Strategische Fahndung
Am letzten Montag fand in Euskirchen ein Großeinsatz der Polizei statt, der in der Stadt für Aufsehen sorgte. Unter anderem wurde eine strategische Fahndung durchgeführt. Was ist das eigentlich? Eine Kolumne von Heinrich Schmitz
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Hui, da war mal was los in meinem Heimatstädtchen Euskirchen. Ein Freund, der in der Nähe des Viehplätzchen-Viertels seine Praxis hat, schrieb auf Facebook:
Hier wird mal richtig durchgefegt in der Stadt, mehr Polizei als bei ’nem G7 Gipfel. Mit Flucht über Hausdächer und dem ganzen Programm. Morgen dürften weniger Menschen hier zu sehen sein als sonst.
Und der Kölner Stadt-Anzeiger titelte
Größte Razzia seit Jahren Polizei greift im Euskirchener Viehplätzchen-Viertel durch
Neben der Durchsuchung von 12 Objekten – für die es natürlich richterliche Durchsuchungsbeschlüsse gab, und wofür jedenfalls ein Anfangsverdacht erforderlich ist – wurde und wird bis zum 10.7.2022 eine sogenannte „strategische Fahndung“ angeordnet und durchgeführt.
Falls Sie den Begriff noch nie gehört haben, machen Sie sich nichts draus. Ich hatte den auch nicht mehr auf dem Schirm, seit dieses polizeiliche Instrument als § 12a PolG NRW 2018 von der schwarz-gelben Koalition sozusagen als Pendant zur bayrischen Schleierfahndung erfunden und in das Polizeigesetz aufgenommen wurde.
Das Gesetz
Schauen wir uns die Vorschrift mal genauer an.
§ 12a
Polizeiliche Anhalte- und Sichtkontrollen (strategische Fahndung)
(1) Die Polizei darf im öffentlichen Verkehrsraum
1. zur Verhütung von Straftaten von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 8 Absatz 3 und zur Verhütung von terroristischen Straftaten nach § 8 Absatz 4,
2. zur Verhütung gewerbs- oder bandenmäßig begangener grenzüberschreitender Kriminalität oder
3. zur Unterbindung des unerlaubten Aufenthalts
Personen anhalten und befragen sowie die zur Feststellung der Identität erforderlichen Maßnahmen nach § 12 Absatz 2 treffen. Fahrzeuge und mitgeführte Sachen dürfen in Augenschein genommen werden. Die Polizei darf verlangen, dass mitgeführte Sachen sowie Fahrzeuge einschließlich an und in ihnen befindlicher Räume und Behältnisse geöffnet werden; im Übrigen ist die Durchsuchung von Personen, mitgeführten Sachen und Fahrzeugen unter den Voraussetzungen der §§ 39 und 40 zulässig. Die Maßnahme ist nur zulässig, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass in diesem Gebiet Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen werden sollen und die Maßnahme zur Verhütung dieser Straftaten erforderlich und verhältnismäßig im Sinne von § 2 ist.
(2) Die Maßnahme ist schriftlich zu beantragen und bedarf der schriftlichen Anordnung durch die Behördenleitung oder deren Vertretung. Umfasst das festgelegte Gebiet die Zuständigkeit mehrerer Behörden, so trifft die Anordnung das Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste. Die Anordnung ist zeitlich und örtlich auf den in Absatz 1 genannten Zweck zu beschränken. Sie darf die Dauer von 28 Tagen nicht überschreiten. Eine Verlängerung um jeweils bis zu weiteren 28 Tagen ist zulässig, soweit die Voraussetzungen für eine Anordnung weiterhin vorliegen. In der Anordnung sind
1. die tragenden Erkenntnisse für das Vorliegen der Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1,
2. die Art der Maßnahme einschließlich zeitlicher und örtlicher Beschränkung und
3. die Begründung der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme nach Absatz 1 Satz 4
anzugeben.
Verhütung
Voraussetzung für diese anlasslosen Personen- und Fahrzeugkontrollen, die ja ganz zwangsläufig in der Mehrheit völlig harmlose Mitmenschen betreffen, sind Verhütungsmaßnahmen. Nun ist ja Verhütung grundsätzlich sinnvoll, um alles Mögliche, wie z.B. ungewollte Schwangerschaften zu verhindern; hier geht es aber um ziemlich genau konkretisierte Straftaten, die man verhindern möchte.
Nach §8 Abs. 3 PolG NRW sind das
(3) Straftaten von erheblicher Bedeutung sind insbesondere Verbrechen sowie die in § 138 des Strafgesetzbuches genannten Vergehen, Vergehen nach § 129 des Strafgesetzbuches und gewerbs- oder bandenmäßig begangene Vergehen nach
1.
den §§ 243, 244, 260, 261, 263 bis 264a, 265b, 266, 283, 283a, 291 oder 324 bis 330 des Strafgesetzbuches,
2.
§ 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe c) oder d) des Waffengesetzes,
3.
§§ 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 oder 29a Abs. 1 Nr. 2 des Betäubungsmittelgesetzes,
4.
§§ 96 und 97 des Aufenthaltsgesetzes.
Und bei §8 Abs. 4 PolG NRW
4) Straftaten nach
1.
§ 211, § 212, § 226, § 227, § 239a, § 239b, § 303b, § 305, § 305a, §§ 306 bis 306c, § 307 Absatz 1 bis 3, § 308 Absatz 1 bis 4, § 309 Absatz 1 bis 5, § 313, § 314, § 315 Absatz 1, 3 oder 4, § 316b Absatz 1 oder 3, § 316c Absatz 1 bis 3, § 317 Absatz 1, § 328 Absatz 1 oder 2, § 330 Absatz 1 oder 2 oder § 330a Absatz 1 bis 3 des Strafgesetzbuchs,
2.
den §§ 6 bis 12 des Völkerstrafgesetzbuchs vom 26. Juni 2002 (BGBl. I S. 2254), das durch Artikel 1 des Gesetzes vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3150) geändert worden ist,
3.
§ 19 Absatz 1 bis 3, § 20 Absatz 1 oder 2, § 20a Absatz 1 bis 3, § 19 Absatz 2 Nummer 2 oder Absatz 3 Nummer 2, § 20 Absatz 1 oder 2, § 20a Absatz 1 bis 3, jeweils auch in Verbindung mit § 21, oder § 22a Absatz 1 bis 3 des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. November 1990 (BGBl. I S. 2506), das zuletzt durch Artikel 6 Absatz 2 des Gesetzes vom 13. April 2017 (BGBl. I S. 872) geändert worden ist, und
4.
§ 51 Absatz 1 bis 3 des Waffengesetzes vom 11. Oktober 2002 (BGBl. I S. 3970, 4592; 2003 I S. 1957), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 30. Juni 2017 (BGBl. I S. 2133) geändert worden ist,
sind terroristische Straftaten im Sinne dieses Gesetzes, wenn und soweit sie dazu bestimmt sind, die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern, eine Behörde oder eine internationale Organisation rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen, und sie durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen können.
In dem zitierten § 138 StGB geht es um
1. | (weggefallen) | |
2. | eines Hochverrats in den Fällen der §§ 81 bis 83 Abs. 1, | |
3. | eines Landesverrats oder einer Gefährdung der äußeren Sicherheit in den Fällen der §§ 94 bis 96, 97a oder 100, | |
4. | einer Geld- oder Wertpapierfälschung in den Fällen der §§ 146, 151, 152 oder einer Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion in den Fällen des § 152b Abs. 1 bis 3, | |
5. | eines Mordes (§ 211) oder Totschlags (§ 212) oder eines Völkermordes (§ 6 des Völkerstrafgesetzbuches) oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit (§ 7 des Völkerstrafgesetzbuches) oder eines Kriegsverbrechens (§§ 8, 9, 10, 11 oder 12 des Völkerstrafgesetzbuches) oder eines Verbrechens der Aggression (§ 13 des Völkerstrafgesetzbuches), | |
6. | einer Straftat gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 232 Absatz 3 Satz 2, des § 232a Absatz 3, 4 oder 5, des § 232b Absatz 3 oder 4, des § 233a Absatz 3 oder 4, jeweils soweit es sich um Verbrechen handelt, der §§ 234, 234a, 239a oder 239b, | |
7. | eines Raubes oder einer räuberischen Erpressung (§§ 249 bis 251 oder 255) oder | |
8. | einer gemeingefährlichen Straftat in den Fällen der §§ 306 bis 306c oder 307 Abs. 1 bis 3, des § 308 Abs. 1 bis 4, des § 309 Abs. 1 bis 5, der §§ 310, 313, 314 oder 315 Abs. 3, des § 315b Abs. 3 oder der §§ 316a oder 316c |
Es geht also um ganz erhebliche Delikte, zu deren Verhütung die strategische Fahndung geschaffen wurde. Es geht nicht darum, lästige Menschen aus einem Viertel zu vertreiben, nicht um Pillepalle. Das kann allenfalls ein Nebenprodukt sein.
Ich würde gerne die Begründung der strategischen Fahndung in diesem konkreten Fall lesen. Denn die Maßnahme ist ja nur zulässig, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass in diesem Gebiet Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen werden sollen und die Maßnahme zur Verhütung dieser Straftaten erforderlich und verhältnismäßig im Sinne von § 2 ist. Die Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der strategischen Fahndung sind nämlich nach einer tatsachengestützten Prognoseentscheidung für ein spezifisches Gebiet bezogen auf die Zwecke der Maßnahme vorab zu bestimmen.
Bronx
Nun ist das Viehplätzchenviertel, trotz der schönen baulichen Veränderungen, die seit ein paar Jahren dort vorgenommen wurden, schon länger ein öffentliches Ärgernis, aber sicher nicht die Bronx oder ein Zentrum des internationalen Terrorismus. Vielmehr wird dort mehr oder weniger öffentlich mit Drogen gehandelt und es kommt zu erheblichen Belästigungen der Anwohner. Deshalb ist auch verständlich, wenn ein solcher gegenüber dem Stadt-Anzeiger sagt:
Das ist ein Zeichen. Richtig und wichtig. Wichtig ist es, dass es nicht nur an einem Tag ist, sondern regelmäßig passiert. Das hier ist ein Problemviertel.“
Okay. Es ist ein Zeichen. Allerdings muss man sich auch fragen, ob ein derart scharfes Schwert dazu dienen darf, Zeichen zu setzen. Und das nun regelmäßig zu machen, ist garantiert unverhältnismäßig.
Während bei den Hausdurchsuchungen immerhin einiges gefunden wurde, nämlich neben einem fünfstelligen Bargeldbetrag, Drogen, auch Spielautomaten, verschiedene Waffen, Fahrräder, E-Bikes und ein E-Roller, wurde nicht gemeldet, dass irgendetwas Produktives bei den anlasslosen Kontrollen verhütet werden konnte. Dann gab es noch ein nicht näher bezeichnetes leeres Behältnis auf einem Dach. Aber ansonsten nix Dolles.
Team Arrow
Und auch die im Rahmen der Hausdurchsuchungen beschlagnahmten Waffen sind nun auch nicht gerade spannend. Eine Armbrust, ein Langbogen, verschiedene Messer sowie ein Schlagring. klingen eher nach einer Unterkunft des Team Arrow als nach echter Bandenkriminalität oder gar Terrorismus.
Im Übrigen gab es etwas Hehler-Ware wie Parfüms und einen Einbautresor. Außerdem eine kleine Cannabisplantage und ein Auto, in dem sich Bargeld und Drogen befanden. Das ist schön, angesichts des massiven Einsatzes allerdings auch nicht wirklich befriedigend. Aber wie gesagt, das waren die Sachen, die bei den Hausdurchsuchungen gefunden wurden, die zwar zeitgleich mit der strategischen Fahndung abliefen, aber rechtlich davon völlig unabhängig sind.
Wenn der Polizeisprecher sagt,
Wir lassen keine rechtsfreien Räume im Kreis Euskirchen mehr zu.
dann stellt man sich allerdings die Frage, ob man das bisher getan hat. Denkbar wär’s ja.
Wegen der Nähe zur niederländischen Grenze gab es im Kreis schon immer eine relativ konstante Drogenszene. In der Stadt bewegt diese sich immer wieder von einem zum anderen Ort. Während sie zunächst einen Schwerpunkt hinter und vor dem Bahnhof hatte, zog sie dann mitten in die Innenstadt in den Park hinter dem Kino, um sich seit nunmehr ein paar Jahren um das Viehplätzchen herum aufzuhalten. Dass das unter dem Strich mal wirklich weniger geworden wäre, kann ich aus meiner eigenen Beobachtung heraus nicht feststellen. Immer mal wieder werden die an einer Stelle kurz aufgemischt, um dann an einer anderen wieder aufzutauchen. Für regelmäßige Streifen oder den Schutzmann op dr Eck, der regelmäßig durch sein Revier streift, fehlt es wohl an Personal.
Zeichen
Ich fürchte, dass solche „Zeichen“ nur ein Strohfeuer sind und sich letztlich nichts groß ändern wird. Auf der Straße sind ja eh nur die Konsumenten und Kleindealer unterwegs. Die wirklich Großen finden immer wieder neue Wege und agieren weitgehend unbehelligt. Und mit einer strategischen Fahndung schnappt man die eh nicht, weil die sich gar nicht in solchen Vierteln aufhalten oder schon früh genug wissen, wann so eine Ma0nahme ansteht. Die genießen ihren Reichtum lieber in dicken Autos und schicken Villen und schaffen es auch ohne 9€-Ticket problemlos nach Sylt. Nimmt man denen ein paar Kleindealer weg, dann schicken die halt einfach ein paar neue. Das ist wie mit Soldaten. Der Schwund ist eingepreist.
Okay, so einen Sturm im Wasserglas kann man ja mal machen. Allerdings bestätigt man damit wohl leider auch die Befürchtungen von Verfassungsrechtlern zum § 12a, dass so ein scharfes Schwert, so es erst einmal geschmiedet worden ist, nicht nur für den großen Kampf gegen das Böse eingesetzt wird, sondern auch, um damit ein kleines Brötchen zu schneiden. Aber genau das sollte tunlichst vermieden werden. Massive Grundrechtseingriffe bedürfen einer klaren Rechtsgrundlage und sind nicht dazu da, das öffentliche Straßenbild zu verschönern.
Dass die Anordnung der strategischen Fahndung noch eine juristische Überprüfung erfahren wird, was durchaus wünschenswert wäre, glaube ich allerdings nicht. Dazu fehlt den meisten Menschen die Energie und das Geld.