Türkische Wirtschaft – Zwischen Globalisierung und orientalischem Hütchenspiel

Darf man noch in der Türkei investieren? Erfahrungen eines Profis.


Bild: Pixabay

Es war Mitte der 2000er Jahre. Ich war anlässlich eines Projektes in der Türkei und wurde freundlicherweise beim damaligen Wirtschaftsminister Ali Coskun empfangen und mit seiner Referenz bekam ich sofort, noch in meiner Anwesenheit einen Termin beim Präsidenten der Agentur für wirtschaftliche Entwicklung in Ankara. Als ich bei der staatlichen Agentur hereinspazierte, standen schon alle stramm, um mich zu empfangen. Die ministeriale Referenz wirkt absolut in der Türkei. So war es immer und jetzt bei der AKP Regierung, umso mehr.

Ich berichtete dort über die Schwierigkeiten mit dem Projekt und dass es alles so lange dauert. Der Präsident der Agentur nahm mich beiseite und sagte,

Ekrem, das ist hier Türkei. Unsere Anatolier reden viel, meinen das aber nicht so. Hier ist alles unverbindlich. Keiner muss dahinterstehen, was er gesagt hat. Das musst du wissen und dich danach richten.

Schmerzhafte Erfahrungen

Das, was er mir so anvertraute, sollte ich später als Unternehmer im Land schmerzhaft und teuer zu spüren bekommen. Fast täglich und das zehn Jahre lang. Damals war ich Unternehmensberater. Später war ich als Unternehmer vor Ort und kenne das Land daher von beiden Seiten. Als Berater kann man alles schön planen, Matrix aufstellen, Berechnungen durchführen, Diagramme zeichnen. Mit Sicherheit hat auch alles seine Richtigkeit, nur wer die Realität im Lande nicht genug kennt, rennt man direkt ins offene Messer.

Vor wenigen Tagen wurde ich auf die Website eines türkischstämmigen Unternehmensberaters aufmerksam, der auch wie ich in der Türkei lebte und erst kürzlich das Land verlassen hat. Ich habe  die Website kurz überflogen. Der Protagonist gibt zu, dass er wieder in Deutschland lebt, empfiehlt aber, das deutsche Firmen ohne weiteres in der Türkei produzieren können.

Es wäre auch ratsam, da man dort immer noch Geld verdienen könne.

Als ich das gelesen habe, war ich doch erst erstaunt, dann aber verärgert über soviel Leichtsinn und Verantwortungslosigkeit. Natürlich hat man als Unternehmer nicht direkt mit den politischen Entwicklungen zu tun. Aber, indirekt sehr wohl und das kann schon gefährlich genug sein. Ich hatte in meinem Umfeld Unternehmer, die nach dem sogenannten Putschversuch ins Gefängnis kamen. Manche wurden wieder freigelassen, manche wiederum nicht. Ihre Firmen wurden der Treuhandgesellschaft unterstellt. Die, die erstmal freigekommen sind, deren Prozesse gehen weiter und sie wurden durch ihre Verhaftung so gebrandmarkt, dass man ihre Produkte nicht mehr kauft und die Firma und natürlich auch den Firmeninhaber meidet. Die Angst ist überall zu spüren. Niemand will sich mit einem gebrandmarkten Firmen und Menschen etwas zu tun haben.

Aus heiterem Himmel

Bei anderen wiederum wurden die Mitarbeiter/-innen verhaftet. Aus heiterem Himmel. Scheinbar hatten sie eine Schule der Gülen-Bewegung besucht. Das kann man als Außenstehender nicht wissen. Woher soll ein Ausländer wissen, welche Schulen seine Mitarbeiter/-innen besucht haben? Zumal diese Schulen seinerzeit alles legale und zugelassene Schulen waren.

Als Unternehmer ist man ein Teil der hiesigen Gesellschaft, mit Mitarbeitern, Kunden und Lieferanten. Wenn sie betroffen sind, ist man auch betroffen und muss schauen, dass man schnell umdisponieren kann. Doch, so schnell geht das nicht. Es waren Menschen die man kannte und plötzlich sind das Aussätzige, die Im Gefängnis sind oder nicht mehr arbeiten dürfen. Der Postbeamte, den man immer kannte und am Schalter traf, kann plötzlich nicht mehr auf seinem Platz sein.

Selbst wenn jemand überhaupt nicht in seiner nächsten Umgebung Menschen hat, die mit diesen Verhaftungen zu tun haben, so sind doch die tägliche, ja fast stündliche negative Nachrichtenflut über Verhaftungen, polizeiliche Operationen, die tägliche Hetze immer präsent und steigern bei allen Menschen die Selbstzweifel. Bekannte und Freunde in der Heimat schreiben, wie lange man denn noch bleiben möchte? Das wiegt schwerer als die eigene Betroffenheit.

Aber auch das alles ist nichts gegen die alltägliche Ausbeutung der Kleinunternehmer und des kleinen Mannes. Fast jedes Jahr wird entweder der Personalausweis, oder der Führerschein, oder einer der ach so wichtigen behördlichen Nachweise fällig. 2018 muss alles erneuert werden. Angeblich sind sie jetzt fälschungssicher.

Eine Ausrede die alljährlich angewandt wird. Der Vorteil für die Regierung liegt auf der Hand. Nirgendwo in Europa sind die Ausweise so teuer wie in der Türkei. Niemand fragt, weshalb alles ständig erneuert werden muss. Apropos erneuern: das gleiche gilt natürlich auch für die regierende AKP und den Präsidenten Erdogan. Warum werden die nicht ausgewechselt?

Zoll

Eine ganz besondere Einrichtung ist die Zollbehörde des Landes. Eine seit Jahrhunderten korrupte Behörde, die nicht mal der allmächtige Erdo stoppen kann. 2018 habe ich von meinem Zöllner genau 22 e-mails bekommen, die mich als Unternehmer auf Neuerungen in diesem Jahr unterrichteten. Aber, auch das ist noch nicht alles. Wer glaubt, dass er einfach zum Zoll gehen und seine Waren selbst verzollen kann, irrt sich gewaltig. Man wird mit dem Hinweis „kommen sie mit ihrem Zöllner“ abgewiesen. Auch wenn die Bestellmenge sehr gering sein sollte. Das ist immer dann gegeben, wenn anfänglich Testprodukte von Lieferanten verschickt werden und mit einem symbolischen Wert von 1,- € ausgezeichnet wurden. Trotzdem muss eine Verzollungsfirma beauftragt werden, die die ganze Verzollung in die Hand nimmt. Die Zollbeamten verzögern die ganze Prozedur mehrere Tage lang. Die Welt muss halt erfahren, dass das eine ganz wichtige Arbeit ist. Letztendlich kostet es dem Unternehmer ca. 100-200 Euro Verzollungsgebühren für eine Test-Sendung, wofür der Lieferant in Deutschland keinen Cent einnimmt. Warum machen sie das? Des Rätsels Lösung ist so simpel wir typisch. Zollbeamten sind korrupt und arbeiten wie ein Syndikat. In diesen genannten Gebühren ist auch der „Anteil“ für die Beamten versteckt. Je höher die Verzollungssumme, desto niedriger der prozentuale Anteil der Zollbeamten. Das ist auch der Grund, warum sie nur mit Verzollungsfirmen arbeiten und nicht mit dem Kunden selbst. Sie wollen keine Spuren hinterlassen, die sie nicht kontrollieren können.

Mit dem jährlichen Änderungen und Neuerungen sorgt der Staat dafür, das er selbst ganz legal die Unternehmer schröpfen kann.

Jeder ausländische (inländische natürlich auch) Unternehmer muss verzollen. Entweder bringt er seine Produkte aus dem Ausland in die Türkei, oder er lässt Produkte in der Türkei anfertigen und exportiert ins Ausland. Wobei im zweiten falle hat man mehr Privilegien als wenn man nur Importeur ist.

Alles beim Notar

Wenn man das alles hat, darf man noch lange nicht Importieren oder exportieren. Vorher schon muss die Verzollungsfirma beauftragt werden und als Auftraggeber muss man ihr eine Vollmacht erteilen. Die Vollmacht ist nur dann gültig, wenn sie beim Notar gemacht wurde. Dazu muss man alle unternehmensrelavanten Unterlagen dabeihaben. Als Ausländer sollte man vorher schon, seinen Reisepass übersetzt haben  und, natürlich wie könnte es anders sein, beim Notar beglaubigen lassen.

Vorteil: Die Vollmacht kann man bis zu 5 Jahre erteilen. Man hat 5 Jahre damit Ruhe. Es sei denn, der Staat hat im nächsten Jahr neue Richtlinien und Prozeduren. Dann ist alles nichtig und muss erneuert werden.

Warum, jeder auch noch so unwichtige Vorgang durch den Notar bestätigt oder gar beim Notar gemacht wird, habe ich erst später erfahren. Die Notare verdienen viel Geld dadurch. Sie werden aber auch hoch besteuert. D.h. durch diese künstliche Lenkung der Vorgänge über die Notare, verdient der türkische Staat kräftig mit. Wer so leicht ans Geld kommt, wird niemals die Bürokratie abbauen, sondern ständig ausbauen und dafür sorgen, dass jahrlich neue Vorgänge entstehen.

Nachdem man alle seine Vorgänge erledigt, alle Papiere beisammen hat, ohne dass man zu einem Mörder wurde, können die Waren endlich verzollt werden. Das dauert in der Regel 3-6 Tage. Es sei denn ein Wochenende oder Feiertag ist dazwischen. Wichtige Menschen brauchen immer so lange. Ach ja, bevor ich es vergesse, wenn alles fertig ist, die Waren verzollt, kann man seine Waren vom Zoll nicht einfach selbst abholen. Auf die Zollgelände dürfen keine Fremdfahrzeuge rein.

Die Zollbehörde hat einen eigenen „Transporterverein“. Ein Zusammenschluss von Transportfahrzeughaltern. Nur sie dürfen die Waren aus dem Gelände der Zollbehörde herausliefern.  Da hat man, je nach Lieferumfang, mehrere hundert oder tausende Euro ausgegeben. Aber, man ist ja großzügig. Der Kunde wartet und man hat viel, sehr viel Geld investiert. Soll das alles für die Katz gewesen sein? Was werden die Leute denken? Und, die Zollbeamten wissen das. Sie haben es nicht eilig.

Schikanen

Aber auch das ist nichts gegenüber anderen Realitäten im Lande. Ich hatte eine Farm im Zentralanatolien. Ein Erbstück mit Landhaus, Scheune und viel Land. Ich wollte die Farm ausbauen, Zuchttiere kaufen und, mit Hilfe europäischer Partner, eine moderne Produktionsanlage errichten. Denn, Fleisch ist in der Türkei, im Vergleich zu Europa, sehr teuer. Ebenso wie andere tierische Produkte auch. Dafür gibt die staatliche Ziraat Bank, eine eigens für landwirtschaftliche Investitionen gegründete Bank, zinslose Kredite. Nach einem Gespräch bei der Bank, haben sie mir widerwillig zugesagt, mein Anwesen zu besichtigen. Nach der Besichtigung sagten sie zu mir, die Gegend hätte den Status als landwirtschaftliche Fläche verloren und wird neu bewertet. Also, Nutzungsänderung. Meine Anfrage auf eine herkömliche Finanzierung für nicht landwirtschaftliche Investition haben sie auch abgelehnt. Begründung: Die Flächen wären immer noch als landwirtschaftliche Flächen ausgezeichnet. Nach zehn Jahren haben sich die Verhältnisse dort nicht geändert.

Die Wahrheit: viele Mitarbeiter/-innen in türkischen Banken, haben eine Schule der Gülen Bewegung besucht. Sie hatten das Land im Würgegriff wie eine Kraake.  Wenn man nicht Mitglied dieser religiösen Sekte war, wurden natürlich die Kreditanfragen stets abgewiesen. Eine Begründung findet sich immer, wenn auch so fadenscheinig wie bei mir. So schafft man es mächtig und wichtig zu bleiben und es noch zu werden.

Erdo ist ein Hütchenspieler. Mit seinen ständigen Neuerungen schröpft er Mensch und Unternehmen. Die „Neuerungen“ sollen den Eindruck erwecken, dass sich etwas bewegt und der Bürger bekommt was für sein Geld. In Wahrheit dreht sich die Gesellschaft im Kreise herum. Im Kreis kann man so schnell rennen wie man möchte. Man kommt nie vom Fleck.

Ein Unternehmer sollte seine Investitionen mit kühlem Kopf und ohne Emotionen tätigen. Die Türkei hat  für ausländische Investoren zwei wichtige Sektoren: Die Textilwirtschaft und die Automobil-Zuliefererindustrie.

Textilwirtschaft

Es gibt Länder, die in der Textilindustrie billiger sind und auch eine viel längere Tradition haben als die Türkei. Indien, die größte Demokratie der Welt hat eine lange Tradition in der Textilwirtschaft. Gut ausgebildete Menschen und westlich orientierte, weltweit erfolgreiche, zuverlässige Unternehmer. Inder sind in der ganzen Welt tätig. Ich hatte einen bekannten in Konstanz. Ein junger Mann aus West-Bengalen. Er war der Sohn eine sehr erfolgreichen Unternehmers. Sein Vater hatte ihn klugerweise nach Deutschland geschickt, damit er in jungen Jahren möglichst viel Erfahrung sammeln und das Unternehmenskonglomerat seines Vaters übernehmen kann. Zugleich belieferte er die familieneigenen Unternehmen mit nötigen Chemikalien. Dafür hatte er eigens in Deutschland eine eigene Firma gegründet. Ich fragte ihn mal, warum Inder überall so erfolgreich sind. Er antwortete: „Look Brother, wir sind ein sehr waches Volk. Das müssen wir sein. Wenn wir in Indien Auto fahren, kann jederzeit ein Mensch oder eine Kuh auf die Straße treten. Kühe sind heilig. Wir dürfen sie nicht überfahren. Also, immer wachsam sein. Was kann denn hier schon passieren?“

Die Begründung leuchtet mir ein, jedoch verkannte ich bislang immer die immense Bedeutung der Kühe für die indische Wirtschaft.

Länder wie Vietnam, Kambodscha oder Pakistan sind ebenfalls im Kommen und die Unternehmenskosten sind dort um Bruchteile günstiger als in der Türkei.

Autozulieferindustrie

In der Automobilzuliefererindustrie sind osteuropäische Länder sehr günstig und haben und gut geschultes Personal.

Die Türkei hatte früher den Nimbus eines europäisch geprägten Landes, vor der Haustüre Europas, mit demokratischen Institutionen und eine gehörige Anzahl von Rückkehrern aus Deutschland mit guter Schulbildung und natürlich Deutschkenntnissen. Dieser Nimbus ist´, vorerst zumindest, verloren.  Die Flugpreise sind nicht mehr so teuer und, wenn die Geschäfte langfristig auf vertrauensvolle Bahnen gelenkt sind, fallen sie nicht mehr so sehr ins Gewicht.

Wie gesagt, im Orient redet man gerne vor sich hin, wenn man seine Behauptungen und Ratschläge nicht begründen muss. Man kann nicht in Ländern Geld verdienen, wenn man einen Hütchenspieler vor sich hat und die Würfeln auch noch gezinkt sind. Da kann man wirklich nur verlieren. Ein Unternehmensberater mit türkischer Herkunft erweckt den Eindruck von hohen Kenntnissen vor Ort, zumal er auch dort gelebt hat. Zugegeben, Männer jenseits von 50, mit grauer Schläfe strahlen einen ernstzunehmenden Vertrauensbonus aus, den man zuerst mal ernstnehmen muss. Sie wissen auch viel, bedingt durch die jahrelange Erfahrung. Manches Wissen ist sinnvoll, manches weniger. Müssen wir alles wissen?

Das Paarungsritual der Schabrackenhyäne z.B. gehört mit Sicherheit zu den herausragendsten Wissen unserer modernen Zeit. Für ein Unternehmer aber gehört das nicht unbedingt zu dem Wissen, dass hohe Priorität genießt. Also Schuster, bleib bei deinen Leisten.

 

Ekrem Kus

Ekrem Kuş ist 1961 in Ankara geboren und aufgewachsen. Seit 1970 lebte er in Konstanz. Er absolvierte eine Ausbildung zum Berufspiloten und eine weitere zum Industriekaufmann. 16 Jahre war er in Deutschland als Unternehmensberater tätig. Seit 2009 lebte er wieder in der Türkei und war dort als Unternehmer tätig. Er vertritt deutsche und schweizer Unternehmen in der Türkei. Kuş ist geschieden und wohnt nun wieder in Deutschland.

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