Visual Kei – Nur eine Jugendkultur?
Viele halten Jugendkulturen für einen „sinnlosen“ Zeitvertreib. Für mich ist Visual Kei aber weitaus mehr und eine Chance zur Überwindung meiner Kontaktscheue und meiner Seinsvergessenheit hin zur freien Selbstgestaltung meines Lebens.
Visual Kei ist ein japanischer Modestil, der Einflüsse aus dem Kabuki Theater mit dem Stil westlicher Musiker wie Kiss, Alice Cooper, Sigue Sigue Sputnik und Michael Jackson, sowie westlichen Moden wie Punk, Glam Rock, Goth und Cyberpunk kombiniert. In deutschen Medien wird Visual Kei oft mit dem Stil des Sängers Bill Kaulitz von Tokio Hotel in Verbindung gebracht. (Den Vergleich lehnen aber viele „Visus“ entschieden ab.) Während in Japan das Viertel Harajuku das geographische Zentrum der Visual Kei Szene zu sein scheint, ist Visual Kei in Deutschland meistens auf Anime Conventions und besonders stark in Düsseldorf vertreten.
Uniforme Mode
Ich hatte von Visual Kei zuerst nur in Diskussionen am Rande gehört und mich nie wirklich großartig für Mode interessiert. Ich hatte ehrlich gesagt auch als Kind und Teenager nie das Gefühl, dass mein Körper wirklich mir gehörte, weil meine Eltern mir befahlen, was ich anzuziehen hatte, wann ich zum Friseur musste, wie man meine Frisur schnitt. Meine Klassenkameraden wollten mich dazu drängen, der Hip Hop Szene beizutreten. Ich habe die Hip Hop Kleidung aber nie wirklich gemocht, auch weil mir der Basecap & Baggypants Look zu uniform aussah. Außerdem empfand ich, dass der Hip Hop Look nicht zu meinem schmächtigen Körperbau passte und der „Gangsta“ Lifestyle bei mir eher lächerlich wirken würde.
Im Wirtschaftsinformatik-Studium wurde ich von einige Mädchen angesprochen, die meinten, ich müsse mich anders kleiden. Ich erkannte dadurch irgendwie, dass mir mein Körper doch gehören könnte. Ich hab mir Visual Kei ausgesucht, weil ich dachte, das passt am Besten zu mir. Bei Visual Kei gibt es auch abgesehen von einigen Grundregeln eine große Vielfalt an Gestaltungsmöglichkeiten, die von Gothic und Punk Elementen über viktorianische Kleider bis hin zu Kleidung, die eher einem Cyberpunk-Film wie Blade Runner oder Matrix entsprungen zu sein scheint, reicht. Außerdem geht es da sehr stark um die optische Weiterentwicklung der eigenen Individualität. Deshalb vertrug sich Visual Kei auch gut mit meiner Liebe zur Existenzphilosophie. Das war für mich der Ausdruck von Sartres Idee des Menschen als freien Selbstentwurfs und Nietzsches Ausspruchs, dass sich der Mensch selbst zum Kunstwerk machen sollte. Zudem erinnerte mich an das stark an das Aussehen der Helden aus vielen Computerspielen, die ich früher spielte, was ich auch noch mal besonders cool fand.
Das Ringen mit dem Vater
Mein Vater war extrem dagegen und meinte, ich sei dumm und kindisch, und ich müsse mich für die „Masse“ aufgeben anstatt aus ihr herauszustechen (Diese Aussage war auch ein Grund, warum Ich anfing, Ayn Rand zu lesen, man denke an Elsworth Toohey). Mein Vater hatte mich so dermaßen fertig gemacht und mich verletzt, dass ich am nächsten Tag extreme psychosomatische Übelkeit und Kopfschmerzen hatte. Ich spürte, obwohl ich meinem Vater gehorchte, ein schlechtes Gewissen, weil ich es im Inneren nicht richtig fand, zu gehorchen. Ich schadete durch meine Individualität ja keinem (Auch deshalb wurde Ich später Heidegger-Anhänger und fand die Idee des Gewissens als Ruf zur Eigentlichkeit mehr als einleuchtend. Zuerst glaubte Ich an Sigmund Freuds Idee des Über-Ich, aber das konnte nicht stimmen, da ich sonst kein schlechtes Gewissen dabei gehabt hätte, meinem Vater zu gehorchen). Mein Vater meinte, obwohl ich nicht so aussehen dürfte, wie ich aussehen wollte, sei ich trotzdem frei, weil ich ja genug zum Essen und zum Anziehen hätte, mir vom Gesetz meine Menschenrechte garantiert würden und ich mich wirtschaftlich betätigen könne.
Nicht in der Masse untergehen
Für mich war dies allerdings eine Horrorvorstellung, in der Masse unterzugehen und ein Leben zu führen, wo es nur darum ginge, brav meine Pflicht zu tun und ja nirgendwo anzuecken. Dies würde meiner Meinung nach auf das berühmte Sprichwort „jedem gefiel sein Leben, nur ihm selbst nicht“ hinauslaufen. Ich wollte kein Leben in Selbstverleugnung führen, sondern ein Leben, was wirklich „mein“ Leben war. Zudem lebt der Mensch bekanntlich nicht vom Brot allein. Außerdem war ich der Meinung, die Grundfreiheit eines Menschen müsste sein, über seinen eigenen Körper bestimmen zu dürfen und wenn das nicht gegeben ist, kann man auch nicht von Freiheit sprechen. Man kann keinen freien Geist besitzen ohne die Herrschaft über den eigenen Körper. Mens Sana in Corpore Sano. Ich hatte deshalb gegen den Willen meines Vaters 5 Monate verbracht, mir selbst beizubringen, meine Haare zu frisieren. Wegen der Worte meines Vaters glaubte ich eine Zeit lang unbewusst, dass die Gesellschaft vor Allem eine Bedrohung für meine Freiheit sei. Nicht nur, durch das, was sie tut, sondern durch die bloße Existenz des „Anderen“. Dadurch verhielt ich mich ungewollt im wahrsten Sinne des Wortes asozialer und intoleranter, und habe anderen Menschen oft selbst kleinste Fehler nicht verziehen.
Als ich das erste Mal zum Japantag ging, war das ein Paradies für mich. Ein jeder war im maximalsten Sinne einzigartig. Es war im übertragenen und im wörtlichen Sinne die „bunte Gesellschaft“, von der Politiker gerne sprachen. Als ich wieder in den „kalten, grauen Alltag“ der seelenraubenden Produktivität des „totalen Arbeitscharakters“, in der die Mehrheit nicht heroisch für ihr eigenes Sein, sondern zum Selbsterhalt des Gestells lebt, zurückkam, war ich danach fast eine Woche nur noch deprimiert. Es fühlte sich nicht nur an, als hätte man mich danach aus dem, wie ich leben wollte, weggerissen, es fühlte sich für meinen Geist fast an, als wäre ich gezwungen worden, ein Teil der Borg zu werden. Im Jahr 2013, nach dem Tod meines Vaters, wurde ich von meiner restlichen Familie und meiner Sozialarbeiterin ermutigt, mich zu trauen, im Visual Kei Outfit zum Japantag zu erscheinen. Obwohl ich eine gewisse Angst hatte, tat ich das dann und ich wurde sehr oft fotografiert. Das war auch das allererste Mal, dass Mädchen mir sagten, dass ich schön aussehen würde. Ich fühlte mich an dem Tag wirklich frei und es wurde der glücklichste Tag der letzten 10 Jahre. Ich fühlte, dass Ich endlich so aussehen durfte, wie ich wollte, und Herr über mein Dasein war. Dass ich nicht so sein musste, wie es andere von mir verlangen, sondern dass ich ein freier Selbstentwurf war. Ich war niemandem Rechenschaft schuldig außer mir selbst. Im nächsten Jahr lief es dann nicht so gut, unter anderem weil ich die Leute, die ich 2013 traf, nicht mehr wieder sah und auch nicht in der Lage war, großartig Kontakte zu knüpfen. Ich wurde auch von Fotografen ignoriert. Eine Person hat mich auch ziemlich hart für mein Styling kritisiert. Diese Person hatte da diesmal auch recht. Das Problem war aber, die hatte rein zufällig fast exakt die gleiche Formulierung wie mein Vater verwendet und das hatte mir den Tag so richtig verhagelt.
„Dasein ist Mitsein“
Im nächsten Jahr erhoffte ich, es besser zu machen. Ich wusste aber nicht, woran das lag, dass es 2014 nicht so gut lief. Ironischerweise hat mir da die Philosophie geholfen. Rein zufällig hatten mich u.A. der damalige Chef der „German Libertarian Party“ und ein Autor der Seite „Freitum“ auf Alexander Dugin und Dimitrios Kisoudis hingewiesen. Diese beiden Autoren haben auf einen Satz in der Arbeit Heideggers hingewiesen, den Ich bisher ignorierte: „Dasein ist Mitsein“ Dies brachte mich insgesamt zum Nachdenken. Wegen dem Verhalten meiner Eltern und Mitschüler, aber auch wegen der Beschaffenheit meines Hirns war Ich immer extrem kontaktscheu. Ich dachte, das hat mir mehr Probleme gemacht, als gelöst. Wenn man sich Freiräume schaffen will, lohnt es nicht, allein zum Waldgang aufzubrechen und sich abzukapseln. Besser ist es, andere „Waldgänger“ zu finden, mit denen man zusammen die Freiheit genießen kann. Und die Welt ist zwar voll von Elsworth Tooheys, aber denen kann man nur begegnen, wenn man seinen John Galt findet. Dies habe Ich auf der Animagic 2015 beherzigt und war offener auf Leute zugegangen und habe einige sogar nach Facebook Kontakt gefragt. Dies half und der Tag wurde fast so gut wie der Japantag 2013.
Schreibe einen Kommentar