Engel in Uniform

Nach der Flut wird gemeinsam aufgeräumt. Auch wildfremde Helfer packen beherzt mit an. Protokoll eines arbeitsreichen Tages von Heinrich Schmitz

Bild: Heinrich Schmitz

  1. Freitag, 23. Juli, 6:20

Es ist jetzt 6:20 Uhr. Vor einer Stunde sind wir aufgestanden, haben uns frisch geduscht und kurz gefrühstückt, Zucker gemessen, Tabletten genommen. Der Einfachheit halber diktiere ich ein  Protokoll des Tages mit Google Docs auf dem Smartphone.

Heute ist Freitag, der 23. Juli 2021. Der zehnte Tag nach der Flut.

Heute soll meine dritte Enkelin zu Welt kommen Und heute werden wir das überflutete Haus meiner Schwiegermutter soweit wie möglich von Müll und Schlamm befreien.  Erst mal noch ein Kaffee, der Tag wird lang. Wir müssen heute so viel wie möglich schaffen, weil für Samstag und Sonntag schon wieder Starkregen und Unwetter vorhergesagt wurden. Kann ich gut drauf verzichten.

6:30

Meine Frau ist schon rüber zu unserer Tochter,  um auf unsere erste Enkelin aufzupassen. Die Schwiegermutter schläft noch. Zwei Minuten absolute Ruhe genießen.

Dann bin auch ich rüber, um Tochter und Schwiegersohn verabschieden, die jetzt zum Krankenhaus fahren. Immer dasselbe, bei jeder Geburt eine Mischung aus Hoffnung und Angst um Mutter und Kind. Hoffentlich geht alles gut. Man weiß es ja nie.

6:50

Kurz bei Facebook rein gucken. Gestern Abend habe ich einen Spendenaufruf zur Beerdigung meines Freundes Paul gestartet. Da sind schon 515 Euro drauf. Prima. Paul wird es freuen.

Vorgestern starb meine stets gut gelaunte Freundin Vita. Langsam ist es auch mal gut mit den Horrormeldungen. Die Gedanken kreisen kreuz und quer. Warum verlässt Bernd den Kirchplatz? Ausgerechnet jetzt, wo keine Zeit ist, um  mit ihm zu reden. Naja, egal. Erstmal. Le roi est mort, vive le roi. Claus ist ein würdiger Nachfolger.

7:00

Frau und Enkelin sind da. Wird auch für die Oma ein harter Tag mit munterer 2-jähriger und dementer Uroma.

Ich schnapp mir Chico und dreh eine Runde mit dem. Der dreht schon jetzt am Rad. Merkt wohl auch was.

Ab 10 Uhr wollen die ersten Helfer anrücken. Dank Facebook war es kein Problem, genügend Leute zusammenzutrommeln. Vorgestern haben wir unerwartete Hilfe erhalten. Ein Gruppe von einem Fußballverein aus Füssenich rückte mit Generator und mehreren Pumpen an, um den Keller auszupumpen. Die haben dann auch gleich einen Teil der schweren, völlig zerstörten Möbel aus dem Keller geräumt. Und wollten nichts dafür haben. Haben es ausdrücklich abgelehnt, Geld anzunehmen.  Die Solidarität macht glücklich. Ich habe noch nie so viele Tränen der Rührung vergossen wie in den letzten Tagen. Macht Hoffnung. Wenn wir das behalten könnten, wäre es wertvoll für alle.

7:45

Hund und Kind haben gekackt. Auch schön.

Oma und Enkelin gemeinsam auf dem Stepper.  Lustig. Ich trink noch nen Kaffee. Koffeinfrei heute.

7:57

Wie geht’s meinem Kind? Alles gut? Keine Ahnung. Vor Mittag werden wir wohl kaum was hören. Immerhin ist das Krankenhaus nicht abgesoffen und der Schwiegersohn ist bei ihr. Geht jetzt wieder. Besuch aber nicht. Scheisscorona. Bin nervös.

Denke an Esther Bejanaro. Auch gestorben. Und sie wollte doch singen, bis der letzte Nazi weg ist. Große kleine Frau. Du wirst nicht vergessen. Bella ciao. Und da kann die CDU in Thüringen beim Misstrauensvotum nicht klar mit Nein gegen Höcke stimmen. Nicht mal sich geschlossen enthalten.  Nee, die wollen vor der Abstimmung den Saal verlassen, weil die sonst nicht sicher sein können, dass niemand für Höcke stimmt. Alleine das ist skandalös. St. Äqui lässt grüßen. Klare Kante gegen Rechts. Denen glaub ich kein Wort mehr.

8:30

Gehe nochmal mit Chico. Der nervt. Uroma pennt noch.

Heute sehe ich einige FB-Freunde zum ersten Mal. Die fahren hunderte Kilometer, um uns zu helfen. Freude. FB ist nicht nur ein asoziales Netzwerk, oder ich hab da die richtigen Freunde.

Und Beppo, ein nach dem Abi verschollener Freund, kommt. Ist der Schwager eines Nachbarn meiner Schwiegermutter. Wusste ich gar nicht. Kannte nicht mal den Nachbarn. Wie mein Vater sagte, et jitt nix, wat nit für irjendjätt jood is. Die Flut spült mir einen alten Freund zurück.

9:26

Spenden für Paul schon 590€. Der wird sich freuen. Pauls Sohn nimmt Pauls Platz in unserer Gruppe ein. Wieder Freude.

9:36

Die erste Helferin ist da. Der Wagen mit dem Material in Rösrath gestartet.

11:10

Bin gerade Opa geworden. Mutter, Vater und Kind wohlauf. Glücklich. Wieder ein paar Glückstränen. Bin sonst nicht so der Gefühlige, aber das gönn ich mir jetzt mal.

Mittlerweile sind viele Helfer eingetroffen. Gruppen aufgebaut und weiter geht’s mit der Arbeit. Jede/r weiß, was zu tun ist und tut. Die Laune ist gut. Es wird viel gelacht, auch über Laschet und sein unmögliches Gelache in Münstereifel. Das Wort Arschloch fällt mehrfach. Büttenredner. Hier wird der keine Stimme bekommen, der Tünnes.

12:00

Scheisse: Küche und Schlafzimmer müssen komplett weg, nix mehr zu retten. Uroma hat keinen Elementarschutz für den Hausrat. Wir versuchen zu retten, was zu retten ist, aber das ist wenig. Es geht gut voran; immer mehr Helfer.

12:40

Frikadellen,  Nudel- und Kartoffelsalat.

13:40

Bier besorgen. Alkoholfrei. Wir haben um die 30 Grad im Schatten und der Matsch in der Bude stinkt wie Sau. Im Radio redet jemand von Suffizienz. Hat aber mit Suff nichts zu tun. Ja, Bescheidenheit lernen wir gerade. Und Dankbarkeit, unendliche Dankbarkeit.

14:03

Schwiegermutter mit dem „Humor“ der Dementen, als ich ihr sage, dass ihr Schlafzimmer nicht zu retten ist  „Macht nichts, ich hab ja noch eins im Keller“. Im Keller ist nichts heil geblieben. Der stand bis zur Decke unter Wasser.

14:30

Pumpe verreckt. Neue besorgt. Gut, wenn man Schwiegersöhne hat.

Und dann passierte das Wunder. Fünf Polizistinnen und Polizisten aus Gelsenkirchen kommen in ihrer Freizeit zu Hilfe und haben Kräfte und Kondition wie kein anderer von uns. So was hat noch keiner von uns erlebt. Durchtrainierte junge Leute, die ihre Freizeit dazu nutzen, wildfremde Menschen bei dieser Drecksarbeit zu unterstützen. Die schuften mehr als alle anderen zusammen und sehen dabei auch noch verdammt gut aus. Gut gelaunt im Matsch. Denen ist nichts zu schwer, und die haben auch noch jede Menge Material mitgebracht. Dann kommen noch zwei völlig unbekannte  junge Mennoniten und  packen mit an. Ich kenn die alle nicht, aber die helfen. Einfach so. Und mit fröhlichen Gesichtern. Ohne diese grandiosen Menschen wären wir nicht mal halb so weit gekommen. Und auch die wollten kein Geld, wollen aber zu einer Dankeschönfete wiederkommen. Ich hoffe mal, dass „SchoHnzeit“ uns diese Fete musikalisch gestalten wird.

19:00

Der letzte Transporter ist ausgeladen. Ein paar Kommoden, ein Fernseher, Kleidung, Geschirr und Porzellan sind gerettet. Das Haus sieht fast aus wie ein Rohbau. Am Samstag dann noch  in einem Raum den Teppichboden raus, zwei Schränkchen und einen Tisch abtransportieren und die Tapeten runtermachen. Die Flut hat die ganz schön eingefeuchtet. Müsste gut gehen. Und es kommen wieder Freunde und wer weiß, was noch für Engel auftauchen.

Clemens hat Bier aus dem Allgäu geschickt. „Heile Welt“ von Zötler. Auch darüber freue ich mich wie ein kleines Kind über einen Lutscher.

Jetzt noch gerade die Kolumne in den Rechner hauen. Duschen um den elendigen Gestank vom Körper und aus dem Kopf zu bekommen. Hoffentlich läuft irgendwas selten Dämliches im TV.

Pauls Geburtstagspende ist bei 815€. Auch das großartig.

20:00

Platt, aber trotz der Katastrophe richtig glücklich. Wieder viel über das Leben gelernt. Wie Clemens Haas meinte, NACAB, nee, diese Polizisten waren ein Geschenk des Himmels und das sind genau die Polizisten, die ich auch im Dienst erleben möchte. Das sind junge Leute, die eine Hilfsbereitschaft mitbringen, wie man sie sich von jedem wünschen würde, die aber gerade bei Polizisten Gold wert ist. Mehr davon.

Und jetzt freu ich mich über das erste Bild meiner neuen Enkelin und verspreche auch ihr, was ich schon den beiden anderen versprochen habe.

Liebe Freunde aus nah und fern und sehr fern. Ihr habt nicht nur geholfen, ein überflutetes Haus auszuräumen, wart Euch nicht zu schade zu stinken wie die Schweine, nein, ihr habt mir auch den Glauben an die Menschlichkeit zurückgegeben. Jeder der da war und auch die, die uns in Gedanken unterstützt haben. Das werden wir mal richtig feiern. Hoffentlich alle zusammen. Danke.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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