Vor den Brunnen stellen
In meiner Kolumne „Juden schützen – jetzt“ habe ich letzte Woche zu einer konsequenten Verfolgung von Judenhass mit den vorhandenen polizeilichen und strafrechtlichen Mitteln aufgerufen. Aber das alleine reicht nicht. Von Heinrich Schmitz
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Es ist jetzt fast sechs Jahre her, dass mir die Ehre zu teil wurde, beim „Eifelfestival der Kulturen“ auf der Burg Satzvey, an dem neben Vertretern von sieben Religionen auch rund 1500 Bürgerinnen und Bürger teilnahmen, ein Grußwort der Kölner Synagogengemeinde mit der Kölner Friedensverpflichtung verlesen zu dürfen. Auf Kölsch. Mein späterer Freund – wir lernten uns da erstmals kennen – der Künstler Reiner Langer, verlas die hochdeutsche Fassung. Und die lautet so:
KÖLNER FRIEDENSVERPFLICHTUNG
Täglich werden zahllose Menschen Opfer von Fanatismus, Krieg und terroristischen Anschlägen. Menschen werden getötet, misshandelt und entwürdigt. Religion wird immer wieder für die Anwendung von Terror instrumentalisiert und missbraucht. Die Gewalt und der Hass, der Terror und die Kriege in der Welt erschüttern uns und fordern uns zur Besinnung und zum Handeln heraus.
Als jüdische, christliche und muslimische Frauen und Männer erklären wir, dass Gewalt und Terror um Gottes Willen nicht sein dürfen und dem authentischen Geist unserer Religionen widersprechen. Unsere Religionen zielen auf ein friedliches und konstruktives Zusammenleben aller Menschen gleich welcher Religionszugehörigkeit. Für uns gilt unverrückbar: Die Würde eines jeden Menschen ist unantastbar: die Würde eines jeden Kindes, jeder Frau und jedes Mannes.
Als Religionsgemeinschaften verpflichten wir uns:
jeder Verhetzung und Erniedrigung von Menschen entgegenzutreten
für ein friedliches Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Religionen, Kulturen und ethnischer Gruppen einzutreten und Menschen zusammenzuführen, die bislang den Kontakt zu anderen gescheut haben,
den anderen zuzuhören und die Ängste der anderen ebenso wahrzunehmen wie die eigenen, unseren Beitrag für eine Gesellschaft zu leisten, die nicht nur durch Toleranz, sondern von Respekt und Achtung geprägt ist,
eine Gesellschaft mitzugestalten, in der alle Religionsgemeinschaften, die sich für Frieden und Gerechtigkeit einsetzen, ihren unumstrittenen Platz haben,
in der Erziehung zum Abbau von Vorurteilen und zu gegenseitigem Verständnis zu wirken,
zur Verständigung, zur Begegnung und zu einem Dialog der Religionen, der Gemeinsamkeiten entdecken hilft und Verschiedenheiten achtet.
Mit unserer ganzen Kraft wollen wir dazu beitragen, dass Hass und Gewalt überwunden werden und Menschen in unserer Stadt Köln und überall auf der Welt in Frieden, Sicherheit, Gerechtigkeit und Freiheit leben können.
Gemeinschaften und Initiativen ebenso wie einzelne Personen jeden Glaubens und jeder Weltanschauung laden wir ein, sich dieser Verpflichtung anzuschließen und in ihrem Sinne zu wirken.
Diese Verpflichtung wurde am 29.10.2006 von den Vertretern der Synagogen-Gemeinde Köln , dem Katholischen Stadtdekanat Köln, dem Katholikenausschuss in der Stadt Köln, dem Evangelischen Kirchenverband Köln und Region, der Türkischen Union Köln /DITIB, der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen Köln und dem Oberbürgermeister der Stadt Köln unterschrieben. Sie wurde in allen Glaubenseinrichtungen in der Region in verschiedenen Sprachen verlesen, gerichtet an alle Gläubigen aller Religionen, mit dem Ziel eines gedeihlichen Zusammenlebens ohne Hass und gegenseitige Herabwürdigung.
Für Alle
Dass das viel gebracht hätte, kann ich nicht behaupten. Dennoch denke ich, dass es genau das ist, was uns, neben der rechtlichen Verfolgung von Juden-, Muslim-, Schwulen- und allgemeinem Ausländerhass, alle als Gesellschaft weiterbringen würde und damit auch allen zugute käme.
Es geht nicht um Friede, Freude, Eierkuchen, sondern es geht darum, unbegründete Vorurteile abzubauen und dadurch das zu erreichen, was unser Grundgesetz, das am 23.5. erneut Geburtstag hat, sich so vorgestellt hat: Eine Gesellschaft in der Religionsfreiheit, Gleichheit vor dem Gesetz und Freiheit bei aller Unterschiedlichkeit der Menschen gelten. Eine Gesellschaft, in der niemand Angst zu haben braucht.
Oh my God
Es muss ja auch gar keine religiöse Motivation sein, die jemanden da antreibt. Auch Atheisten müssten sich der Erklärung problemlos anschließen können, wenn sie „um Gottes willen“ nicht wörtlich, sondern als allgemeine Redewendung sehen. Wie oft habe ich schon kreischende Damen in RTL II Sendungen oder auf Shopping-Kanälen gesehen, die bei ihrem „Oh my God“ sicher nichts Religiöses im Kopf hatten.
Vielleicht haben Sie ja Lust, sich ein kleines Stückchen an einer Verbesserung des Umgangs miteinander zu beteiligen und die Kölner Friedenserklärung weiter zu verbreiten. Schaden kann es ja nicht, aber eventuell denkt dann der ein oder andere von religiösen Hassgefühlen (ja, so was gibt es) noch einmal nach, wenn er sieht, dass auch Vertreter seiner Religion sich ganz offen dem Hass auf andere Menschen entgegengestellt haben und das auch weiterhin tun. Eine religiöse Begründung für die Ablehnung anderer Menschen wegen ihres Glaubens, ihrer Herkunft oder ihres Aussehens kann und darf es nicht geben. Und es ist unsere Aufgabe, die Tatsache, dass es all das immer noch gibt, mit aller Kraft zu bekämpfen.
Zurück in die Löcher
Ich bin davon überzeugt, dass der Wunsch nach einem verträglichen Zusammenleben von der Mehrheit der Bevölkerung getragen wird und die Hassprediger, ganz gleich aus welchen Löchern sie kriechen, in der Minderheit sind. Leider ist diese Minderheit recht laut und mitunter bedrohlich körperlich. Aber dafür haben wir halt die Polizei und das Strafrecht, hoffe ich mal. Treiben wir die Ungeister zurück in ihre Löcher. Gemeinsam.
Dabei könnte auch eine neue App-Idee helfen, deren Förderung ich Ihnen ans Herz legen möchte: Push the red button!
Wenn da nicht bald konsequent durchgegriffen wird, wird sich nämlich kaum noch jemand trauen, seinen Mund aufzumachen. Wenn ein Elias M‘Barek im Netz dafür angegriffen wird, dass er „Stoppt Antisemitismus“ twittert, dann fragt man sich, was die Hater antreibt bzw. wer denen ins Hirn geschissen hat. Solche Kommentare müssen umgehend verschwinden und das hat nichts mit einer Einschränkung der Meinungsfreiheit zu tun. Andere zu bedrohen, ist keine Meinung, das ist eine Straftat.
Es tut weh, aber ich kann gut verstehen, warum die jüdische Kantorin Avitall Gerstetter dazu aufruft, in Berlin nicht mehr offen eine Kippa zu tragen. Ja, das ist wohl in der Tat im Moment zu gefährlich. Aber es ist unerträglich und ist die Aufgabe aller anständigen Bürger, ganz gleich, was die glauben oder nicht glauben, diesen unerträglichen Zustand zu beenden. Oder um es mit Avitall zu sagen:
Man muss nicht über das x-te Kind im antisemitischen Brunnen jammern – man muss sich vor den Brunnen stellen