Zschäpe muss die Wahrheit sagen?
Das Aussageverhalten von Frau Zschäpe im sogenannten NSU-Prozess ist Gegenstand mancher Kritik. Warum eigentlich?
Frau Zschäpe hat irgendwie ihr Schweigen gebrochen. Naja, sie hat nicht selbst vor dem Gericht den Mund aufgemacht, sondern einen mit ihren neuen Verteidigern schriftlich vorbereiteten Text vorlesen lassen und den dann durch Nicken autorisiert. Direkte Fragen des Gericht will sie auch nur schriftlich beantworten und Fragen der Nebenkläger überhaupt nicht. Das ist mal was Neues. Recht ungewöhnlich, aber nicht verboten. Mit diesem etwas seltsamen Verhalten schweigt sie jetzt nur nicht mehr. Das muss sie wissen. Sie ist die Angeklagte und damit die Chefin ihres Aussageverhaltens. Dass sie sich mit dem Wechsel der bisherigen Schweige-Strategie einen Vorteil für das Verfahren verschafft haben könnte, bezweifelt zwar die Mehrheit der Strafverteidiger, die ich kenne, aber das kann allen anderen ja egal sein.
Quatsch als Kommentar
Nun gibt es aber viele Menschen, die die irrige Auffassung vertreten, Frau Zschäpe müsse nun endlich die Wahrheit sagen. Manche Menschen dürfe so einen Quatsch sogar als Kommentar in einer Zeitschrift veröffentlichen.
„Die Angehörigen der Opfer der NSU-Mordserie haben einen Anspruch darauf, die Wahrheit zu erfahren. So wie ganz Deutschland.“ meinte z.B. der Kommentator Michael Clasen am 8.12.2015 unter der Überschrift „Darum muss Beate Zschäpe endlich die Wahrheit sagen“ in der NOZ. Ach was. Wie kommt der Mann denn da drauf? Frau Zschäpe muss gar nichts. Zu seiner Ehrenrettung, Clasen ist leider nicht der einzige, der diese Meinung vertritt.
Die Opfer der NSU-Mordserie bzw. deren Hinterbliebene haben einen Anspruch darauf, dass die Ermittlungsbehörden die Taten, soweit wie das möglich ist, aufklären. Da ist was dran. Hat aber ja nicht so richtig geklappt, dank dicker Augenklappen auf dem rechten Auge der Ermittler und vermutlich dank unklarer Aktivitäten diverser Verfassungsschützer im extremistischen Milieu. Da gibt es jede Menge Aufklärungsbedarf, nur kann man diese Aufklärung nicht von der Angeklagten erwarten.
Was Clasen da mit „ganz Deutschland“ meint, weiß ich nicht. Die Bevölkerung? Der Staat? Keine Ahnung. Jedenfalls habe ich keinen Anspruch drauf, dass Zschäpe die Wahrheit sagt – und Sie vermutlich auch nicht.
Alles kann, nichts muss
Worauf auch weder die Opfer noch „Deutschland“ einen Anspruch haben, ist dass Frau Zschäpe oder auch irgendein anderer Angeklagter in einem beliebigen Verfahren „die Wahrheit“ sagt.
Angeklagte müssen das nicht. Die dürfen sie sich so verteidigen, wie es für sie günstig ist oder auch einfach so, wie es ihnen Spaß macht. Die dürfen schweigen, lügen oder auch ihre Wahrheit sagen. Das ist so wie im Swingerclub, alles kann, nichts muss. Ob man sich als Angeklagte nackig macht, ist die eigene freie Entscheidung.
Hauptzweck eines Strafprozesses ist die Klärung der Frage, ob sich die Anklagevorwürfe in einer für eine Verurteilung erforderlichen Art und Weise durch Beweise oder auch nur durch eine lückenlose Indizienkette bestätigen lassen oder eben nicht. Dazu bedient sich das Gericht verschiedener Beweismittel, wie Urkunden, Zeugen oder auch Spuren. Das können auch abgehörte Telefonate sein oder Gutachten von Sachverständigen. Auch die Einlassung der Angeklagten darf natürlich verwertet werden, wenn es denn eine gibt. Die ist allerdings kein Beweismittel. Die Angeklagte ist keine Zeugin, sie bzw. ihre Schuld oder Unschuld ist der Mittelpunkt des Verfahrens. Sie braucht sich nicht selbst zu belasten.
Strafgerichte sind keine Untersuchungsgremien, die die ganze, vollständige, objektive und absolute Wahrheit ermitteln müssen oder auch nur sollen. Dann könnten wir den Quatsch gleich sein lassen, denn unabhängig von der Frage, ob es so etwas wie eine einzige Wahrheit überhaupt gibt, kann man sich zumindest sicher sein, dass sie sich mit den Mitteln menschlicher Erkenntnis nicht feststellen lässt. Und wie sollte man bitteschön einen Angeklagten zwingen, die Wahrheit zu sagen? Mit Waterboarding oder Daumeschrauben?
„Wenn Zschäpe noch ein Fünkchen Anstand besitzt, sollte sie Reue zeigen, um Entschuldigung bitten und auspacken.“ meint Herr Clasen.
Hm, sie soll Reue zeigen? Wie macht man das? Mit bibbernder Unterlippe und Tränen in den Augen? Vor allem, wie macht man das, wenn man die angeklagte Tat vielleicht gar nicht begangen hat? Und wenn man sie begangen hat und glaubt, damit etwas getan zu haben, was man tun musste? Soll man dann „Reue“ vorspielen, damit das Publikum zufrieden ist? Die Option zu sagen, ich habe nichts getan und bereue das, klappt ja auch nicht richtig.
Sie soll um Entschuldigung bitten? Unterstellt, die Angeklagte wäre schuldig, wer würde ihr verzeihen wollen? Und würde ihr dann nicht vorgeworfen, es sein anmaßend bei derart schweren Taten um Entschulfdigung zu bitten? Und wenn sie nicht schuldig ist, für was soll sie um Verzeihung bitten?
Anstand kann von anderen Menschen ebenfalls nicht gefordert werden. Unanständigkeit ist auch nicht strafbar.
Und sie soll „auspacken“. Ich frage mich ganz ernsthaft, welche Vorstellung Menschen, die derartige Forderungen an eine Angeklagte stellen, von einem rechtsstaatlichen Strafverfahren haben. Da geht es zwar nicht um den Kopf der Angeklagten, aber immerhin um deren Freiheit, möglicherweise für den Rest ihres Lebens.
„Anders Breivik hatte wenigstens den Mut, zu seinen Taten zu stehen, während Beate Zschäpe sich hinter der Strafprozessordnung versteckt, die ihr das Recht gibt, zu schweigen“, meinte Mehmet Daimagüler, der Anwalt zweier Nebenklägerfamilien, zu Beginn des Verfahrens vor gut 2 Jahren. Die Formulierung, dass jemand sich hinter der Strafprozessordnung „versteckt“, lässt ein merkwürdiges Rechtsverständnis befürchten.
Angeklagte dürfen nicht nur nicht „auspacken“, sie müssen sogar von Anfang an, schon bei Beginn der ersten Vernehmung, ausdrücklich darauf hingewiesen werden.
§ 136 Erste Vernehmung
(1) Bei Beginn der ersten Vernehmung ist dem Beschuldigten zu eröffnen, welche Tat ihm zu Last gelegt wird und welche Strafvorschriften in Betracht kommen. Er ist darauf hinzuweisen, daß es ihm nach dem Gesetz freistehe, sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen und jederzeit, auch schon vor seiner Vernehmung, einen von ihm zu wählenden Verteidiger zu befragen. Er ist ferner darüber zu belehren, daß er zu seiner Entlastung einzelne Beweiserhebungen beantragen und unter den Voraussetzungen des § 140 Absatz 1 und 2 die Bestellung eines Verteidigers nach Maßgabe des § 141 Absatz 1 und 3 beanspruchen kann. In geeigneten Fällen soll der Beschuldigte auch darauf, dass er sich schriftlich äußern kann, sowie auf die Möglichkeit eines Täter-Opfer-Ausgleichs hingewiesen werden.
(2) Die Vernehmung soll dem Beschuldigten Gelegenheit geben, die gegen ihn vorliegenden Verdachtsgründe zu beseitigen und die zu seinen Gunsten sprechenden Tatsachen geltend zu machen.
(3) Bei der ersten Vernehmung des Beschuldigten ist zugleich auf die Ermittlung seiner persönlichen Verhältnisse Bedacht zu nehmen.
Schweigen ist klug
Schweigen ist nicht nur – wie die Hinzuziehung eines Verteidigers – das gute Recht eines jeden Beschuldigten, es ist in aller Regel auch wirklich klug. Die Wahrnehmung verbriefter Rechte durch eine Angeklagte ist auch nicht unanständig. Was einmal geäußert wurde, ist in der Welt. Wenn man das hinterher korrigieren will, heißt das dann „wechselndes Aussageverhalten“ und das kommt gar nicht gut. Wenn die Aussage dann vielleicht auch noch lückenhaft oder bereits durch Beweismittel widerlegt ist, hat man so richtig in die Scheiße gegriffen. Ganz übel für die Glaubhaftigkeit der Einlassung. „Warum haben Sie das denn nicht gleich gesagt?“ – tja, warum hat Sie überhaupt was gesagt? Es heißt nicht umsonst, jemand redet sich um Kopf und Kragen.
Es mag ja sein, dass Zschäpe ein dringendes Mitteilungsbedürfnis hatte, von dessen Erfüllung ihr ihre ersten drei Pflichtverteidiger zu recht abgeraten haben. Es mag auch sein, dass die von „prozessualem Selbstmord“ gesprochen haben, was die drei allerdings bestreiten. Aus meiner Sicht hätten die damit den Nagel auf den Kopf getroffen und genau das getan, wofür sie da sind: Ihre Mandantin optimal beraten. Was die dann davon annimmt, hat nicht die Verteidigung zu verantworten.
Niemand hätte Frau Zschäpe daran hindern können, sich jederzeit aus eigenem Antrieb in der Hauptverhandlung zu äußern. Beratungsresistente Angeklagte kennt jeder Strafverteidiger. Die sind gar nicht so selten. Die drei Pflichtverteidiger hätten gegen eine Einlassung gar nichts machen können. Auch der Verteidiger darf seinen Mandanten weder knebeln noch ihm im Gerichtssaal auf die Schnauze hauen, wenn er anfängt zu sprechen. Ich habe es mal in einer Hauptverhandlung mit einem dezenten Tritt gegen das Schienbein versucht, aber nachdem der Mandant erstauntund laut fragte, warum ich ihn treten würde, habe ich nur „Tourette“ gemurmelt und ihn sich nach einer Unterbrechung in den Knast labern lassen. Jeder ist seine Unglückes Schmied und der Verteidiger keine Supernanny.
Wie auch immer Frau Zschäpe sich nun, beraten von ihrem neuen, zusätzlichen Pflicht-/Wahlverteidiger-Duo, verhalten wird, es ist ihre Sache. Und was immer sie an „Wahrheit“ für sich behält oder rauslässt, es ist ihr Recht.
Und was immer Kommentatoren dazu meinen, es kann ihr herzlich egal sein.
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