Willkommen im Behördendschungel
In Deutschland ist alles geregelt? Ja, aber nicht alle Regeln passen zusammen. Eine Kolumne von Heinrich Schmitz
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Wer es mit der deutschen Bürokratie zu tun bekommt, der kann was erleben. Das zeigt die Geschichte eines Asylbewerbers, der zwischen die Mühlen von BAMF, Jobcenter, Familiengericht, Jugendamt und Ausländeramt geriet und nun doch so seine Zweifel am hochgelobten Rechtsstaat hat. Da feiert Kafka fröhliche Urständ.
Nennen wir ihn Herrn N. Herr N. kam bereits vor ein paar Jahren als Asylsuchender nach Deutschland. Herr N. kommt aus Afrika. Er floh dort vor Gewalt. Er spricht Englisch, was allerdings wegen seiner ganz besonderen Aussprache zunächst gar nicht auffällt. Zunächst wird Herr N. herzlich willkommen geheißen. Er darf zwar nicht arbeiten, aber das ist nichts Besonderes.
Vaterfreuden
Nach ein paar Monaten lernt er eine deutsche Frau kennen, zieht mit ihr zusammen und bekommt mit ihr ein Kind. Herr N. ist glücklich. Wegen des deutschen Kindes und des Zusammenlebens mit dessen deutscher Mutter darf Herr N. sogar in Deutschland wohnen bleiben, auch wenn sein Asylgesuch abgelehnt wird. Seine Klage gegen den Ablehnungsbescheid nimmt er zurück, weil er den Asylstatus nicht benötigt, um in Sicherheit zu leben.
Dann gibt es urplötzlich Streit mit der Frau. Die trennt sich von ihm und damit nimmt der Behördenwahnsinn seinen Lauf. Die Frau zieht mit dem Kind ans andere Ende des Landes, gut 400 Kilometer entfernt. Herr N., der sein Kind liebt und auch das gemeinsame Sorgerecht hat, möchte sein Kind aber so oft wie möglich sehen. Aus finanziellen Gründen – Sie erinnern sich, er darf nicht arbeiten – ist das alle zwei Wochen. Er spart jeden Cent, um die Fahrtkosten irgendwie aufzubringen. Herr N. hält die alle Termine pünktlich ein. Die Kontakte verlaufen gut und einvernehmlich. Dann gibt es einen Konflikt um das Umgangsrecht. Die Mutter hat einen neuen Partner, dem der Schwarze, der da alle zwei Wochen auftaucht, nicht schmeckt. Plötzlich ist Herr N. nicht mehr der Vater, sondern der Erzeuger. Plötzlich ist er nicht mehr der Mann, mit dem die Mutter freiwillig ein Kind gezeugt hat, sondern der Neger, der aus ihrem Leben verschwinden soll. Vater soll der neue, weiße Mann sein.
Das Jugendamt am Wohnort des Kindes meint, wegen des geringen Alter des Kindes, seien Besuche im zweiwöchigen Abstand zu selten, um eine echte Vater-Kind-Beziehung aufrecht erhalten zu können. Herr N. müsse sein Kind wöchentlich besuchen. Herr N. findet das gut, ist aber nicht in der Lage monatlich 400 km Fahrt zu finanzieren. Herr N. erhält Leistungen des Jobcenters. Da er sich an alle Regeln seiner neuen Heimat hält, kann er nicht nebenher arbeiten. Dann wäre seine Duldung weg.
Vaterleiden
Ein Familiengericht am neuen Wohnort der Mutter lädt Herrn N. zum Termin. Der Familienrichter meint, es sei wichtig, dass er in die Nähe seines Kindes ziehe, damit die Beziehung aufrecht erhalten bleibe. Das findet Herr N. auch. Es sei auch wichtig, dass er dort eine Arbeit finde. Auch das deckt sich mit Herrn N.s Vorstellungen. Beides ist allerdings nicht möglich, da Herr N. der Residenzpflicht unterliegt, d.h. er muss in dem Bezirk wohnen bleiben, in dem er bisher wohnt. Das Gericht entscheidet daraufhin – offenbar in einem Anfall von Wahnsinn –, dass Herr N.s Umgangsrecht für ein knappes Jahr ausgesetzt wird, weil er sein Kind nicht wöchentlich besuchen kann.
Herr N. findet das seltsam. Statt alle zwei Wochen sieht er sein Kind nun gar nicht mehr und das, um die Beziehung aufrecht zu erhalten. Das Gericht deutet an, seine Entscheidung zu ändern, sobald Herr N. das Kind wöchentlich besuchen kann.
Ablehnung
Herr N. geht also zum Jobcenter, um für die Besuche einen Sonderbedarf zu beantragen. So etwas gibt es, hat ihm das örtliche Jugendamt verraten. Herr N. geht mit einer Begleitperson, einer ihm bekannten Beamtin, zum Jobcenter, um sein Problem zu erklären. Dort darf er zwar einen schriftlichen Antrag einreichen, reden will der Sachbearbeiter aber weder mit ihm, noch mit seiner Begleitung. Nach ein paar Tagen erhält Herr N. einen ablehnenden Bescheid. Da das Familiengericht das Umgangsrecht ausgesetzt habe, sehe er keinen Sonderbedarf für die Umgangskontakte. Herr N. wundert sich über diese grandiose Logik.
Abschiebung
Jetzt meldet sich auch das Ausländeramt. Da Herr N. nun mit der Mutter seines Kindes nicht mehr zusammenlebe und auch aktuell keine Umgangskontakte bestünden, müsse er ausreisen. Ab nach Afrika, wie es die Mutter schon einmal gewünscht hatte. Herr N. versteht nun gar nichts mehr.
Sein Anwalt erklärte ihm, dass seine Beziehung zu seinem Kind durch Art. 6 GG geschützt sei. Wenn der das weiß, müssten doch auch die Behörden das wissen, denkt sich Herr N. und klagt.
Da Herr N. nunmehr nahezu täglich Behördenschreiben erhält, ist es kein Wunder, dass nun auch das Jobcenter wieder in Erscheinung tritt. Herr N. müsse eine Arbeit aufnehmen, sonst gebe es Sanktionen. Dagegen hat Herr N. gar nichts einzuwenden, denn er möchte sehr gerne arbeiten. Er findet auch sofort einen Betrieb, der auf der Stelle bereit ist, ihn einzustellen. Er kann sogar nachweisen, dass es für die freie Stelle keinen deutschen Bewerber gibt. Bei Drecksarbeit ist das häufig so. Herr N. nähme jede Arbeit an, um bei seinem Kind bleiben zu können.
Allerdings benötigt Herr N. für die Arbeitsaufnahme eine Arbeitserlaubnis durch das Ausländeramt. Ob diese erteilt wird, weiß Herr N. zunächst noch nicht. Es hätte ihn aber gewundert, wenn diese erteilt worden wäre, da das Ausländeramt ja meint, Herr N. sei ausreisepflichtig.
Der Betrieb braucht Herrn N. sofort. Die Arbeitserlaubnis dauert zu lange. Der Job ist weg.
Herr N. möchte sein Kind sehen. Die Mutter verweist auf die Gerichtsentscheidung. Herr N. hat panische Angst, sein Kind nie mehr sehen zu können, weil er befürchtet, das BAMF könne die aktuelle Situation ausnutzen, um ihn abzuschieben, bevor Gerichte den Behördenwahnsinn stoppen können. Damit muss Herr N. jederzeit rechnen, und ob ihn eine gerichtliche Anordnung davor bewahren kann, ist keineswegs gewiss. Es wurden schon einige Menschen zum Ruhm und Lobe des ewigen Innenministers abgeschoben, die nicht hätten abgeschoben werden dürfen. Watt fott is is fott, sagt man hier im Rheinland.
Abschiebehaft
Eines Tages wird Herr N. von der Polizei abgeholt. Er soll in Abschiebehaft. Er erreicht seinen Anwalt und ein paar Freunde. Während die Freund sich vor das Polizeigebäude stellen, telefoniert sein Anwalt mit dem Ausländeramt und weist dieses darauf hin, dass Herr N. mit der Umgangssache inzwischen beim OLG gelandet ist und dort kurzfristig Termin abstünde. Neben rechtlichen Maßnahmen, wird mit Presse, Funk und Fernsehen und allen 10 biblischen Plagen gedroht. Nach zwei Stunden kann der Anwalt Herrn N. bei der Polizei abholen.
Dann kommt der Termin beim Oberlandesgericht in der Umgangssache. Das Gericht liegt noch weiter weg. Da es Herrn N. nicht zumuten will, unmittelbar nach einer 10-stündigen Bahnfahrt in den Termin zu gehen, bucht es ihm ein Hotelzimmer in einem ordentlichen Hotel. Herrn N. freut sich über das schöne Zimmer und schickt seinem Anwalt ein Video des Zimmers. Dann legt er sich erschöpft ins Bett, um für den wichtigen Termin am nächsten Tag ausgeruht zu sein. Die Ruhe währt nicht lange. Es klopf heftig an der Tür. Er öffnet und wird von mehreren Polizeibeamten recht unfreundlich nach seinen Papieren gefragt. Die sind in Ordnung. Die Polizisten teilen, ohne sich zu entschuldigen mit, der Portier habe Bedenken gehabt, dass ein Schwarzer sich so ein Zimmer leisten könne. Dass das Zimmer vom Gericht gebucht und bereits bezahlt war, kümmert diesen Rassisten offenbar wenig.
Deutsch
Am nächsten Tag läuft der Termin zunächst seltsam. Die vom Gericht eingesetzte Verfahrenspflegerin, die die Interessen des Kindes vertreten soll, ist zu der merkwürdigen Einschätzung gelangt, dass Herr N. nicht ausreichend genug Deutsch spricht, um mit seinem Sohn zu kommunizieren und schlägt eine Reduzierung des Umgangs auf wenige Tage im Jahr vor. Sie hat wohl nicht gesehen, wie Vater und Sohn sich auf dem Gerichtsflur in die Arme geflogen sind. Was für ein idiotisches Argument. Das Gericht sieht das ähnlich und bestätigt das regelmäßige Umgangsrecht des Vaters gegen den Protest der Mutter. Es betont, dass der Sohn gerade aufgrund seiner eigenen Hautfarbe seine Wurzeln kennen müsse und die Beziehung zum Vater wichtig für das Kindeswohl sei.
Das Ausländeramt sieht erstmal von weiteren Abschiebemaßnahmen ab. Herr N. bekommt eine weitere Duldung. Immer für sechs Monate. Mehr wollen die nicht rausrücken, d.h. die Abschiebung bleibt wie ein Damoklesschwert über Herrn N. hängen. Er findet eine Arbeitsstelle bei einer Zeitarbeitsfirma und erhält eine Arbeitserlaubnis. Allerdings möchte der Arbeitgeber, bei dem er eingesetzt wird, ihn fest anstellen. Aber nur, wenn er eine längere Duldung erhält. Welcher Arbeitgeber möchte schon, dass sein Arbeitnehmer nach sechs Monaten wieder verschwindet? Gibt es nicht. Immer sechs Monate.
Racial Profiling
Die Umgänge laufen ziemlich gequält. Der neue Mann der Mutter bringt den Sohn zu einem Treffpunkt, Herr N. darf ein paar Stunden mit seinem Sohn durch die Stadt rennen und ihn dann wieder abgeben. Mit jedem Blick wird ihm klargemacht, dass er unerwünscht ist. Aber sein Sohn liebt ihn und er liebt seinen Sohn. Herr N. hält durch. Herr N. wird ständig kontrolliert, am Bahnhof, im Zug, in der Stadt. Einfach so. Einfach so? Wohl kaum. Racial Profiling gibt es nicht in Deutschland?
Irgendwann steht die Mutter mit dem Sohn vor seiner Tür. Sie hat sich von dem anderen getrennt. Danach laufen die Kontakte unproblematisch und wieder einvernehmlich. Eine Art Wunder.
Herr N. hatte gedacht, als er nach Deutschland kam, hier ginge es nach Recht und Gesetz zu. Er hatte gedacht, vor dem Gesetz seien alle gleich. Das hatte man ihm erzählt und das hatte er geglaubt.
Herr N. hatte gedacht, in einen Rechtsstaat zu fliehen und nicht in ein Land der sich zu olympischen Ringen vereinigenden Zirkelschlüsse von freidrehenden Sachbearbeitern verschiedener kafkaesker Behörden.
Hoffnung
Herr N. hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass sich wirklich alles zum Guten wendet. Er reagiert brav und zuverlässig auf jedes Behördenschreiben. Er tut alles, was man von ihm verlangt. Er arbeitet, er zahlt Unterhalt. Er hat keine Straftaten begangen und hat auch nicht vor das zu tun. Herr N. mag ein Träumer sein, aber er ist nicht der einzige. Für Mai hat das Ausländeramt ihm eine Niederlassungserlaubnis angekündigt. Herr N. glaubt das erst, wenn er sie in der Hand hält, und das kann ich gut verstehen. Er hat Höllenqualen erlitten.
Wenn Du vor mir stehst und mich ansiehst, was weißt Du von den Schmerzen, die in mir sind und was weiß ich von den Deinen. Und wenn ich mich vor Dir niederwerfen würde und weinen und erzählen, was wüsstest Du von mir mehr als von der Hölle, wenn Dir jemand erzählt, sie ist heiß und fürchterlich. Schon darum sollten wir Menschen voreinander so ehrfürchtig, so nachdenklich, so liebend stehn wie vor dem Eingang zur Hölle.“ (Franz Kafka, Brief an Oskar Pollak, 8.11.1903)