Ein widerlicher Beschiss
Eine Heilpraktikerin und ein Unternehmer wurden gestern vom Landgericht Ingolstadt zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, weil sie ein unwirksames Krebsmedikament für viel Geld an Kranke verkauft haben. Eine Kolumne von Heinrich Schmitz.
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Die 57-jährige Heilpraktikerin aus dem oberbayerischen Schrobenhausen – ja das gibt’s – schmückte sich selbst mit einem Professorentitel. Diesen hatte ihr die „Canceraid Church“ in Nevada als Ehrenprofessorwürde „für ihre herausragenden Leistungen in der Krebshilfe“ verliehen. Ein Titel so wertlos wie ihre Behandlung. Der 68-jähriger Hersteller der unwirksamen Ampullen und sie verdienten sich eine goldene Nase.
Nun muss man der Vollständigkeit halber erst mal darauf hinweisen, dass das Urteil noch nicht rechtskräftig ist, da Revision eingelegt wurde. Deshalb gilt die Unschuldsvermutung für die Justiz. Ebenso wie im Fall oder vielleicht auch Nichtfall Til Lindemann bedeutet das aber nicht, dass man über das Verfahren nicht berichten dürfte.
Das Landgericht hat verdammt lange gebraucht, um zu einem Urteil zu kommen. Rund 60 Zeugen wurden gehört.
Der 68-jährige Hersteller des Präparats wurde wegen Betrugs zu einer Gesamtstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt, u.a. auch für das Inverkehrbringen eines nicht zugelassenen Arzneimittels. Die Heilpraktikerin wurde außerdem wegen missbräuchlicher Verwendung eines Professorentitels mit einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren belegt.
Nachweislich hatten die beiden Angeklagten schwerkranken PatientInnen eine unwirksame Eiweißplörre unter dem Namen BG-Mun für 5.900 € pro Packung verkauft. Der Unternehmer hatte gegenüber den Abnehmer:innen behauptet, dass das von ihm hergestellte Mittel BG-Mun „die Metastasen auflösen“ und damit den Krebs besiegen werde. Warum der Mann noch keinen Nobelpreis bekommen hatte und das Zeug nicht von Ärzten eingesetzt wird, fragte sich offenbar keiner der Betroffenen. Die Frage stellte sich allerdings die Medizin studierende Tochter einer der betroffenen Patientinnen, die im Prozess als Zeugin gehört wurde.
Sie wurde stutzig, weil der angeklagte Unternehmer kaum medizinische Fachbegriffe kannte und auch ihr, als gesunder junger Frau, dasselbe Präparat andrehen wollte. Bei ihr sollte BG-Mun die Haut verbessern und ihre Jugend erhalten, also „einfach ein Wundermittel gegen alles“. Vermutlich kann man damit auch Krebse am Strand auflösen. Wer weiß das schon? Bei dem Treffen präsentierte sich der Angeklagte als Arzneimittelproduzent und bezeichnete BG-Mun auch als Arzneimittel, erinnerte sich die Medizinstudentin. Ihrer Mutter versprach der Unternehmer laut Aussage der Tochter „definitiv, dass sie mit BG-Mun geheilt werden wird“. Alleine das ist schon eine unseriöse Riesensauerei.
Nun reicht eigentlich schon dieser eine Fall, um diesen Dr. Eisenbart der Neuzeit aus dem Verkehr zu ziehen. Aber es war ja leider nicht nur ein Opfer, sondern mindestens 70 Fälle.
Während das Inverkehrbringen eines nicht zugelassenen Arzneimittels sich wohl ebenso leicht nachweisen lässt wie das unberechtigte Führen eines Professorentitels, ist das mit dem Betrug so eine Sache.
Denn so ein Betrug setzt Vorsatz voraus. Und da könnte in der Tat ein Angriffspunkt der Revision vorliegen. Das Irre bei solchen „Heilern“ ist ja, dass sie, wenn sie nicht völlig abgewichst sind, ihren eigenen Blödsinn glauben. Und wenn man selbst glaubt, dass der Müll, den man den Leuten verkauft, Krebs heilen kann, dann mag man zwar womöglich völlig bekloppt sein, aber es fehlt einem möglicherweise tatsächlich der Betrugsvorsatz. Ich hoffe, dass die Strafkammer zu diesem Vorsatz eine gute Urteilsbegründung schreibt.
Ich hatte einmal vor Jahren für ganz kurze Zeit einen Mandanten, der Internist war. Ganz normal mit Approbation und allem Pipapo. Stutzig wurde ich allerdings, als er mir im Hinblick auf einen vorab übersandten Entwurf eines Schriftsatzes telefonisch mitteilte, er habe den Entwurf gependelt und dabei sei herausgekommen, dass das Mist sei. Nun ja, zunächst wusste ich gar nicht, was der meinte, aber dann erklärte er mir, dass das Pendel für ihn sehr wichtig sei, und er auch die Patienten grundsätzlich pendele. Zu seiner Behandlung gehörte auch – und das führte er mir vor –, dass er dem Patienten ein Medikament in die Hand legte und dann sein Pendel über der Hand das Urteil sprechen ließ, ob dieses Medikament das richtige für den Patienten sei. Nun ja, ich habe das Mandat niedergelegt. Jedenfalls hätte bei dem kein Vorsatz bezüglich eines Betruges festgestellt werden können, weil er selber an den Schwachsinn glaubte.
Dasselbe gilt auch für homöopathische Ärzte oder Heilpraktiker, die ihren Patienten nachweislich unwirksame Zuckerkügelchen verkaufen und sie damit womöglich in eine ernsthafte Gesundheitsgefahr bringen, weil die sich nicht vernünftig medizinisch behandeln lassen. Unwirksame Behandlungsmethoden sind dabei nicht etwa nur neutral und unwirksam, sie sind ernsthaft schädlich, weil wirksame Behandlungen unterbleiben. Und dennoch wird man Betrug kaum nachweisen können, wenn die den Blödsinn selbst glauben.
Für das Inverkehrbringen von nicht zugelassenen Arzneimitteln gibt es nach § 95 Arzneimittelgesetz (AMG) nur eine popelige Höchststrafe von 3 Jahren. Bei 70 Taten ergibt das aber nicht, wie man vielleicht denken könnte, eine Strafe von 70 mal 3 Jahren, also 210 Jahren, sondern es wird nach § 54 StGB eine sogenannte Gesamtstrafe gebildet. Gem. § 54 Abs. 2 StGB darf diese Gesamtstrafe die Summe der Einzelstrafen nicht erreichen und ohnehin die Höchststrafe von 15 Jahren nicht überschreiten. Man könnte also theoretisch auch alleine mit dem Arzneimittelgesetz zu den verhängten Strafen kommen, ganz ohne den Betrug.
Gleichwohl bin ich der Meinung, dass der gesetzliche Strafrahmen hier erhöht werden sollte, und zwar ganz unabhängig davon, ob der Täter oder die Täterin an die Scheiße glaubt, die sie da vertickt. Dass das Zeug nicht zugelassen ist, weiß man in jedem Fall, und das sollte reichen.
Dass die geschädigten Personen auf solche Heiler hereinfallen, ist nicht so verwunderlich, wie man meinen könnte. Wer an einer tödlichen Krankheit leidet, ist in der Regel bereit, alles zu versuchen und auch sein letztes Hemd dafür zu geben, um Heilung zu erfahren. Dieser Umstand wird gerne von solchen Heilern gnadenlos ausgenutzt, zumal die Opfer und damit Zeugen ja eh bald unter der Erde sind.
Ich empfinde ein solches Verhalten – auch wenn es kein Betrug sein sollte – als absolut widerwärtig. Mit Sterbenskranken macht man keine Geschäfte, schon gar keine Wuchergeschäfte. Denn dass die Plörre in der Produktion auch nur annähernd an den Verkaufspreis herankommen könnte, schließe ich aus.
P.S.: Mein Languageprogramm monierte bei dieser Kolumne mehrfach „Umgangssprache“. Ja, das ist so und da stehe ich zu. Schließlich soll ja jeder verstehen, welche Wut mich da gepackt hat.