folgt, bei dem durch viel try and error das Ergebnis steht, quasi indem man munter und stur nach seinem mathematischen Modell die Jahre abspulen lässt und nur ab und zu nachschaut, ob die astronomische Beobachtung noch zum irdischen Almanach passt, bleibt der persische Kalender – der im 11. Jahrhundert eingeführt wurde – immer ganz nahe bei der Astronomie.

Der Kalenderverkünder guckt nämlich grundsätzlich IMMER nach, wann die Tag-und-Nacht-Gleiche ist und richtet die Monate im Abstand darum herum immer gleich ein. Letztlich gibt es auch da ungefähr alle 4 Jahre ein Schalttag, aber eben aus dem richtigen Grund: der Einstrahlungswinkel der Sonne auf die Erde und somit die Sonnentageslänge auf der Erde. Die – auch da 12 – Monate sind gleichmäßiger über das Jahr verteilt, mit 30 bzw. 31 Tagen: 6×31+6×30=366 Tage. Der letzte Tag des letzten Monats erscheint eben nur – ungefähr – alle vier Jahre. Und der erste Tag des persischen Jahres ist die Tag-und-Nacht-Gleiche des Frühlings. Was für eine beglückende Symmetrie ohne das historische römische Kuddel-Muddel!

Globalisierung per Flugzeug

Doch Persien hat das Pech, eben nicht der dominanten europäischen Kultur anzugehören. So wie die internationale Luftfahrt die Flughöhe in amerikanischen und unpraktischen Fuß angibt, nur weil die Amis zuerst kommerziell über den Teich flogen, so teilen wir das Jahr eben nach diesem Korrektur-Korrektur-Korrektur-System in so in Tage ein, wie es sich zwei römische Kaiser und ein römischer Papst einfallen ließen. Und letztlich wahrscheinlich auch, weil die Amis zuerst über den Teich flogen.

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