Tiersachen
Tiere sind keine Menschen, aber sie sind auch keine Sachen. Eine Kolumne von Heinrich Schmitz
Bild von Sven Lachmann auf Pixabay
Bei Diskussionen über Tiere wird die vermeintliche Kaltherzigkeit von Juristen gerne mit dem verächtlich ausgesprochenen Satz garniert, dass Tiere von diesen als Sachen bezeichnet werden. Das sei grausam, herzlos und falsch.
Falsch ist dabei allerdings eher dieser offenbar unausrottbare Vorwurf gegenüber den Juristen. Juristisch gesehen sind Tiere nämlich keine Sachen.
Wer das nun partout nicht glauben will, der kann gerne einmal einen Blick in das BGB werfen:
„Tiere sind keine Sachen. Sie werden durch die besonderen Gesetze geschützt. Auf sie sind die für die Sachen geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden, soweit nicht etwas anderes bestimmt ist.“
Etikettenschwindel wird da der ein oder andere rufen. Wenn Tiere wie Sachen behandelt werden, dann nützt es ja wohl nicht viel, wenn man vorher schreibt, dass sie keine Sachen sind. Na ja, so einfach ist es dann doch nicht. Die für Sachen geltende Vorschriften werden ja nicht 1 zu 1, sondern nur „entsprechend“ angewendet. Und auch nur, wenn nichts anderes bestimmt ist. Also eben nicht immer, sondern nur da, wo das sinnvoll ist.
Mein Hund
Stellen Sie sich vor, Sie wollen einen Hund kaufen. Natürlich könnte man so idealistisch sein und vor lauter Tierrechtsbegeisterung sagen, dass man Tiere überhaupt nicht kaufen sollte, weil man ansonsten ein menschenrechtsähnliches Selbstbestimmungsrecht des Hundes und dessen Hundewürde verletzen würde. Dass Tiere keine Sklaven sind, dass überhaupt kein Mensch ein Tier als „Eigentum“ ansehen darf und jedes Tier frei bestimmen können soll, wie es sein Leben gestaltet. Wäre aber aus meiner Sicht allerdings ziemlicher Mumpitz.Mein Hund gehört mir – und ich wohl ihm.
Wenn Ihr Hund autonom beschließen sollte, auszuziehen und künftig seinen wölfischen Vorfahren nachzueifern, um in einem Rudel seine Selbstbestimmung zu finden, fänden Sie das vermutlich auch eher befremdlich, zumal er seine Absicht schwerlich korrekt kommunizieren könnte. Vermutlich kommt der eh nach kurzer Zeit zurück, weil es ihm nicht gelingt was Vernünftiges zu fressen zu jagen oder im Supermarkt kein Hundefutter bekommt, weil er vergessen hat Geld, oder wenigstens seine Kreditkarte, mitzunehmen.
Bestimmt wären Sie auch nicht damit einverstanden, wenn sich irgendjemand ihren Hund einfach mal mitnimmt und dann nicht einmal als Dieb bestraft werden könnte, weil ein Diebstahl nur an fremden, beweglichen Sachen möglich ist. Okay, ich gebe zu, man könnte natürlich an jeder Stelle im Gesetz, an der von Sachen die Rede ist noch einfügen „oder Tiere, die dauerhaft einvernehmlich mit einem oder mehreren Menschen in einer Wohngemeinschaft leben“ – oder so was in der Art. Aber wer hätte was davon?
Chico liest
Mein Hund Chico liest eher selten in Gesetzbüchern und wenn, dann mehr mit seinem Gebiss. Würde man ihn wie einen Menschen behandeln, dann hätte er damit schon ein erstes rechtliches Problem. Strafverfahren wegen Sachbeschädigung. Ich versichere Ihnen, das will der gar nicht. Der will mit mir schmusen, sein Futter, sein Wasser, seinen Spaziergang. Der will, dass ich seine Steuer und Haftpflichtversicherung bezahle, was ich natürlich auch mache, und dass er im Übrigen machen kann, wozu er Lust hat.
Tiere sind keine Sachen. Der Schutz von Tieren ist sogar im Jahr 2002 ausdrücklich in das Grundgesetz (GG) aufgenommen worden. In Art. 20a GG heißt es:
Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.“
Diesen speziellen Schutz versucht der Gesetzgeber u.a. auch durch das Tierschutzgesetz zu gewährleisten. Dass da noch manches zu verbessern wäre, ist keine Frage.
Keine Sachen
Aber gerade an diesem Gesetz wird deutlich, dass Tiere juristisch gesehen eben keine Sachen sind.
Mit Ihren Sachen dürfen Sie grundsätzlich machen, was Sie wollen. Als Eigentümer dürfen sie Ihre Sachen vernachlässigen, Sie dürfen sie beschädigen und Sie dürfen sie sogar einfach so kaputt schlagen, wenn Ihnen gerade danach ist. Wenn Sie sich über Ihren Staubsauger ärgern, dürfen Sie ihn gegen die Wand werfen. Mit Ihrem Hund dürfen Sie das nicht. Bei sexuellem Notstand dürfen Sie Ihren Staubsauger auch „vergewaltigen“ – die Notaufnahmen kennen dieses Phänomen –, mit Ihrem Hund dürfen Sie auch das nicht. Sie werden zwar bei Tötung Ihres Hundes nicht so hart bestraft, als hätten Sie einen Menschen getötet, aber eben auch nicht nur so, als hätten Sie lediglich eine Sache beschädigt. Der Straftatbestand des § 17 Tierschutzgesetz sieht da immerhin eine Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren vor.
§ 17
Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer
1.
ein Wirbeltier ohne vernünftigen Grund tötet oder
2.
einem Wirbeltier
a)
aus Rohheit erhebliche Schmerzen oder Leiden oder
b)
länger anhaltende oder sich wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden
zufügt.
Für eine Sachbeschädigung gibt es nur maximal 2 Jahre und auch nur dann, wenn man eine „fremde“ Sache beschädigt. Die eigenen Sachen darf man so viel beschädigen, wie man mag, die eigenen Tiere nicht.
Ich weiß, dass es Menschen gibt, die bei der Tötung eines Tieres eine lebenslange Freiheitsstrafe verlangen, aber so richtig ernst nehmen kann ich die nicht. Wer zwischen einem Menschen und einem Schäferhund keinen Unterschied erkennen kann, der hasst vermutlich die Menschen in dem Maße, wie er die Tiere liebt und vermenschlicht. Oder sie heißt Claudia.
Wird ein Tier durch eine andere Person verletzt, dann muss der Schädiger gemäß § 251 Absatz 2 Satz 1 BGB die Heilbehandlung bezahlen. Und zwar auch dann, wenn die viel mehr kostet, als das Tier materiell wert ist. Es gibt also bei Tieren keinen „wirtschaftlichen Totalschaden“ wie z.B. bei einem alten Auto. Allerdings kann das auch nicht unbegrenzt gelten. Vielmehr gibt es eine Grenze, die dort verläuft, wo Heilbehandlungskosten noch vernünftig sind, weil das Tier gerettet werden kann. Man wird also einen beschädigten Hamster nicht monatelang an eine Herz-Lungen-Maschine anschließen. Und ein Pferd, das nach einer Verletzung nie mehr stehen können wird, wird man von seinem Leid erlösen, statt ihm einen elektrischen Rollstuhl bauen zu lassen.
Kein Beinbruch
Wenn der Gesetzgeber im BGB bestimmte Regelungen, die für Sachen gelten, auch für Tiere gelten lässt, dann ist das kein Beinbruch. Natürlich wollen auch Sie beim Hundekauf Gewährleistungsansprüche haben, wenn Ihnen ein kranker Welpe angedreht worden ist, der Ihnen zwar keine Freude, aber horrende Tierarztrechnungen einbringen würde.
Natürlich betrachten auch Sie „Ihren“ Hund als Ihr Eigentum, auch wenn Sie ihn emotional als Familienmitglied oder Freund ansehen und ihn auch so behandeln. Sie möchten nicht, dass jemand anders den einfach mitnehmen darf.
Who let the dog out
Und Sie dürfen z.B. auch fremde Tiere aus einem Auto befreien, wenn die bei großer Hitze eingesperrt und in Lebensgefahr sind. Da machen Sie sich weder strafbar noch schadensersatzpflichtig, wenn Sie die Scheibe einschlagen. Vorher sollten Sie allerdings mal gucken, ob das Auto überhaupt verschlossen ist. Wäre auch sinnvoll, wenn Sie vorher mal in der näheren Umgebung in den Geschäften fragen, ob jemand den Halter kennt. Wenn das Tier noch nicht in akuter Lebensgefahr ist, rufen Sie sicherheitshalber Polizei und Feuerwehr. Hängt das Tier schon heftig in den Seilen, dann bitten Sie Passanten darum, sich als Zeuge zur Verfügung zu stellen, machen Sie ein Foto mit dem Smartphone und dann schlagen Sie das Fenster kaputt, holen den Hund raus und besorgen ihm was zu trinken. Auch als Tierschützer dürfen Sie das genauso bei einem Baby oder Kleinkind machen. Da müssen Sie sogar eingreifen, weil Sie sonst ein Problem wegen unterlassener Hilfeleistung bekommen könnten. Allerdings sollten Sie nicht zu voreilig zuschlagen, denn wenn der Hundehalter nur mal 3 Minuten in ein Geschäft gelaufen ist, um seinem Hund ne Wurst zu kaufen und der entspannt im klimatisierten Fahrzeug schnarcht, dann kann es teuer werden.
Selbst wenn man das wegen der Optik alles in ein paar neuen BGB-Paragrafen oder gar in einem neuen Gesetz regeln würde, was sollte das großartig ändern? Wenn man sich statt „Eigentum“ an einem Tier ein neues Wort ausdenkt? Inhaltlich müsste doch letztlich dasselbe dabei herauskommen, wie bei der aktuellen Gesetzeslage.
Sauerei Massentierhaltung
Spannender und aus meiner Sicht notwendiger als Begriffszirkus wäre ein wesentlich besserer Schutz der Tiere in der Massentierhaltung. Was da abgeht, ist unerträglich. Tiere brauchen Platz, sie brauchen Licht und Luft. 26 Hühner auf einem Quadratmeter Fläche und ein Schwein auf 0,75m² Fläche im Stall sind eine unglaubliche Quälerei. Aber das wird nicht etwa als solche sanktioniert, sondern das entspricht den gesetzlichen Vorgaben für die Haltungsstufe 1.
Bei Haltungsstufe 2 ist es nicht viel besser. Da muss es 10% mehr Fläche geben, also „nur“ noch 23 Hühner pro einem Quadratmeter und ein Schwein auf 0,825m² .
Bei Stufe 3 gibt es Außenklima. Klingt gut, bedeutet aber nicht, dass die arme Sau jetzt draußen rumrennen darf; nee, die hat jetzt auch nur 1,05m² Platz, und das „Außenklima“ wird schon durch ein offenes Fenster erreicht. Tatsächlichen Auslauf ins Freie wird bei Stufe 4 ermöglicht. Da teilen sich dann 14 Hühner einen Quadratmeter Fläche und ein Schwein hat mindestens 1,05m² zur Verfügung und kann jederzeit ins Freie. Das sollte man bedenken, wenn man meint, Fleisch kaufen zu müssen. Letztlich ist das eine Frage von Angebot und Nachfrage. Wenn wir dieses Fleisch aus Dreckshaltung nicht mehr kaufen, wird es nicht mehr produziert werden. Aber gleichzeitig sollte der Gesetzgeber sich daran machen, und zwar mal ausnahmsweise mit Tempo, die Haltung wirklich tiergerecht zu gestalten, d.h. aus der Stufe 4 die neue Stufe 1 zu machen und alles andere zu verbieten.
Tiere sind keine Sachen, ja das stimmt, aber sie werden bei der Fleischproduktion schlechter behandelt als manche Sachen. Auf Dauer können wir uns das auch – ganz unabhängig vom Tierschutz – auch aus Klimaschutzgründen nicht mehr leisten. Und vielleicht lehrt uns ja die kommende Rezession schon, das weniger mehr sein kann. Als ich ein Kind war, gab es auch nur sonntags einen Braten und der kam vom Metzger, der seinerseits beim Bauern kaufte, der aus dem nächsten Dorf kam. Und Samstag gab es Eintöpfe mit heimischem Gemüse, freitags Fisch und an den anderen Tagen irgendwas anderes. Und Sie werden nicht glauben, wie sehr man sich auf den Braten gefreut und wie der geschmeckt hat. Ja, man muss sich das leisten können; aber wenn man weitgehend ohne Fleisch kocht und Fertiggerichte meidet, kann Essen ganz schön billig sein.