Vor dem Krieg

Während in Deutschland gegen die „Coronadiktatur“ demonstriert wird, steht an der ukrainischen Grenze ein neuer Krieg vor der Tür. Sind denn nun alle irre? Die Samstagskolumne von Heinrich Schmitz


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Bald werde ich 64. Mein ganzes Leben lang kenne ich Krieg nur aus den Erzählungen meiner Eltern, die den 2. Weltkrieg als Kinder erleben mussten und jeweils einen Bruder verloren, aus fernen Ländern in der „Tagesschau“, aus Büchern wie „In Stahlgewittern“ , Filmen wie „Die Brücke“ oder „Das Boot“ oder als Fiktion aus Kino und Fernsehen.

Ich dachte immer, das würde bis an mein Lebensende so bleiben. Ich dachte, die Schrecken der beiden Weltkriege, die Erfahrungen des Korea- und des Vietnamkrieges, die Atombombeneinsätze in Japan, die wenig erfolgreichen Kriege in Afghanistan, in Syrien und im Irak und die Massaker in Afrika hätten gewirkt. Irgendwann müsste doch auch der Dümmste verstanden haben, dass Krieg einfach nur Scheiße und kein Videospiel ist. Zu Beginn der Krimkrise war ich noch der Meinung, dass außer dem Anschluss der Krim nichts weiter passieren würde. Scheint aber nicht so zu sein.

So wie es aussieht, soll mal wieder Krieg in Europa sein. Ist ja auch schon um die 80 Jahre her. Fast vergessen. War wohl doch nicht so schlimm. Wir alten Weicheier. Nach dem Krieg ist vor dem Krieg.

Reden

Unsere wackere Außenministerin Baerbock, die erstaunlich schnell in ihr Amt gefunden und das bisher tadellos ausgeübt hat,  ruft zwar zu Recht alle künftigen Krieger auf, mieinander zu reden, aber die stecken sich ganz fest die Finger in die Ohren. Krieg scheint wieder geil zu sein. Völkerrecht ist nur was für Juristen und andere Loser, nicht für echte Krieger. Vernunft? Nö, Kantholz statt Kant. Sind die eigentlich alle bekloppt?

Kriegsrhetorik auf allen Seiten. Der Begriff „Säbelrasseln“ verniedlicht das Ganze. Wer kämpft heute noch mit Säbeln? Joe Biden droht Russland mit irgendwas, Sergej Lawrow droht immer irgendwem. Olaf Scholz droht mitunter einzuschlafen.  Die einen machen ein fettes Manöver an der ukrainischen Grenze, die anderen schaffen Soldaten und Waffen nach Osten. Die Propagandamaschinen sind angefahren. Und so geht es immer weiter. Die Lust an der Provokation ist unverkennbar. Pubertäre Schwanzvergleiche auf beiden Seiten. Wer keinen Schwanz zum Vergleichen hat, droht mit irgendwelchen nebulösen „Sanktionen“. Irgendwann knallt’s dann aber richtig. Und ich fürchte ernsthaft, dass das noch in den nächsten Tagen passieren wird. Der olympische Friede? Scheiß drauf.

Sind eigentlich alle bekloppt? Dabei sah es vor gut sieben Jahren noch danach aus, als gäbe es einen vernünftigen Weg aus der Bredouille. “Genfer Abkommen, erinnern Sie sich?”

Der Kernpunkt

Alle illegalen bewaffneten Gruppen müssen entwaffnet werden. Alle illegal besetzten Gebäude müssen ihren legitimen Eigentümern zurückgegeben werden. Alle illegal besetzten Straßen, Plätze oder andere öffentliche Flächen in den ukrainischen Städten und Gemeinden müssen geräumt werden.

litt an der Schwäche, dass nirgendwo definiert wurde, was „illegal“ in diesem Zusammenhang bedeuten sollte. Für die einen waren es die „Separatisten“, für die anderen die Maidan-Besetzer. Gekümmert hat es bisher keinen. Alle beharren auf ihren Positionen, wollen „siegen“. Jede Seite sagt, die andere habe angefangen. Die zweite Schwäche der Vereinbarung: Da steht nirgendwo, wer die Entwaffnungen und Räumungen durchführen soll. Die ukrainische Regierung vielleicht? Wie denn? Hatten deren Anhänger nicht auch mitgemischt?

Krieg ist das Scheitern der Diplomatie

Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendein normaler Bürger der Ukraine will, dass es einen Krieg gibt. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass irgendein normaler Mensch in Russland oder in Europa Krieg will. Und auch die amerikanischen Bürger haben die Schnauze gestrichen voll von Kriegseinsätzen ihrer Söhne und Töchter, die dann im Metallsarg aus fernen Ländern zurückkommen. Immerhin mit Fahne drauf, aber halt mausetot. Und trotzdem werde ich das beängstigende Gefühl nicht los, dass irgendjemand genau diesen Krieg möchte. Dass eine neue Vorkriegszeit in Europa angebrochen ist. Jetzt, nicht irgendwann.

Nein, Krieg ist nicht die Fortsetzung der Diplomatie mit anderen Mitteln. Krieg ist das endgültige Scheitern der Diplomatie, der Offenbarungseid der Vernunft, eine Niederlage des Rechts, eine einzige Katastrophe.

Es mag Situationen geben, in denen ein Krieg ein notwendiges Übel zur Beseitigung unerträglicher Menschenrechtsverletzungen ist. Zur Beseitigung eines Hitlers, wenn man den nicht eleganter beseitigen konnte. Aber eine derartige Situation lag und liegt in der Ukraine beim besten Willen nicht vor. Da muss weiter geredet und verhandelt werden. Da muss mehr Baerbock sein.

Reden garantiert zwar keine Erfolge, aber es tötet auch keine Menschen. Nichtreden oder gar Drohen und Wüten kann aber erst recht keinen Konflikt lösen. Am Ende muss ja sowieso geredet werden. Wozu dann erst viele Tote?

Vater aller Dinge

Natürlich gibt es auch Bürger, die den Krieg herbeireden wollen oder die glauben, der Krieg sei der Vater aller Dinge. Meistens sind die allerdings jenseits des wehrfähigen Alters, sitzen gemütlich mit einem Bier weit von der Front entfernt oder haben zu viele Landserhefte gelesen.

Die mir bekannten Menschen, die Krieg erlebt haben, wollen ihn nie mehr. Einige Irre wünschen sich jetzt sogar Atombomben auf Russland. Denen sollte man vielleicht einmal im Jahr ein großes Feld zur Verfügung stellen, wo sie sich ohne Gefährdung anderer Menschen gegenseitig abknallen können. Könnte helfen. Vielleicht mag das IOC das ja organisieren. Die haben es ja eh nicht so mit Menschenrechten.

Warum sollten eigentlich vermeintlich unauflösbare politische Interessenkollisionen nicht durch Münzwurf oder einen sportlichen Wettkampf à la Spiel ohne Grenzen gelöst werden? Was macht eine Konfliktlösung besser, wenn dabei möglichst viele Menschen draufgehen? Hat das archaische Gründe? Muss der Boden des Vaterlandes mit Blut veredelt sein? Die wenigsten „Interessenkonflikte“ sind doch Interessenkonflikte der Bürger, es sind auch nicht „Vaterlandsliebe“ oder „Selbstverteidigung“, sondern Wirtschaftsinteressen und Interessen derjenigen, die von kriegerischen Auseinandersetzungen direkt oder indirekt profitieren. It’s economy stupid.

Fragt mal einer die Kinder?

Es ist immer dasselbe Spiel. Erst wirft jeder jedem etwas vor – ob das stimmt oder nicht, ist völlig egal –, dann wird geballert, man nennt das auch gerne: zurückgeschossen. Und erst wenn es genug Zerstörung, Tote, körperlich und geistig Verkrüppelte gegeben hat und die Ressourcen ausgehen, redet man wieder miteinander. Manchmal erst nach Jahren des Leides und Elends für die Bevölkerung. Reden tut man immer in nobler Umgebung, egal wie die eigene Bevölkerung verreckt. Mit dunklem Anzug und bei einem guten Glas Wein und Essen von Sternköchen.

Am Ende bekommen die, die den Krieg angezettelt und entspannt in den sicheren Staatsbunkern verbracht haben, dafür auch noch gerne hin und wieder den Friedensnobelpreis. Die Waffenindustrie kann die leeren Depots erneut beliefern, die Bauindustrie baut mit internationaler Hilfe wieder auf, die Aktien steigen, die Wirtschaft boomt. Nur die Toten werden nicht mehr lebendig und die Traumatisierten finden keine Heilung.

Sterben tun dabei immer auch viele Menschen, die nie Krieg wollten. Fragt mal einer die Kinder?

Aber wen kümmert die schon in Vorkriegszeiten wie diesen?

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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