Sieg mit Euphorie

Chris Kaiser über die American Eagle Werbung.

American Eagle Sydney Sweeney

Bild von theobald68 auf Pixabay

 

Man hat es schon fast vermisst. Ein neues Woke-vs-Anti-Woke-Aufregerle. Am Ende ist es eine weitere bittere Niederlage der „woken“ Hälfte der Amerikaner und – wie man jetzt in allen möglichen Medien hierzulande (ZEIT, Spiegel, BILD ….) lesen kann – auch in Europa.

Aufregung um Sydney Sweeney: Was ist passiert?

Sydney Sweeney ist eine amerikanische Schauspielerin, die sich einen Namen gemacht hat unter anderem mit Rollen in der Serie „Euphoria“, die sich mit harten Themen (vor allem sexuellen) von Teenagern auseinandersetzt.

Ein blondes, blauäugiges All-American It-Girl hat Werbung für eine sehr amerikanische Jeans-Marke gemacht: „Sydney Sweeney hat großartige Jeans“. Ja, genau das „great“, wie Amerika unter Trump wieder sein will. Und amerikanischer als „American Eagle“ kann man als Jeans-Marke nicht heißen. So weit so gut. Aber lost in translation steckt mehr hinter dem Spruch, ein Wortspiel, das zu der gerade erwähnten Empörung und dem Gegentriumph der Rechten geführt hat. Denn „has great Jeans“ ist ein Homophon zu „has great genes“. Was kein Zufall ist, denn der Video-Clip zu der Werbung spricht es explizit aus:

„Genes are passed down from parents to offspring, often determining traits like hair color, personality and even eye color”

sagt die lasziv sich räkelnde Schauspielerin Sweeney, und dann sagt die Stimme aus dem Off:

„Sydney Sweeney has great Jeans/genes.“

Darin wollen empörte woke Linke Eugenik lesen! Das ist doch nicht zu fassen! Selbst der amerikanische Präsident, der über alle Zweifel und sexuelle Neigungen für junge hübsche Amerikanerinnen erhabene Donald Trump, kann darin nichts erkennen, warum sich diese überempfindlichen Anti-Amerikaner aufregen. Sein Markenzeichen, das Superlativum maiestatrumpis, fehlt auch hier nicht:

„The HOTTEST Ad out there.“

Aber was meinen diese schon wieder Aufgeregten, von denen man glauben könnte, sie seien inzwischen zu erschöpft, wieder und wieder gegen den überwältigenden Blitzkrieg des Trumpschen Rechtspopulismus zu scheitern, wenn sie sich doch wieder zu einer neuen Empörungswelle aufrafften, um nur (wieder) selbst darin zu ertrinken?

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Profis

Gehen wir davon aus, dass die Werbeagentur, die American Eagle da für sich arbeiten ließ und die Sydney Sweeney engagiert haben, Profis sind. Und dabei auch die Benetton-Werbung aus den 90ern kennen (HIV-Kranke, ölverschmierter Seevogel, Kinderarbeit), in der in den politischen Diskurs reinprovoziert wurde, um Diskussionen über das Kaufen von Kleidungsstücken hinaus zu entfachen. Damals konnte man wohlwollend vermuten, dass Benetton diesen schwer zu ertragenden Problemen der Menschheit mit ihrer Marke zur Aufmerksamkeit verhelfen wollen, oder umgekehrt der Marke vorwerfen, daraus wortwörtlich Kapital zu schlagen.

Benetton ging damals ein Risiko ein, denn jenseits davon, dass garantiert Benetton in jedermanns Munde sein würde, konnte es durchaus sowohl diejenigen verschrecken, die sich mit diesen sozial belastenden Themen hin zur Lösung beschäftigten als auch die anderen, die eben gerade mit diesen Themen der Zeit nicht konfrontiert werden wollten.

United Colors of Benetton hat in den 80er Jahren das “United Colors“ seines Namens mit Antirassismus und globale Einigung zwischen verfeindeten Staaten umgesetzt und damit Werbung gemacht. Ab 1991 kamen dann provokante echte Nachrichtenbilder wie HIV-Kranke, blutige Kleidung aus dem Bosnien-Krieg und Ähnliches dazu.

Tatsächlich hatte Benetton infolge seiner Kampagne seinen dadurch sehr stark einsetzenden Bekanntheitsgrad auch mit langwierigen Prozessen, Boykott-Aufrufen und der negativen Besetztheit der Marke eingekauft. Finanziell war es damit nicht sehr erfolgreich. Wenn man ein genuines soziales Engagement nicht mit einrechnet, dann war der größte Fehler der Werbekampagne, dass man sich – nach heutigen Kategorien – sowohl die woke als auch die anti-woke Community vergraulte.

No risk

Dieses Risiko geht American Eagle mit Sydney Sweeney nicht ein. Überhaupt nicht. Denn die Nibelungen-Treue bis hin zur Selbstschädigung, für die die klare Mehrheit der Trump-Wähler bekannt ist, die sich in den letzten Jahren immer bereit erklärte, sich für die Symbolik ihres von Trump gekitzelten National-Stolzes, Merchandising zu kaufen – auf die kann man mit einiger Sicherheit wetten. Da sich „Woke“, (gerne auch Anti-Amerikaner genannt), mit „American Eagle“ (amerikanischer Adler) garantiert nicht so identifizieren wollen, wenn sie sich die robuste blaue Baumwollhose einkaufen, ist diese Hälfte der Amerikaner von vorneherein keine sichere Kundschaft.

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Der sowieso notorische, auf Europäer, und vor allem Deutsche immer etwas seltsam wirkende Nationalstolz der Amerikaner ist unter und mit Trump inzwischen „auf Steroide“. Die schon länger seltsam-hysterische Sektenkultur der verschiedensten christlichen Gruppen hat jetzt mit dem Hand-auf-Herz/Bibel/Fahne-Patriotismus unter der roten MAGA-Mütze eine unheilige Hochzeit gefeiert. Die dabei nicht eingeladenen Liberalen und „Woken“ bekommen keinen Fuß in die Tür, da der Patriotismus für die MAGAs nicht mehr von Trump zu trennen ist. Für Gott und den Leader Trump, alles andere ist antiamerikanisch und anti-Gott.

Americaversum

„Gene“ sind in diesem Americaversum der Anti-Wissenschaftlichkeit zwar noch vorhanden, aber nicht im Sinne von mRNA-Impfungen oder Evolution, sondern mit „Haar- und Augenfarbe“, die offensichtlich dann „great“ sind, wenn sie von einem blonden, blauäugigen All-American-Girl getragen werden. Dass „great genes“ im Zusammenhang mit gutem Aussehen meist im Smalltalk entschuldigend gesagt wird, dass man dazu eben nicht durch eigene Leistung, sondern durch die Gen-Lotterie beschenkt wurde – vergessen. Dass ein Produkt dann verkauft wird, wenn es sich auch für die von der Gen-Lotterie nicht gut Beschenkten lohnt, SCHEINBAR vergessen. Wenn jemand nur dann „great Jeans“ wie American Eagle tragen kann, wenn sie „great genes“ wie Augenfarbe und Haarfarbe (blau und blond) – was für eine perfide Masche, die MAGAs nicht sehen wollen und zwar umso weniger, je mehr man sie darauf von Links her aufmerksam machen würde.

Die perfideste Masche jedoch: Dass man damit gerechnet hat, dass sich bei den Wachen („woken“) unter uns jemand findet, der die Linie zieht zwischen blond und blauäuigen Genen zu 1933 in Europa und dass dann die MAGA-Sektierer garantiert Gründe und Argumente finden würden, dass da keine Linie besteht, während man selber an der Strippe hängt. Inzwischen muss niemand mehr diese Strippen ziehen, gelernte Reflexe und Schwarmverhalten tun das Seine. Im Walmart im mittelsten Mittleren Westen wird sich die MAGA-Wählerin nach der Werbung mit Sydney Sweeney jetzt eher für American Eagle entscheiden als für andere Denims, auch wenn sie vielleicht weniger „great genes“ hat, aber das wird sich im Wortspiel verlieren.

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Kein Tabu

Der politische Diskurs in der Werbung ist kein Tabu mehr. Denn Trump will ja den Staat wie ein Unternehmen leiten. Und die Mega-Reichen des Landes bezahlen nicht mehr nur halbdiskret einen Wahlkampf, sondern werden zu Hof geladen. Die Verquickung des Geldes mit der Macht wird nicht als Bug, sondern als Feature verkauft. Wie Sydney Sweeneys Jeans von American Eagle.

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