Promille-Paradies Deutschland

Verharmlosen wir den Alkohol, fragte Sandra Maischberger und lud unseren Kolumnisten Henning Hirsch als Gast in ihre Sendung ein


Promille-Paradies Deutschland: Verharmlosen wir den Alkohol?

… lautete die Überschrift der jüngsten Talksendung Menschen bei Maischberger, zu der ich gemeinsam mit fünf weiteren Experten als Gast eingeladen war.

Ausgehend von folgenden Zahlen:
– Neun bis zehn Millionen Menschen in Deutschland trinken in riskanter Weise
– (darin: 1.5 Mio gelten als abhängig)
– 74.000 Todesfälle/ Jahr, die auf Alkohol zurückzuführen sind
– Knapp zehn Liter reiner Alkohol/ Kopf/ Jahr (umgerechnet in Liter: 200 Bier, 90 Wein oder 25 Whiskey)

… diskutierten wir über die Frage, was der Staat sinnvollerweise tun kann, um den hohen Konsum einzudämmen.

Der Prohibition redete keiner der Teilnehmer das Wort. Niemand fordert ernsthaft, dass die Deutschen in Zukunft auf ihre Lieblingsdroge Alkohol verzichten müssen. Allerdings wäre es schon begrüßenswert, wenn wir im alljährlich veröffentlichten Ranking der Säufernationen nicht ständig eine Position innerhalb der Top 5 einnehmen würden. Neun bis zehn Millionen riskant trinkende Landsleute bedeuten zwar nur zwölf Prozent der Gesamtbevölkerung; trotzdem entspricht die Menge der Einwohnerzahl Chicagos oder Hongkongs oder 2.8x Berlin, die ja nun alle drei nicht gerade als kleine Provinzstädte gelten.

Wirksame Instrumente gäbe es schon

Als schnell greifende Maßnahmen zur Konsumreduktion bieten sich an:
(a) Preise hoch
(b) Anzahl Verkaufsstellen reduzieren
(c) Abgabe nur innerhalb bestimmter Zeitfenster
(d) Minimumalter Konsum erhöhen
(e) flankierend: Werbeverbot, Ekelbilder auf Flaschen u Dosen u.ä.

Dass die Kombi (a) + (b) + (c) – vorausgesetzt, es wird drastisch erhöht, stark ausgedünnt und nur noch vor Einbruch der Dunkelheit verkauft – funktioniert, ist unstrittig. Sobald ich für eine Flasche Bier zehn Euro bezahlen, zwanzig Kilometer bis zur nächstgelegenen Abgabestelle fahren und diese bis spätestens 18 Uhr erreichen muss, werde ich mir im Vorfeld fünf Mal überlegen, ob der Spaß die ganze Mühe wert ist. Als Ausweichalternativen bieten sich an: Bezug im benachbarten Ausland, selber brauen/ destillieren, Umstieg auf Ersatzdroge. Alle drei denkbar; jedoch jeweils nur für eine kleine Anzahl Konsumenten. Nicht für jeden liegen Luxemburg und Tschechien in erreichbarer Nähe, nicht jeder weiß, wie man Wodka herstellt und nicht jeder greift zu anderen Rauschmitteln. Billigen Alkohol per Internet bestellen? Gepanschten Fusel auf dem Schwarzmarkt besorgen? Sicher möglich; würde jedoch ebenfalls nur von einer Minderheit genutzt.

Zwischenfazit 1: Die Kombi „Preise rauf & Verkaufsstellen reduzieren & Öffnungszeiten limitieren“ erzielt schnelle Wirkung.

Die Reaktionen der Zuschauer fielen unterschiedlich aus:

Pro Verschärfung

Und dass die Ausgabestellen reduziert werden ist sinnvoll. Außerdem sollte das Alkoholausschenken bei Schulfesten(wie es teilweise schon gemacht wird) bei Schulen mit nur unter 16-jährigen Schülern/Schülerinnen verboten werden.

Und sicher ist auch: die allzeitige Verfügbarkeit der billigen Droge ALK tut ein Übriges.

Was wichtig ist, Verkaufsstellen reduzieren, gut wären sicher eine Art Liquor Stores wie in den USA.

Solange ne Flasche Lambrusco mit 2l Inhalt günstiger als viele Säfte mit 1l Inhalt sind, muss man sich nicht wundern, wenn Menschen, vor allem junge, zu diesem Genussmittel greifen. Alkohol ist definitiv zu günstig, die Auswahl im Preissegment von 30 Cent bis 5€ erschreckend groß.

Contra staatliche Maßnahmen

Die meisten koennen sich nicht mal Alkohol leisten. Sind froh wenn sie zur Tafel gehen koennen ….

Und Sie diskutieren ob die Alkoholsteuer erhöht werden soll und somit der Alkohol teurer werden muss, dass ist Diskriminierung derer die damit normal umgehen.

Ich komme grade aus Australien eine Flasche Vodka kostet da 40Au$ das ist sehr viel Bier im Club 10$ es gibt kein günstiges Nachbarland wo man schnell hin fahren kann und etwas kaufen man muss in „Bottle shops“ was ich festgestellt habe ist das erstens. Das trozdem alle trinken die Australier. Zweitens Drogen in Clubs oder auf Partys viel öfter genommen werden da Alkohol teuer ist

jeder soll sich sein genussmittel – egal welches – ohne künstliche einmischung des staates a la verteuerung etc beschaffen können nach eigener facon und eigener verantwortung. denn der erziehungsauftrag besteht von staatlicher seite nur gegernüber minderjährigen. alles andere ist allein dem individuum in seiner persönlicheitsrechtssphäre zu zu ordnen.

Es träfe halt auch wieder ein weiteres „Opium des Volkes“, es wären besonders die Armen die ihren Spaß nicht mehr haben dürfen. Jugendclubs müssten fasst alle schließen, besonders die alternativen denn auch wenn Saufen nicht in Zentrum steht, keiner hat Bock auf Konzerte/Parties ohne Bier (und von Konzerten/Partys kommt oft das Geld für gute Jugendarbeit).

Ich glaube nicht, dass wenn der Preis für Alkohol steigt, dass es dann weniger Alkoholiker gibt. Bei Zigaretten schreckt der Preis auch nicht ab, und selbst wenn übergewichtige Menschen auf Süßigkeiten abgebildet werden, wird es noch dicke geben.

Diese und noch mehr Kommentare findet man hier:
Menschen bei Maischberger
Henning Hirsch

Der Vorschlag der (drastischen) Preiserhöhung muss sich fürwahr den Vorwurf gefallen lassen, sozial nicht ausgewogen daherzukommen. Denn nur wenige werden sich dann noch die Zehn-Euro-Flasche Bitburger leisten können. Zu befürchten steht zudem, dass gepanschte Sachen auf den rasch entstehenden Schwarzmarkt gelangen. Von daher bedeuten Preiserhöhung und Verkaufsstellenverknappung ein riskantes Experiment. Niemandem wäre geholfen, wenn in der Konsequenz zwar weniger, aber dafür dreckigerer, Alkohol getrunken würde.

Gegen die Ausdünnung der Verkaufsstellen spräche hingegen wenig. Mir hat nie eingeleuchtet, weshalb Alkohol 24/7 in jedem Supermarkt, sämtlichen Kiosken und an allen Tankstellen bundesweit verfügbar ist. Allerdings steht zu befürchten, dass sich die Fuß- und Fahrfaulen ihre Wochenration Erdinger, Soave und Jägermeister dann anliefern lassen. Einen Minimumbestellwert von 30 oder 50 Euro bekommt man ja mit Spirituosen schnell zusammen.

Zwischenfazit 2: Preiserhöhungen träfen v.a. die ärmeren Bevölkerungsschichten. Gefahr von „Erblindungen“ aufgrund billigen selbst hergestellten Schnapses nähme zu. Wegfall von Verkaufsstellen und engere Zeitfenster könnten durch Zunahme der Haustürbelieferung konterkariert werden

Warum kein Werbeverbot?

Wenn nun schon die drei sehr konkreten Instrumente (a), (b) & (c) hinsichtlich ihrer Wirksamkeit als ungewiss eingestuft werden müssen – wie ist dann ein Appell mit Ekelbildern einzuschätzen? Bringt es was, Fotos von Fettlebern, entzündeten Bauchspeicheldrüsen und aufgrund Säuferdiabetes schwarz angelaufenen Füßen auf die Behältnisse zu kleben? Mich persönlich hätte das in meiner trinkenden Zeit nicht großartig gestört. Flasche umdrehen, nicht draufsehen, notfalls die Pulle in eine Verpackung stecken, sodass nur noch der Hals rausschaut. Sprüche wie: „Trinken schadet deiner Gesundheit“ oder „Wer säuft, stirbt früher“ oder gar: „Schnaps macht impotent“: geschenkt. Lässt sich niemand von abhalten.

Zu diskutieren wäre sicherlich über Werbeverbote und die Raufsetzung des Minimumalters für SÄMTLICHE alkoholhaltigen Getränke auf 18 Jahre. Mir völlig schleierhaft, weshalb so viel Bier-, und zu vorgerückter Stunde sogar Wodka-, -Spots über unsere TV-Mattscheiben flimmern. Krombacher ist die Einstiegsdroge in Gorbatschow. Wenn wir das Zeug schon legalisieren, überall und rund um die Uhr zu Discountpreisen zum Verkauf anbieten, brauchen wir es ja nicht auch noch zusätzlich anzupreisen.

Freiwilliger Verzicht ist nachhaltiger als staatlich verordnete Abstinenz

Unterm Strich muss die dringend notwendige Reduktion – zehn Liter reiner Alkohol Kopf/ Jahr ist ein höllenmäßig hoher Durchschnittswert – allerdings auf freiwilliger Basis erfolgen, z.B.:
▪Präventionsarbeit bei jungen Menschen
▪Kein Bierausschank in Sportvereinen
▪Alkoholfreie Betriebsfeiern

Flankiert von pfiffigen TV-Spots der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, die bewusst machen, dass Komasaufen alles mögliche ist, aber bestimmt NICHT cool. Es ist keine Heldentat, ohnmächtig und vollgepisst in der Ecke zu liegen, am Morgen danach auf einer Intensivstation zu erwachen und sich an nichts mehr erinnern zu können. Erst wenn sich die Erkenntnis durchsetzt, dass Abstinenz – bzw. maßvoller Umgang mit dem Stoff – in jungen Jahren nicht gleichbedeutend ist mit Langweiler oder Partyschreck, werden der Konsum und in der Konsequenz die Anzahl Alkoholkranker nachhaltig sinken.

Da wir Deutschen seit über zweitausend Jahren saufen, ist der Alkohol bei uns mittlerweile kilometertief in unsere Volks-DNA eingedrungen, aus der er sich mit einer Hauruckaktion nicht wieder entfernen lässt. Aufgrund der vielen Toten und Abhängigen wäre es allerdings grob fahrlässig, das Problem als Gott gegeben anzusehen und lapidar mit den Schultern zuckend zu sagen: „Dagegen kann’ste eh nichts machen“.

Die Behandlungskosten belaufen sich jährlich auf 24 Milliarden Euro. Zu überlegen wäre, ob man die Industrie prozentual daran beteiligt. Der Verursacher des Dilemmas ist ja nicht nur der Trinker alleine, sondern ebenfalls der Schnapsproduzent. V.a. die Hersteller von Spirituosen müssen härter in die Pflicht genommen werden. Dem einen sein Heroin ist dem anderen die tägliche Pulle Wodka.

Fazit

(1) Alle Menschen haben ein Grundbedürfnis nach gelegentlichem  Rausch
(2) Es wird nach wie vor zu viel gesoffen: Deutschland ist definitiv ein Promille-Paradies
(3) Bewusstseinswandel wirkt nachhaltiger als Zwangsmaßnahmen
(4) Das Problem wird weiterhin sowohl durch die Gesellschaft als auch von Seiten des Staats verharmlost

Weiterführende Literatur und jede Menge Zahlen findet man hier: Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen sowie Drogenbeauftragte der Bundesregierung

 

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern ... Wer mehr von ihm lesen möchte: www.saufdruck.de

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