Die Kolumne, von der manche irrtümlich glaubten, dass ich wie Bukowski schreibe
Niemand kann schreiben wie Charles Bukowski; daran ändern auch ein paar Schwänze und Titten im Text nichts. Die neue Jammer-Boomer-Kolumne von Henning Hirsch.
Hast du die Kommentare unter deiner letzten Kolumne gelesen, will die Chefredaktion von mir wissen.
Ja, habe ich.
Du musst dich da mehr zügeln.
ICH muss mich mehr zügeln?
Das ist zu hart, was du manchen Kommentatoren antwortest.
Auf einen groben Klotz ein grober Keil oder so ähnlich. Hätte meine Großmutter mütterlicherseits dazu gesagt.
Mich interessiert nicht, was deine Großmutter mütterlicherseits dazu gesagt hätte. ICH sage: ZÜGELE dich!! Wir sind ein seriöses Medium und beleidigen unsere Leser nicht.
Gilt das auch für dämliche Leser?
JA, auch für die gilt das!
Okay, okay, ich hab’s verstanden.
Schreib was über Bukowski.
Warum? Da gibt’s aktuell kein Jubiläum. Also keinen konkreten Anlass.
Weil von den Kommentatoren ein paar Mal Bukowski unter deiner letzten Kolumne erwähnt wurde. Deshalb.
Das reicht als Grund?
Ja, das reicht. Und dieses Mal weniger Schwänze und Titten. Damit hattest du es in deinem letzten Text übertrieben.
Manchmal echt schwer, es euch Recht zu machen.
Jammer nicht, sondern setz dich dran. Schaffst du das bis Sonntag?
Ich versuch’s.
Titten & Schwänze machen noch keinen Bukowski
Ich nehm mir also nochmal meine letzte Kolumne vor und überfliege die darunter stehenden Kommentare. Ich entdecke insgesamt 7 Sätze, in denen das Wort Bukowski vorkommt:
Erinnert mich irgendwie an Die Taschenbücher von Charles Bukowski
Ganz entfernt an Bukowski
Bukowski war ein versoffenes Arschloch. Aber er war etwas was man HH nicht sagen kann – offen für alles
Bukowski lässt grüßen
du tust Bukowski Unrecht
Bukowski war ein Genie seiner Zeit
Nicht jeder, der Titten und Ärsche schreibt, ist ein verkannter Bukowski.
Alles ein bisschen richtig, aber alles auch völlig verkehrt.
Fangen wir der Reihe nach an.
Erinnert mich irgendwie an Die Taschenbücher von Charles Bukowski.
Bukowski lässt grüßen.
Wahrscheinlich, weil ich 7x Titten und 9x Schwanz in dem kleinen Text untergebracht habe (ein Kommentator hatte sich die Mühe gemacht, das durchzuzählen). Des Weiteren kam eine Transe drin vor und ich berichtete davon, wie wir – also die Transe und ich – uns nach einer langen Partynacht im Hochsommer 1982 gegenseitig die Schwänze lutschten.
Ob das schon Bukowski ist?
Ja und nein.
Von seinem Schwanz – den er, um nicht immer Schwanz zu sagen, was auf Dauer dann nämlich ermüdend wirkt, abwechselnd auch Ding und Prügel nennt – und Titten berichtet er viel in seinen Stories. So viel, dass mir als Leser mitunter Zweifel kommen, ob er tatsächlich so viele verschiedene Titten zu Gesicht bekommen hat, wie er in seinen Geschichten behauptet. Denn wenn mal eins bei einem Schriftsteller quasi ein Naturgesetz ist, dann die Tatsache, dass er VIELE Stunden ALLEINE am Schreibtisch sitzt und Buchstabe auf Buchstabe in seine Tastatur reinhämmert. Aus den Buchstaben formen sich Worte, die reihen sich zu Sätzen, die häufen sich zu Passagen, bis dann endlich ein Stapel Papier mit ner fertigen Geschichte drin (oder: drauf) sich vor dem Autor türmt. Einen Schreiber erkennt man zum einen an seiner Kurzsichtigkeit und zum anderen an den Schwielen an seinem Hintern. Zwischen all den Worten und Geschichten bleibt echt nicht viel Zeit für ständig neue Titten. Die Quantität der sich in seinem Bett abwechselnden Frauen ist was, das ich bei Bukowski immer schon leicht in Zweifel gezogen habe. Aber vielleicht stimmt’s auch und meine Zweifel sind falsch oder entspringen bloß meinem Neid auf sein ausuferndes Sexleben. Wobei ich, seitdem ich die 50 überschritten habe, ganz froh bin, dass der Sexualtrieb jetzt nicht mehr der stärkste meiner Triebe ist und abgelöst wurde von der Hantelbank im Fittie und Facebook.
Ne Story mit ner Transe kenne ich übrigens nicht von Bukowski. Wobei ich zugegebenermaßen viele, aber nicht alle, Stories von ihm kenne. Eventuell gibt’s doch eine, die ich auch schon mal gelesen habe. Falls ja, dann hab‘ ich die Bukowski-Transen-Story jedoch wieder vergessen. Ebenfalls das, also das Vergessen, passiert mir, seitdem ich die 50 überschritten habe, ständig.
Also: nur, weil in einem Text 9x Schwanz + 7x Titten + 1 Transe vorkommt, ist es noch kein Bukowski.
Man kann gute Autoren nicht plagiieren
Ganz entfernt Bukowski.
Du tust Bukowski Unrecht.
Bukowski war ein Genie seiner Zeit.
Nicht jeder, der Titten und Ärsche schreibt, ist ein verkannter Bukowski.
Alle 4 Kommentare sind Binsen, treffen aber zu. Man kann einen Autor nicht plagiieren. Das gelingt vielleicht für die Textlänge von zwei, drei Seiten; aber niemand schafft das ne komplette Geschichte oder gar einen Roman lang. Der Stil eines Autors ist unverwechselbar und macht das Abkupfern unmöglich. Zumindest für die guten Schriftsteller gilt das. Versuchen Sie mal, einen Henry Miller oder einen Raymond Carver zu kopieren. Länger als 1 Seite werden Sie das nicht durchhalten. Und an dieser 1 Seite werden Sie LANGE sitzen und die Experten werden trotzdem merken, dass es sich um eine mittelmäßige Fälschung handelt. Wenn Sie also unbedingt was kopieren wollen, dann kaufen Sie sich ne Fahrkarte nach Paris, setzen sich im Louvre vor die Mona Lisa und malen die ab. Ist einfacher, als den Stil von Bukowski zu imitieren.
Was man tun kann – sich als Schreiber von seinen Inhalten inspirieren lassen. In Der Mann mit der Ledertasche (im Original: Post Office) – seinem Roman-Erstling – geht’s ja nicht nur um Schwänze, Titten, Geschlechtsverkehr, Jeden-Abend-saufen-bis-die-Lichter-ausgehen und Wetten auf der Pferderennbahn; zusätzlich nimmt die Schilderung des monotonen Arbeitsalltags im Innendienst der US-amerikanischen Post großen Raum in diesem Buch ein. Wenn man den Innendienst der US-Post der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts mit den heutigen Billiglohn-Jobs im Hartz4-Deutschland vergleicht (z.B. der Arbeit in einem Callcenter), bemerkt man, dass es zahlreiche Parallelen gibt. Aus Pferderennbahn macht man 1-Euro-Wettbüros (Huren, Geschlechtsverkehr und Saufen waren vor 60 Jahren dasselbe wie heute) und schon hat man die Originalstory einzig durch Veränderung der Schauplätze auf den aktuellen Stand gebracht. Und kann diese „neue“ Geschichte in seinen eigenen Worten erzählen = erinnert ganz entfernt an Bukowski.
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Kurzer Einschub an dieser Stelle zum Kommentar „Bukowski war ein Genie seiner Zeit“. Ohne jetzt lang und breit darüber zu philosophieren, was ein Genie ausmacht (dazu gibt’s mehr Definitionen als Genies in Facebook), fällt auf, dass der Schreiber die Einschränkung „seiner Zeit“ hinterhergeschoben hat. Wäre er also nach den Maßstäben der heutigen, politisch SEHR korrekten, Zeit nicht mehr als Genie zu betrachten? Ist das Wesen eines Genies jedoch nicht u.a. dadurch bestimmt, dass es zeitlos ist? Oder wäre bspw. das renaissancistische (dieses Adjektiv musste ich googlen) Universalgenie Leonardo da Vinci im März 2023 gar kein Genie mehr? Geniestatus also mittlerweile nur noch mit Verfalldatum? Ich hege, was die Vergänglichkeit angeht, große Zweifel und gehöre zur Fraktion „1x Genie, dann auf ewig Genie“. Gehe deshalb sparsam mit diesem Begriff um und sage in Bezug auf Bukowski auch nur, dass er ne verdammt gute Schreibe hatte und ich ihn echt gerne lese. Ob ne verdammt gute Schreibe gleichbedeutend mit Genie ist, mögen diejenigen beurteilen, die sich berufsmäßig mit Genie-Definitionen beschäftigen. Vorgezogenes PS. es ging diesem Kommentator natürlich nur vordergründig darum, Bukowski den Geniestatus zu gewähren (wenn auch limitiert auf seine Zeit), sondern vielmehr, ihn meiner letzten Kolumne abzusprechen. Und auch das ist natürlich eine Binse, denn wenn meine Texte 1 NICHT sind, dann genial. Hin und wieder sind sie ganz vergnüglich – zumindest ich vergnüge mich beim Tippen –, aber das ist von Genie genauso weit entfernt wie mein aktueller körperlicher Zustand von Arnold Schwarzenegger, als der in „Conan, der Barbar“ mitspielte. Ende des kurzen Einschubs.
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Sind alle Säufer zwangsläufig Arschlöcher?
Bukowski war ein versoffenes Arschloch. Aber er war etwas was man HH nicht sagen kann – offen für alles.
Über diesen Satz (ja ja, es sind 2) habe ich länger nachdenken müssen. Obwohl in klaren Worten formuliert, ist mir der dahintersteckende Sinn nicht ganz klar. Es gibt für Satz 1 nämlich 2 Deutungsweisen:
(a) versoffen & Arschloch gehören zusammen. D.h. jemand, der säuft, mutiert zwangsläufig zum Arsch
(b) versoffen und Arschloch stehen nur zufällig (bzw. individuell auf seine Person bezogen) nebeneinander, sind aber ansonsten als 2 separate Phänomene zu betrachten. Man kann also – wenn man nicht Bukowski heißt – zwar saufen, ohne ein Arsch zu sein und es gibt zusätzlich noch die Variante des nicht-trinkenden Arschlochs.
Mal völlig losgelöst davon, dass die obige Behauptung für Bukowski nicht durchgängig zutrifft – in den 80er Jahren wurde er trocken –, wäre sie in Variante (a) zudem Blödsinn. Denn ich kenne ne Menge recht netter Säufer und ich kenne zudem jede Menge nicht-trinkender Arschlöcher. Und glauben Sie mir – wenn ich von 1 Ahnung habe, dann vom Trinken, von Alkoholikern und von Arschlöchern. Die Mehrzahl der Säufer ist friedlich und will ihre Ruhe haben. Zu dieser Gruppe gehörte ganz sicher auch Charles Bukowski. Denn ohne Ruhe hätte er nie seine VIELEN Kurzgeschichten, Gedichte und Romane schreiben können. Er war also hundertpro nicht der Trinker, der ständig auf Krawall gebürstet seine Umwelt schikaniert und Frauen verprügelt. In der Realität wird er ein zurückgezogen lebender, leicht menschenscheuer Mann gewesen sein, der am liebsten vor seiner Schreibmaschine saß und die größte Befriedigung darin empfand, wenn ihm ein neuer Text gut gelungen war.
Nun kann aber die Typisierung „Arschloch“ von der Kommentatorin auch dahingehend gemeint gewesen sein, dass sie mit den Inhalten seiner Stories nicht d’accord geht. Zu viel Schmuddelsex drin, zu viele obszöne Worte, zu viel Trinkerei, zu viel Gewette auf Pferde. Ein Frauenbild, das zu wünschen übrig lässt plus eine politische Einstellung, die man nicht exakt verorten kann, was vor allem Linke überhaupt nicht mögen. Linke lesen am liebsten linke Autoren. Und wenn sie mal versehentlich nen konservativen Autor lesen und den, weil sie nicht wissen, dass der eigentlich konservativ ist, gut finden, werden sie ihn sofort verleugnen, sobald ihnen einer steckt, dass sie nen konservativen Autor in den Händen gehalten haben. Linke sind da simpel gestrickt (sie selbst würden das als ideologisch-gefestigt bezeichnen), weshalb ihnen in der Konsequenz ne Menge guter Literatur von konservativen Autoren durch die Lappen geht. Als ich in einer Gruppentherapie in der Suchtklinik Andernach, wo ich nach einem vorangegangenen Besäufnis in Koblenz mal wieder zum Entzug gestrandet war, anregte, eine kleine Exkursion zum 500 Meter entfernt liegenden Geburtshaus von Bukowski zu unternehmen, wurde dieser Vorschlag von der Psychologin mit dem Satz „Der ist doch bloß ein Autor von Trivialliteratur“ abgelehnt. Stattdessen machten wir im Anschluss irgendwas mit Speckstein.
TRIVIALLITERATUR!!
Was ist das überhaupt? Warum ist Bukowski trivial, Thomas Mann hingegen nicht? Geht’s da um die verwendeten Wörter, die Länge der Sätze, die Leichtigkeit bzw. Mühsal, die man beim Lesen empfindet? Gilt die Formel: anstrengend zu lesen + überwiegend langweiliger Inhalt -> es muss sich um Hochliteratur handeln? Falls dem so sein sollte, dann bevorzuge ICH eindeutig das Triviale. 5 Seiten Thomas Mann hatten auf mich immer schon dieselbe sedierende Wirkung wie 1 Flasche Rotwein. Während ich „Der Mann mit der Ledertasche“ in einem Rutsch durchlesen kann.
Aber zurück zum versoffenen Arschloch. Denn dieser Einwand ist ja, wenn wir vom unter Alkoholeinfluss prügelnden (was er nicht getan hat) zum aufgrund literweise Bier und Schnaps völlig enthemmt formulierenden Autor weiterziehen, nicht völlig von der Hand zu weisen. Bukowski hat politisch komplett unkorrekt geschrieben. Speziell sein Frauenbild müsste heutigen Feministinnen den Blutdruck in die ungesunde Höhe von 180 zu 120 schnellen lassen, bevor sie sich mit Benzinkanistern bewaffnet in die Büchereien begeben, um dort seine Romane zu verbrennen. Die Frauen kommen echt nicht gut weg in seinen Geschichten: irgendwas ist immer verkehrt an denen. Zu dauerhafter Liebe ist er – zumindest sein Alter Ego Hank Chinaski – nicht fähig. Es reicht für Sex und gemeinsames Trinken, aber nie hat eine Beziehung auch nur die leiseste Aussicht auf länger anhaltenden Erfolg. Alles währt kurz, ständig werden die Partnerinnen gewechselt und am Ende bleibt der Protagonist alleine vor seiner Schreibmaschine zurück. Was dieses deprimierende Bild abmildert, ist die Fähigkeit des Autors zur Selbstironie. Er sucht die Fehler vor allem bei sich und ist zudem in der Lage, sich selbst auf die Schippe zu nehmen. Nichtsdestotrotz treibt einem die schiere Anzahl der Bettgeschichten – ob die nun alle tatsächlich passiert sind oder in weiten Teilen seiner Fantasie entspringen, ist hier nebensächlich – mitunter den Angstschweiß auf die Stirn. Gut, dass AIDS damals kein Thema war, denkt man als in den 60er Jahren geborener Leser, sonst hätte HIV meinen Lieblingsautor höchstwahrscheinlich frühzeitig dahingerafft. Denn von Kondomen und Verhütung hielt er anscheinend nicht allzu viel. Zumindest erwähnt er solche Vorsichtsmaßnahmen so gut wie nie.
Frauenbild lässt stark zu wünschen übrig
Wenn sich jetzt noch zusätzlich zum misogynen Frauenbild herumspricht, dass Bukowski in der Jugend Sympathien für den Faschismus äußerte, ihm linksliberale Intellektuelle noch mehr auf den Sack gingen als republikanisch wählende Rednecks und er, wenn er von Schwarzen spricht, oft das böse N-Wort verwendet, würde sich heute kein Verlag mehr finden, der seine Manuskripte 1 zu 1 abdruckt. Ohne STRENGES Lektorat hätte er im politisch hyperkorrekten Literaturbetrieb keine Chance. Dabei leben seine Texte natürlich jenseits des Inhalts (also der erzählten Story) ganz stark von der politisch unkorrekten Sprache. Ob er in seiner Jugend mit dem Faschismus sympathisierte – drauf geschissen. Was er von linksliberalen Intellektuellen hält – wahrscheinlich dasselbe wie ich. Ob er das N-Wort nutzt: muss man nicht tun, er hat’s aber getan. Und hatte an 1 Tag im Post-Innendienst vermutlich mehr freundschaftlichen Kontakt mit Afroamerikanern als der deutsche linksintellektuelle Durchschnittsleser im gesamten Leben. Und sein Frauenbild – oh jeh, das ist schlimmer als meins. V.a. an der Austauschbarkeit, der Beliebigkeit störe ich mich. Kommt einem nicht irgendwann der Gedanke, dass Quantität auf Dauer nicht glücklich macht? Was bringt der 10.000ste Orgasmus mit der 1000sten Frau, wenn man nicht in der Lage ist, 1 davon rauszupicken, von der man sich vorstellen kann, gemeinsam mit ihr alt zu werden? Bzw. ist es dann nicht schlauer, sich seine eigene Beziehungsunfähigkeit einzugestehen und ins Zölibat zurückzuziehen? Wobei wir hier von der fiktiven Figur Hank Chinaski reden. Der reale Charles Bukowski hatte zwei länger anhaltende Partnerschaften. Aber auch beim vordergründig misogynen Hank schimmert oft durch, dass er ein nach Liebe Suchender ist. Er sie jedoch aus diversen Gründen nie findet. Die Ruppigkeit ist vor allem Selbstschutz aus ständiger Sorge vor dem Verlassenwerden – ein Schicksal, das ihn wie eine Self fulfilling prophecy in beinahe schon monoton zu nennender Frequenz alle paar Wochen aufs Neue ereilt.
Gedichte als Ausweg aus der schriftstellerischen Geschwätzigkeit
Dass Bukowski ein hervorragender Schriftsteller ist bzw. war – das steht für mich als Boomer fest, seit ich das erste Buch von ihm Anfang der 80-er Jahre in den Händen hielt. Ich hab damals direkt 3 Romane von ihm hintereinander gelesen. Dann stellte sich ein gewisser Sättigungsgrad ein, weil er begann, sich zu wiederholen. Was viele Autoren tun. Man kann ja nicht jeden Tag was völlig Neues aufs Papier zaubern. Aber nach 3 Büchern war mein Bedarf an Schwänzen, Titten, saufen, bis der Rettungswagen kommt, Pferdewetten und Schilderungen des Lebens am Rande der Gesellschaft erst mal gedeckt. In den 90-er Jahren kaufte ich mir ein paar Bände seiner Kurzgeschichten und in den 2000-ern kamen die Gedichte hinzu. Mit den Letztgenannten fremdelte ich anfangs, denn ich dachte: nicht alles, was im Schüttelsatz daherkommt, ist zwangsläufig Poesie. Ein Mitpatient erklärte mir im Raucherzimmer einer Suchtklinik, dass man sich darauf einlassen müsse (eigentlich eine Binse), dann würden einem die Gedichte irgendwann am besten gefallen. Und da man in nem Alkoholentzug außerhalb der täglichen Gruppentherapie vor allem eins hat – nämlich massig Zeit, ließ ich mich 14 Tage lang darauf ein. Und ja, der Mitpatient hatte Recht gehabt: die Schüttelsatz-Gedichte von Bukowski fingen an, mich zu faszinieren. Weil da viel Wahres auf knappem Raum konzentriert war. Jahre später entdeckte ich eine Aussage von Bukowski dazu – die ich, weil ich nicht mehr weiß, wo ich die gefunden habe, hier bloß noch sinngemäß wiedergebe: „Meine Gedichte sind mir von allen Texten die liebsten, weil ich gezwungen bin, mich kurz zu fassen und jede Geschwätzigkeit vermeide.“ Ja, so ist es! Romane sind geschwätzig und Kolumnen sind es sowieso. Die Kurzgeschichte ist ein Hybrid, Bloß das Gedicht schafft es, eine Sache präzise und knapp auf ihren wesentlichen Kern zu reduzieren. Der Gedanke gefiel mir außerordentlich. Seitdem lese ich abends oft Gedichte, schreibe aber selbst so gut wie keine. Ich bin halt ein notorisch geschwätziger Kolumnist.
Moralischer Spagat der Facebook-Zeitgeistavantgarde
Was mich oft erstaunt, ist die Wertschätzung, die Bukowski bei der linksliberalen Facebook-Zeitgeistavantgarde erfährt. Er schreibt ja durchgängig so, dass er nicht nur Radikal-Feministinnen die Zornesröte ins Gesicht treiben müsste. Hätte man vor einigen Jahren 1 seiner Gedichte an die Außenwand der Berliner Uni gehängt (statt die stinklangweilige Frauen-sind-wie-Blumen-Poesie), ohne drunter zu erwähnen, dass es von ihm stammt – die Studenten hätten nicht bloß die sofortige Entfernung gefordert, sondern in einem Aufwasch gleich noch den Rektor und den Hausmeister gelyncht. Dieselben Leute, die im virtuellen Raum Amok laufen, sobald sie da Zigeunerschnitzel und Mohren-Apotheke lesen, drücken bei Hank beide Augen zu, streicheln verträumt über ihren Hoden und sagen dann so Sachen wie: „Bukowski war ein Prophet des anderen Amerika.“ Verstehen Sie das? Ich tu’s nicht. Aber ich bin auch kein linksliberaler Intellektueller.
Ich kann mir diesen moralischen Spagat nur so erklären, dass die Zeitgeist-Avantgarde ihn zum einen mag, weil er seit knapp 30 Jahren unter der Erde liegt und man zum anderen bei ihm die Vulgarität und das Obszöne als reine Stilmittel ansieht, mit deren Hilfe der Autor einen tieferen Inhalt transportiert. Das stimmt, aber ist trotzdem nur die halbe Wahrheit. Gibt ne Menge Stories von Bukowski, die sind einfach nur vulgär, bar jeder dahinterstehenden Botschaft. Es sei denn, man interpretiert die Depression, die den Protagonisten pünktlich nach jedem Orgasmus überkommt, bereits als bedeutsame tiefenpsychologische Erkenntnis. Ansonsten tut Bukowski das, was jeder gute Schriftsteller am liebsten macht: er hämmert spontan eine Geschichte in die Tastatur, ohne sich vorher großartig Gedanken über darin eventuell zu transportierende Botschaften zu machen und erfreut sich an seiner Fähigkeit, Worte so aneinanderzureihen, dass der Leser sich dadurch unterhalten fühlt. Wenn das trivial ist – von mir aus. Erfrischender als vieles von dem, was die deutsche Schriftstellerzunft hervorbringt, ist es allemal.
Um ihn richtig zu verstehen, muss man wahrscheinlich selbst Alkoholiker sein. Dann kann man seine chronische Menschenscheu (was nicht dasselbe wie Misanthropie ist), die Unfähigkeit, sich auf längere Beziehungen einzulassen, die ständige Flucht in Bier & Schnaps, das Hinübergleiten in Parallelwelten (bei ihm die Symphonien von Mahler), die Verachtung dem Dasein gegenüber – ohne allerdings Selbstmord als Ausweg zu wählen, weil sich ein letzter Funke Verstand doch beharrlich am Überleben festklammert – aufgrund eigener, ähnlich gelagerter Gefühle gut nachvollziehen. Und während des Rausches wird dem Trinker bewusst, dass all sein Tun eitel und nichtig ist. Wie winzig und irrelevant wir aus dem Blickwinkel des Universums doch sind: Weltraum-Amöben, die niemand vermisst, wenn unser Planet uns eines Tages um die Ohren fliegt.
Stünde Bukowski morgen aus dem Grab auf und wir legten ihm seine Bücher zur Überarbeitung (z.B. das böse N-Wort ausmerzen) vor, dann würde er mit hoher Wahrscheinlichkeit sagen: Verbrennt alles und behaltet bloß 1 Dutzend Gedichte. Der ganze Rest war eitles Geschwätz. Und jetzt entschuldigt mich bitte; ich habe Durst und will mir ordentlich einen hinter die Binde kippen, denn in der Säuferhölle gibt’s leider nichts zu trinken.
Lassen Sie uns zum Schluss dieser Jammer-Boomer-Kolumne ein paar Sachen festhalten:
Bukowski ist vom Standpunkt des heutigen Zeitgeistes aus betrachtet völlig unkorrekt
Seine Leserschaft wird überwiegend männlich sein (altersmäßig möchte ich mich nicht festlegen. Vermutlich mehr Boomer als Generation Z)
Er ist einer der schärfsten Beobachter der dunklen Seiten des American way of lifes und der dazugehörigen Abgründe der menschlichen Natur, den ich kenne (und damit wir als Deutsche nicht sofort wieder in unseren Reflex „klar, die bösen Amis“ verfallen: es gibt selbstverständlich auch genügend dunkle Seiten unserer eigenen Lebensweise)
Bukowski gehört zu den Top-5-Autoren des US-Literaturbetriebs des 20sten Jahrhunderts
Dass er jahrzehntelang zu viel getrunken hat, hat seiner Schaffenskraft nicht groß geschadet. Sein Œuvre ist echt enorm
Und – um den Bogen zurückzuschlagen zum Ausgangspunkt dieser Kolumne: NIEMAND kann ihn kopieren.
Ein paar Lesetipps
Hier der guten Ordnung halber noch seine Romane in chronologischer Reihenfolge (in Klammern dahinter, wie ich sie ranke):
Post Office/ Der Mann mit der Ledertasche (1)
Factotum/ Faktotum (5)
Women/ Das Liebesleben der Hyäne (4)
Ham on Rye/ Das Schlimmste kommt noch (2)
Hollywood (6)
Pulp/ Pulp – ausgeträumt (3)
Als Einstieg in seine Kurzgeschichten empfehle ich: Fuck Machine (entnommen aus dem größeren Band: Erections, Ejaculations, Exhibitions and General Tales of Ordinary Madness). Und wer wissen will, was für Gedichte der alte Mann aus East Hollywood schrieb, dem sei Gedichte, die einer schrieb, bevor er im 8. Stockwerk aus dem Fenster sprang ans Herz gelegt.
Und nun möchte ich mit diesen 2 Zitaten schließen:
Neulich Abend habe ich mit einem Freund getrunken, der meinte, oder vielleicht sagte ich es auch selbst: „Es ist schwer, den Geruch der eigenen Kacke nicht zu mögen“. Wir unterhielten uns darüber, wie wir nach getaner Arbeit unsere Haufen betrachten und der Anblick uns mit Stolz erfüllt.
© Bukowski über Bukowski, in: Held außer Betrieb, Stories und Essays 1946 bis 1992Er schaufelte sich Kohle in den Schädel und Diamanten sprühen aus seinen Fingern.
© Tom Waits (auf dem Buchdeckel von: Held außer Betrieb)
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Charles Bukowski
* 16. August 1920 als Heinrich Karl Bukowski in Andernach; † 9. März 1994 in San Pedro, Los Angeles.
C.B. wuchs während der Wirtschaftskrise in Los Angeles auf. Schon als Kind ein Außenseiter, fand er früh Halt bei Literatur und Alkohol. Unzählige schlecht bezahlte Jobs und ein Leben in billigen Absteigen, erste Short Story mit 24, lebensgefährliche Magenblutung mit 35. Erst mit 50 konnte er vom Schreiben leben, wurde auch in Deutschland Kultautor. Seit seinem Tod wird weiter aus dem Nachlass veröffentlicht, eine literarische Gesellschaft, die seinen Namen trägt, gegründet und sein alter Hinterhof zum Kulturerbe erklärt. Heute ist Bukowski ein moderner Klassiker.
© Kurz-Cv in: Held außer Betrieb
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