Die Sonne und die Finsternis – Eine Kolumne für Chris Cornell
Chris Cornell ist tot. Grund genug für Ulf Kubanke eine spontane Sonderausgabe der Hörmal-Kolumne zu bringen. Direkt nach dem Gewahrwerden der tragisdchen Nachricht bringt er seine persönlichen Gedanken zum Frontman von Soundgarden/Audioslave zu Papier.
18. Mai 2017, 10:30 Uhr: Da fährt man nichtsahnend den Computer hoch und erhält gleich einen Downer: Chris Cornell ist tot. Ohne Zweifel war der Frontman von Soundgarden, Temple Of The Dog und Audioslave einer der wichtigsten Rockmusiker der letzten knapp 30 Jahre. Seine Bandbreite war enorm. Vom Grunge-Pionier und derbem Alternative-Rock über James Bond-Crooning oder Singer/Songwriter-Nummern bis hin zu Dance-Pop reicht die farbenprächtige Palette.
Wie also geht man mit so einer Situation als Autor um? Das Dilemma ist vorprogrammiert: Einerseits möchte ich einen angemessenen, würdigen und schönen Artikel schreiben, der dem Mann und seinem Wirken zumindest ansatzweise gerecht wird. Andererseits muss man als Feuilletonist schnell sein und alles muss passieren, während der Verfasser noch selbst mit Schock und Gefühlsstau kämpft. Kann so etwas funktionieren, gar inspiriert klingen? Ganz ehrlich, Leute: Ich habe nicht die geringste Ahnung.
Eines jedoch ist mir sonnenklar: Ich muss es, verdammt nocmal, zumindest versuchen. Aus Respekt vor dem Menschen Cornell, aus Zuneigung zu seiner Musik, aus Verpflichtung gegenüber seiner musikhistorischen Bedeutung. Die folgenden Zeilen sind mithin weder biografische Aufarbeitung seines Lebens oder Werkkatalogs; das soll Wikipedia überlassen bleiben. Noch ist der Text ein lückenloser Leitfaden durch Cornells gesamte Kunst. Es sind einfach sehr persönliche, subjektive Worte, die dem Brainstorm meiner spontanen Gedanken entspringen und bestenfalls in Euch, verehrte Leser die Neugier an der Beschäftigung mit dem Mann aus Seattle (wieder)erwecken können.
Was ist bei den Allermeisten stets der erste Gedanke, wenn es um Chris cornell geht? Klar: Soundgardens Überhit „Black Hole Sun“! “Black Hole Sun won’t you come and wash away the rain?” als Chris Cornell die 1994 auf „Superunknown“ veröffentlichte Nummer schrieb, hatten sowohl er als auch der Rest von Soundgarden kein großes Vertrauen in ihr Potential. Ist das wirklich gut? Man war skeptisch. Zu Unrecht! Offiziell meist als Grunge etikettiert, ist das Lied viel mehr. Der Text bietet Raum für Interpretationen gen Lebenswegfindung, Coming of Age-Situation oder einfach nur als sureal-psychedelische Wetterhymne. Musikalisch ist es ein superber Rocksong, dessen perfekte Melodie sich lässig in nahezu alle anderen Genres transferieren lässt. Es existiert sogar eine kongeniale Jazz-Variante von Lea DeLaria. Cornell selbst spielte das Stück live gern als puristische Akustiknummer. Kann es einen besseren Lagerfeuersong geben?
Dennoch bleibt für mich persönlich die Vorgänger-Scheibe „Badmotorfinger“ von 1991 ihr Meilenstein. Es ist eines der Kernalben des Grunge und besticht durch eine Mischung aus hoher Melodik, räudiger Schale und kernigem Könnertum auf der handwerklichen Ebene. Als Opener für Guns N‘ Roses auf deren „Use Your Illusions“-Tour eroberten Soundgarden 1992 weltweit ein begeistertes Publikum und ließen durch ihre Live-Power die Superstars Axl und Slash nicht selten recht konventionell und vergleichweise betulich, fast gestrig wirken.
Ähnlich herausragend in seiner Zeit empfand ich Cornells Seitenprojekt Temple Of The Dog; ein bunter Haufen aus Leuten von Mother Love Bone und ein paar Typen, die kurz darauf als Pearl Jam ebenfalls zu ruhmreichen Eckpfeilern des Grunge werden sollten. Eine Allstar-Band, bevor alle Stars wurden? Genau! Heraus kommt ein Pfund von einem echten Buddy-Album. Allein die Entstehungsgeschichte dieser tollen, selbstbetitelten Scheibe könnte bereits eine komplette Kolumne füllen. Hier für Euch die in Szenekreisen zu Recht kultisch verehrte Single „Hunger Strike“:
Und solo? Aber selbstverständlich! Auch hier hat der gebürtige Christopher John Boyle einiges zu bieten. Ich beschränke mich an dieser Stelle auf zwei höchst unterschiedliche, den Cornellschen Rahmen dabei angemessen erweiternde Nummern. Da wäre zum einen das komplett unterschätzte Album „Scream“ (2009), welches in Zusammenarbeit mit dem damals zu Recht angesagten, innovativen Soundhexer Timbaland entstand. Die Songs sind allesamt – typisch Cornell – toll geschrieben und leben von mutigen Arrangements zwischen Elektrorock und Dancefloor. Diese Mischung aus organischen Elementen und modernen Beats/Effekten funktioniert ähnlich stimmig, wie etwa auch der Ausflug Nelly Furtados gen Timbaland (Album: „Loose“; Songs u.A. „Maneater“). Leider scheiterte die Platte an Engstirnigkeit und Genre-Chauvinismus großer Teile des (alternative) Rockpublikums. Verkennend scheuklappig witterte man den großen Ausverkauf und bescherte Cornell einen veritablen Flop. Zum Anfüttern hier der Floorklopper „Part Of Me“.
Und natürlich bietet Cornell auch den „Perfect Nightsong“ in Form seines Bond-Tracks „You Know My Name“ (für „Casino Royale“, 2006). Ein elegantes Juwel, dass seinen berühmten Vorgängern in nichts nachsteht und die musikalische Tradition der Filmreihe ehrt, ohne sklavisch zu kopieren. Cornells Vocals croonen wie Rauchschwaden durch den Raum und bieten dennoch den rockigsten Augenblick der gesamten Bond-Historie. Es gibt mehrere Versionen des Liedes. Die orchestrale Filmversion ist besser als die spätere Albumversion auf „Carry On“.
„The coldest blood runs through my veins. You know my name.“ Oh ja, Chris, wir kennen ihn gut. Dafür hast du gesorgt. Und wir werden ihn in Ehren halten. Gute Nacht, süßer Prinz.
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