Franco A. und der aufgehobene Haftbefehl

Franco A., ein ehemaliger Bundeswehrsoldat hatte es geschafft, eine Identität als syrischer Flüchtling anzunehmen und vom BAMF subsidiären Schutz zu erhalten. Nachdem er sich eine Waffe besorgte, wurde ihm vorgeworfen, er habe Anschläge geplant, um den Verdacht auf Flüchtlinge zu lenken. Seit dem 27. April 2017 befand er sich in Untersuchungshaft. Nun hob der BGH den Haftbefehl auf. Wie kann das sein?


Die Voraussetzungen für den Erlass und die Aufrechterhaltung eines Haftbefehls sind in §112 StPO geregelt:

§ 112

Voraussetzungen der Untersuchungshaft; Haftgründe

(1) 1Die Untersuchungshaft darf gegen den Beschuldigten angeordnet werden, wenn er der Tat dringend verdächtig ist und ein Haftgrund besteht. 2Sie darf nicht angeordnet werden, wenn sie zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung außer Verhältnis steht.

(2) Ein Haftgrund besteht, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen

1. festgestellt wird, daß der Beschuldigte flüchtig ist oder sich verborgen hält,

2. bei Würdigung der Umstände des Einzelfalles die Gefahr besteht, daß der Beschuldigte sich dem Strafverfahren entziehen werde (Fluchtgefahr), oder

3. das Verhalten des Beschuldigten den dringenden Verdacht begründet, er werde

a) Beweismittel vernichten, verändern, beiseite schaffen, unterdrücken oder fälschen oder

b) auf Mitbeschuldigte, Zeugen oder Sachverständige in unlauterer Weise einwirken oder

c) andere zu solchem Verhalten veranlassen,

und wenn deshalb die Gefahr droht, daß die Ermittlung der Wahrheit erschwert werde (Verdunkelungsgefahr).

(3) Gegen den Beschuldigten, der einer Straftat nach § 6 Absatz 1 Nummer 1 oder § 13 Absatz 1 des Völkerstrafgesetzbuches oder § 129a Abs. 1 oder Abs. 2, auch in Verbindung mit § 129b Abs. 1, oder nach den §§ 211, 212, 226, 306b oder 306c des Strafgesetzbuches oder, soweit durch die Tat Leib oder Leben eines anderen gefährdet worden ist, nach § 308 Abs. 1 bis 3 des Strafgesetzbuches dringend verdächtig ist, darf die Untersuchungshaft auch angeordnet werden, wenn ein Haftgrund nach Absatz 2 nicht besteht.

Tatverdacht

Basis jedes Haftbefehls ist zunächst einmal ein dringender Tatverdacht. Eine Definition des dringenden Tatverdachts hat der Gesetzgeber sich geschenkt. Rechtsprechung und Lehre haben da verschiedene Umschreibungen ausgekaspert, wonach nach dem vorliegenden vorläufigen Ermittlungsergebnis in der Gesamtheit eine „erhebliche“, eine „hohe“ oder eine „große Wahrscheinlichkeit“ dafür besteht, dass der Betroffene Täter oder Teilnehmer einer Straftat ist. Wann eine Wahrscheinlichkeit nun groß, hoch, dick oder dünn genug ist, weiß der Geier bzw. das entscheidet das Gericht jeweils im Einzelfall.

Das ist keine einmalige Beurteilung, sondern – wie alles – stets im Fluss. Besteht ganz am Anfang eines Verfahrens aufgrund einzelner Indizien vielleicht noch ein dicker, fetter, dringender Tatverdacht, dann kann der im Laufe der Ermittlungen durchaus zu einem mageren Tatverdacht mutieren. Dann ist der Haftbefehl aufzuheben. Letztlich beurteilt das Gericht dabei die Wahrscheinlichkeit, dass es aufgrund des jeweiligen Ermittlungsergebnisses zu einer Verurteilung des Beschuldigten kommen könnte. Erscheint das eher unwahrscheinlich oder gar ausgeschlossen, dann muss man den Beschuldigten entlassen.

Haftgrund

Neben dem dringenden Tatverdacht bedarf es zum Erlass eines Haftbefehls aber auch noch eines Haftgrundes. Jedenfalls in der Regel. Diese Haftgründe sind Flucht, Fluchtgefahr, Verdunklungsgefahr und Wiederholungsgefahr.

Der Haftbefehl dient nicht als vorweggenommene Strafe, sondern zur Sicherung der Hauptverhandlung bzw. in besonderen Fälle dem Schutz der Bevölkerung vor weiteren Straftaten. So kann eine Fluchtgefahr sich z.B. aus der Höhe der zu erwartenden Strafe ergeben. Je höher die Straferwartung und die Mobilität des Verdächtigen, um so wahrscheinlicher ist, dass er sich verpissen wird, um sich der Verurteilung zu entziehen. Wer Familie, Eigentum und soziale Bindungen, aber keinerlei Kontakte ins Ausland hat, wird regelmäßig eher weniger abhauen wollen, als der einsame Wolf mit einem dicken Konto und Freunden in aller Welt. So denkt man jedenfalls bei der Justiz, was sicher ein dafür Grund ist, dass bei ansonsten gleicher Sachlage „alleinreisende junge Männer“ schneller in U-Haft sitzen, als besorgte Besitzbürger.

Bei Franco A. sieht der Bundesgerichtshof den dringenden Tatverdacht bezüglich einer Straftat nach § 89a StGB , also der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, nun nicht mehr.

Unstimmigkeiten

Obwohl die Waffenbeschaffung, die Identitätsfälschung als Flüchtling und der Sozialbetrug gut belegt zu sein scheinen, gibt es nach Meinung des 3. Strafsenates zu viele „Unstimmigkeiten“ bezüglich des Hauptvorwurfes.

Im Einzelnen:

Waffenversteck

So bleibt etwa nach wie vor offen, aus welchem Grund der Beschuldigte die potentielle Tatwaffe gerade in dem besonders überwachten Bereich eines Flughafens versteckte und Bilder des Verstecks den Mitgliedern einer WhatsApp – Gruppe zugänglich machte, der neben den Beschuldigten A.und T noch weitere Personen angehörten.

Ehrlich gesagt verstehe ich nicht, warum dieser Umstand den dringenden Tatverdacht kippen sollte. Dass der Verdächtige keine Scheu vor dem Risiko zu haben scheint, belegt doch schon die irre Nummer mit der syrischen Identität. Wer nicht erwartet, dass seine fehlenden Arabischkenntnisse beim Interview mit dem BAMF auffallen, der erwartet auch nicht, dass es in einem besonders bewachten Bereich eines Flughafens auffällt, wenn man dort eine Waffe platziert – und vermutlich fällt man da auch wesentlich weniger auf, weil niemand erwartet, dass man ausgerechnet dort eine Waffe versteckt. Je dreister, umso besser. Und das potentielle Terroristen sich gerne vor anderen produzieren und den dicken Macker machen, ist auch nichts Ungewöhnliches.

Blätter

Eine weitere Unstimmigkeit die dem BGH auffiel:

Der dringende Tatverdacht bezüglich der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gründet ausweislich des Haftbefehls ganz wesentlich auf dem Inhalt zweier DIN-A4-Blätter, die bei dem Mitbeschuldigten T aufgefunden worden sind, sowie eines handschriftlichen Notizzettels, der bei dem Beschuldigten sichergestellt worden ist. Auf den DIN-A4-Blättern befindet sich eine von dem Mitbeschuldigten T. stammende Auflistung von Personen des öffentlichen Lebens, aber auch von Institutionen, denen jeweils der Buchstabe A, B, C oder D zugeordnet ist. Auf dem handschriftlichen Notizzettel befinden sich Angaben zu Personen, darunter jedoch lediglich einer, die auch auf den DIN-A4-Blättern aufgeführt ist, danebenaber auch Notizen zu Langwaffen und weitere für den Vorwurf der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat in der in dem Haftbefehl vom 24. Oktober 2017angenommenen Form unergiebige Angaben. Die in Wien-Schwechat aufgefundene Pistole, mit der nach dem in dem genannten Haftbefehl festgehaltenen Vorwurf der geplante Anschlag begangen werden sollte, findet in keinem der aufgefundenen Schriftstücke Erwähnung. Irgendwelche Angaben zu Zeit, Ort oder Begehensweise eines geplanten Anschlags sind in den Dokumenten ebenfalls nicht enthalten. Unter diesen Umständen wiegt allein die Zuordnung eines Buchstabens von A bis D zu den Personen bzw. Institutionen nicht so schwer, als dass sie eine hohe Wahrscheinlichkeit für die Vorbereitung eines Attentats auf eine der aufgeführten Personen begründen könnte. Der Senat schließt sich vielmehr der Bewertung in dem Vermerk des Bundeskriminalamts vom 4. Mai 2017 betreffend die Vorab-Auswertung der DIN-A4-Blätter auch bei Berücksichtigung der weiteren Ermittlungsergebnisse an, wonach nur gemutmaßt werden könne, ob es sich bei der Zuordnung der Buchstaben um eine Art „Ranking“ der Personen nach den möglichen Kriterien Bekanntheitsgrad, Stellung innerhalb der linken Szene oder Ähnliches handele und Abschließendes über die Bedeutung der Liste, insbesondere darüber, ob es sich dabei um eine Liste mit potentiellen Anschlagszielen handele, nicht gesagt werden könne. „

Für künftige Terrorplanungen merke man sich, dass man dem Verdacht einer schweren staatsgefährdenden Straftat schon dadurch entkommen kann, dass man bezüglich des geplanten Waffeneinsatzes bewusst falsche Angaben in seinen Unterlagen hinterlässt und verschiedene Listen mit unterschiedlichen Anschlagsplänen und unterscheidlichen Waffen erstellt. Die tatsächlich vorgesehene Waffe sollte man nicht erwähnen.  Man sollte in jedem Fall zusätzliche, am besten völlig sinnlose Notizen hinzufügen, um die Unstimmigkeit noch zu steigern.

Video

Soweit der Haftbefehl vom 24. Oktober 2017 weiterhin davon ausgeht, der Beschuldigte habe den Verdacht nach der Begehung der schweren staatsgefährdenden Gewalttat auf die in Deutschland lebenden Flüchtlinge lenken wollen, ist nicht dargetan, auf welche Weise dies habe geschehen sollen.

Gegen die Annahme, der Beschuldigte habe die Waffe mit seinen – auch unter der falschen Identität als D. gespeicherten – Fingerabdrücken in der Nähe des Tatorts zurücklassen wollen und auf diese Weise einen Hinweis auf den angeblichen Asylbewerber geben wollen, sprechen mehrere Ermittlungsergebnisse:

So äußerte sich der Beschuldigte in einem ausweislich des Auswertungsvermerks des Bundeskriminalamts vom 2. Juni 2017 mit hoher Wahrscheinlichkeit am 31. Dezember 2015 in einer Flüchtlingsunterkunft aufgenommenen Video u.a. dahin, er wolle am nächsten Tag wahrscheinlich „abhauen“, weil er weit weg von zu Hause sei und seine Freizeit lieber mit den ihm nahe stehenden Personen verbringen wolle. Wörtlich sagte er in diesem Zusammenhang: „Das zu meinem Projekt.“ Später heißt es: „Dann ist noch die Sache, dass das hier alles nicht … wahrscheinlich nicht mal legal ist, was ich hier mach. Ähm es meine Fingerabdrücke genommen wurde und die jetzt mit einem Gesicht zumindest zuzuordnen sind, mit einem Gesicht, also mein Gesicht in irgendwelchen Daten, wie sie das vorher nicht hatten. Das ist ein bisschen schade. Weil ich da immer diese Anonymität hatte halt. Ach is ja auch egal.“ Diese Passagen stehen sowohl für sich genommen als auch in Verbindung mit dem übrigen Inhalt des Videos der Annahme entgegen, der Beschuldigte habe einem vorab gefassten Plan folgend seine Fingerabdrücke unter der falschen Identität abgeben wollen, um auf diese Weise eine auf die Anschlagsbegehung durch Asylbewerber hinweisende Spur zu legen.“

Nun ja, wenn man unterstellt, dass der Verdächtigen in seiner Rolle als syrischer Flüchtling nach dem Genuss einer Überdosis eines Wahrheitsserums aus Hogwarts in Videos nur die reine Wahrheit spricht, kann man auch das so sehen. Ich bin allerdings gespannt, ob wir Verteidiger uns künftig an eine derartige Sichtweise des BGH gewöhnen dürfen.

Fingerabdrücke

Und es kommt ja noch besser:

Soweit dem Beschuldigten angelastet wird, auch nach dem Fund der Pistole in Wien-Schwechat an seinem Vorhaben festgehalten zu haben, kommt hinzu, dass er nach seiner dortigen Ergreifung seine Fingerabdrücke unter seiner wahren Identität abgeben musste. Bei der Begehung des Anschlags unter Zurücklassung der Pistole mit den Fingerabdrücken des Beschuldigten wäre der Verdacht deshalb nicht nur auf den Flüchtling „D.“ sondern auch auf den Beschuldigten selbst gefallen. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass dem Beschuldigten dieser Umstand nicht bewusst war. Dieser Gesichtspunkt wird entgegen dem Haftbefehl nicht dadurch entkräftet, dass der Beschuldigte nach seiner erkennungsdienstlichen Behandlung noch zweimal unter seiner Legende Leistungen als Asylbewerber in Anspruch nahm. Dies belegt lediglich, dass er seine falsche Identität als Flüchtling aufrecht erhielt, nicht aber, dass er entschlossen war, auf die im Raum stehende Weise ein Attentat unter Zurücklassung seiner Fingerabdrücke zu begehen“

Okay, das kann man so sehen. Kann natürlich auch sein, dass er lediglich seine Flüchtlingspapiere am Tatort hinterlassen wollte. Kann auch sein, dass er gar nicht so furchtbar rational plante, wie der 3. Senat das annimmt. Alles Mögliche kann sein. Und deshalb kann es auch sein, dass die Entscheidung richtig ist. Ich kenne nicht die Ermittlungsakte, ich kenne nicht die Spurenakte. Ich kenne nur diesen Beschluss.

Kriegswaffen

Angesichts der Tatsache, dass der Beschuldigte diverse weitere illegale Waffen, nämlich ein Gewehr der Marke Heckler & Koch G 3, eine Waffe des Herstellers Landmann-Preetz sowie eine Waffe des Herstellers FN, Kaliber 7,65 mm, sowie Munition, Sprengkörper und Zündmittel vorrätig hielt darunter 167 Patronen mit Hartkerngeschoss, die dem Kriegswaffenkontrollgesetz unterfallen, muss man sich aber schon fragen, ob die Generalbundesanwaltschaft mit ihrem Verdacht tatsächlich so furchtbar falsch lag. Aber vielleicht wollte der Beschuldigte auch nur auf der Hochzeit seines besten Freundes ein paar Gewehrschüsse gen Himmel richten. Man weiß es halt nicht. Mit Kriegswaffen muss man ja nicht unbedingt etwas Schlimmes machen, man kann auch völlig harmlose Dinge damit tun, möglicherweise. Mir fällt nur gerade keine harmlose Verwendung ein.

Ich hoffe jedenfalls, dass der Beschuldigte nicht noch für eine unliebsame Überraschung sorgt, wenn er nun auf freien Fuß kommt.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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