Pomme – eine starke Stimme aus Frankreich
Literaturkolumnist Sören Heim hat heute eine Musikempfehlung im Gepäck. „Pomme“ (Claire Pommet) schließt stark an die Tradition des französischen Chansons an und hat doch längst etwas ganz Eigenes geschaffen.
Es ist eher selten, dass der YouTube Algorithmus mich in irgendeiner Weise überrascht. Für gewöhnlich versucht er mir teure Autos und Uhren zu verkaufen, denn wer klassische Musik hört und Gedichte von Rilke und Goethe einliest, braucht wohl höchstwahrscheinlich einen Zweit-Rolls-Royce. Ja, er kann auch leidlich auf mein Hörverhalten schließen, wenn ich z.B. drei Alben von Anthony Braxton gehört habe, schlägt er mir ein viertes vor. Glückwunsch! Doch schon die einfache Einsicht, dass mich stets nur die experimentellen Alben interessieren und eigentlich nie die traditionspflegerischen (Vienna, 20 Standards, Charlie Parker Project), scheint sich der Maschine zu verschließen.
Und dann schlug mir das Gerät vor einigen Wochen einen Apfel vor: Pomme. Eine junge Frau mit Gitarre. Warum? Keine Ahnung, vielleicht weil ich mir in der Vergangenheit öfter das schöne Cover meines Jugend-Frankreich-Discoliedes „Alexandrie, Alexandra“ von La Gammine angehört habe sowie deren herrliches Duett „Les Animaux“ mit Thaïs Té:
Ich schreibe ungern über Pop. Ein Großteil des Für und Widers in Streits über Popmusik, worin ich ausdrücklich alles von Prog-Rock bis Schlager und dessen etwas ruppigen Bruder, den Punk, einbegriffen wissen möchte, speist sich aus der Nostalgie: Welche Musik hat mich in besonderen Lebensphasen begleitet? Dennoch möchte ich im Fall von Pomme in gebotener Kürze eine Ausnahme machen, denn diese Musikerin ist für mich das Beste aus Frankreich, was ich seit Brel zu hören bekommen habe, und sie steht, glaube ich, auch für eine breitere hoffungsvolle Entwicklung (ja, Brel ist ursprünglich aus Belgien, aber ihr versteht schon, nicht? Wenige stehen so für den französischen Chanson wie er…).
Ich habe ja bereits in einem anderen Text vor allem mit Blick auf die erfolgreichen Musiktheorie-Kanäle rund um neue klassische und Jazzmusik den sogenannten „Tod der Melodie“ in der Popmusik zum irrelevantesten Niedergang der Musikgeschichte erklärt. Und Digital-Native-Musikerinnen wie Pomme, die in Frankreich längst sehr erfolgreich ist, aber in Deutschland wohl noch größtenteils unbekannt, bestätigen das auch mitten im Zentrum der Popmusik (und wahrscheinlich gibt es sie auch en masse in den eher elektronisch geprägten Sparten des Pop, die mich weniger interessieren).
Es begeistert diese wundervoll unaufgeregte Vortragsweise, mit starkem Anklang an klassischen Chanson, aber ohne Angst auch vor etwas strapazierenden Momenten z.B. im Live-Vortrag:
Während die Alben-Versionen mehr moderne Pop-Elemente einbauen:
Es begeistert eine in den tiefen Lagen sehr warme Stimme, die in den höheren Lagen hier und da absichtsvoll bricht, souveräne Selbstbegleitung auf drei Instrumenten und das alles verknüpft mit Texten, die absolut zeitgenössisch und zeitgemäß sind. Umweltbewusstsein, z.B. in Les Séquoias:
Oder die Thematisierung gelichgeschlechtlicher Liebe, und das wiederum nicht in diesem Prediger-Tonfall, auf den sich junge Lyriker gerne verlegen, die an der Universität die ersten Poststrukturalismus- und Gender-Seminare belegt haben und zugleich ein wenig mit Brecht in Berührung gekommen sind (das soll kein Diss sein, in meinen ersten Uni-Semestern schrieb ich auch solche predigenden Gedichte und vielleicht braucht es das auch, doch es freut mich, wenn eine junge Musikerin einen sehr viel unaufgeregteren Weg findet). Denn Pommes Stücke wirken ganz selbstverständlich und unglaublich souverän. Ein „lesbisches Liebeslied“ ist nunmal vor allem auch: Ein Liebeslied, das sich längst ganz zwanglos in den Musikalltag einfügen sollte – Menschen lieben eben, auf ganz verschiedene Weisen, in ganz verschiedenen Konstellationen. Gewiss, „die Verhältnisse, sie sind nicht so“, und die Musikerin ist sich des Zwiespalts durchaus bewusst, wie sie z.B. hier im Gespräch zeigt, aber das Selbstbewusstsein, auf starke künstlerische Gestaltung statt auf das Mobilisieren von Affekten zu setzen, nimmt sie sich heraus – und scheint damit bei einer jüngeren Zuhörerschaft sehr erfolgreich zu sein.
Zuletzt überzeugt Pomme auch mit Covers, die weit über ihr Original hinaus wachsen. Vielleicht der größte Lackmustest für Musiker, die von Dauer sein wollen:
Auch wenn sicherlich vieles heute nicht gut läuft, und ich viele Tendenzen des modernen Kunstbetriebs regelmäßig kritisiere: Was mich an so vielen „früher-war-alles-besser“-Menschen stört, ist, dass sie gar nicht auf die Suche gehen, nicht über den eigenen Tellerrand oder die eigenen Landesgrenzen blicken, und so selbst noch die Weiterführung liebgewonnener Traditionslinien gar nicht wahrnehmen (wenn sie sie nicht gar zwanghaft ablehnen, weil jegliche Neuerung Unwohlsein hervorruft). Pomme ist nur eine von zahlreichen neuen französischen Chansonnièren, die mit einfachen Mitteln wunderschöne Musik machen. Andere, wie La Gammine, Thais Te und sicher viele mehr sind ebenso hörenswert, obwohl mir stimmlich und in der musikalischen Gestaltung Pomme bisher am stärksten zusagt. Mit Ausnahme vielleicht von den beiden Duetten von La Gammine/Thaïs Té – hier würde ich mir ja wirklich eine weiterreichende Zusammenarbeit wünschen. Hier noch die zweite und bisher letzte Aufnahme:
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