The West is Best!
Woher kommt der Terror und wie können wir ihn verhindern?
Was geht in den Köpfen junger Europäer (egal welcher Abstammung) vor, die zu Terroristen werden? Der Startpunkt für die Radikalisierung junger Islamisten sind antimoderne und antiwestliche Gefühle und Ideen. Solche Vorstellungen kommen nur teilweise von außen. Wir haben es hier nicht in erster Linie mit dem Import religiöser Ideologien zu tun, sondern mit einer bunten Mischung an Ursachen, die von individuellen Ausgrenzungserfahrungen über fehlgeleitetes Geltungsbedürfnis, Neid, Eifersucht, kriminelle Neigungen, ideologische Verblendung, gestörtes Urteilsvermögen bis zu Verschwörungstheorien unterschiedlicher Provenienz reichen. Bei jedem dieser Mörder ist die Mischung eine andere.
Konsequent antiwestlich
Die relative Breitenwirkung beruht darauf, dass viele Ideen, die zur individuellen Begründung und Legitimation des Terrors gebraucht werden, in abgeschwächter Form auch in der allgemeinen öffentlichen Meinung präsent sind. Diffuse antiwestliche Ideen sind zum Beispiel auch dem Papst nicht fremd, der dazu aufruft, die „Welt des wütenden Konsums“ zu überwinden. Sie sind Hollywood-Stars nicht fremd, die den Dalai Lama verehren. Sie sind Klimaschützern nicht fremd, die ausdrücklich davor warnen, dass eine Ausbreitung westlichen Lebensstils direkt in die Katastrophe führe. Sie sind konservativen Kulturpessimisten nicht fremd, denen die Freiheiten der westlichen Jugend viel zu weit gehen. Sie sind Linken wie Rechten nicht fremd, die sich in ihrem Antiamerikanismus immer wieder recht nahe kommen, wenn sie etwa zum Kampf gegen „das Finanzkapital“ oder multinationale Konzerne aufrufen oder Israel als Bedrohung für den Weltfrieden identifizieren. Der Politologe Bill Durodié schreibt: „Letztlich kommen alle Ideen irgendwo her. Extremismus ist der extreme Ausdruck von Ideen des Mainstreams. Wenn es unser Ziel ist, Extremisten zu stoppen, müssen wir uns um die Ideen kümmern, die sie antreiben.“ Viele glauben, Islamismus sei eine extreme Form von Islam. Klingt ja auch naheliegend. Aber das ist höchstens die halbe Wahrheit. Wahrscheinlich ist Islamismus in erster Linie die extreme Form antiwestlicher Ideen.
Parasitärer Terrorismus
Ein europäischer Islamist, der gegen die Dominanz der westlichen Kultur zu kämpfen glaubt, muss sich also bei aller Ablehnung seiner Gewaltexzesse nicht gänzlich isoliert fühlen. Er kann sogar zu der Auffassung gelangen, dass er in seiner Radikalität nur mutiger und konsequenter ist als andere, die die gleichen Probleme sehen wie er, es aber nicht wagen, in den Kampf zu ziehen und ihr Leben zu geben. Der Islamist verachtet die Schwäche des Westens. Er genießt das Gefühl der Macht. Und das Gefühl der Macht nährt sich nicht nur aus der brutalen Gewalt der Terrorakte, die Angst und Schrecken verbreiten, sondern auch aus der Wahrnehmung, etwas zu tun, um die Welt zu verändern, während andere nur den Untergang beklagen, aber zu schwach sind, etwas zu bewegen – nicht zuletzt, weil sie gefangen sind in der westlichen Kultur, an die sie selbst nicht glauben.
In dieser Lesart zeigt sich der islamistische Kulturterrorismus als antiwestliche Widerstandsbewegung, die parasitär am Westen hängt und aus westlichem Selbstzweifel Blut saugt. Das Gegengift kann nur darin bestehen, diesen Selbstzweifel zu überwinden und einen Anspruch neu zu formulieren, der lautet: „The West is Best!“ Mit dem Aussprechen ist es natürlich nicht getan. Die Überlegenheit muss gelebt, bewiesen und verteidigt werden.
Kampf der Kulturen?
Haben wir es mit einem Kampf der islamischen Welt gegen die westliche Welt zu tun? Samuel Huntington hat in seinem berühmten Aufsatz „The Clash of Civilizations?“ 1993 die These vertreten, dass nach dem Ende des Kalten Kriegs Kulturen die entscheidenden weltpolitischen Einheiten seien. Die Bruchlinien zwischen Kulturen werden die Kampffronten der Zukunft sein, prognostizierte er. Der wichtigste, prägende Faktor dieser Kulturen sei die Religion, und Religionen seien wieder auf dem Vormarsch. Er hat sieben bis acht solche Kulturen benannt, darunter auch den Westen und den Islam. Um neue weltweite Konflikte zu vermeiden, müsse der Westen auch andere kulturelle Wertvorstellungen als die eigenen berücksichtigen. Modernisierung könne nicht mit westlicher Kultur oder Verwestlichung gleichgesetzt werden.
Huntington wurde für diese Thesen vielfach kritisiert. Jeane Kirkpatrick verwies in ihrer Antwort auf Konfliktpotenziale innerhalb einer Kultur. Sie schreibt: „Die wichtigsten und explosivsten Differenzen in Zusammenhang mit dem Islam sind innerhalb der islamischen Welt zu finden – zwischen Personen, Parteien und Regierungen, die relativ moderat, nicht expansiv und nicht gewalttätig sind, und solchen, die antimodern und antiwestlich, extrem intolerant, expansionistisch und gewalttätig sind.“
Gerard Piel antwortete mit einem sehr kurzen Aufsatz, der mit „The West is Best“ überschrieben ist. Er erklärt die Vorherrschaft des Westens schlicht mit der Überlegenheit der westlichen Kultur. Letztlich würden alle dem westlichen Vorbild folgen. Huntington teilt diese Auffassung ausdrücklich nicht. Er schreibt drei Jahre später in seinem Buch: „Der Westen eroberte die Welt nicht durch die Überlegenheit seiner Ideen oder Werte oder seiner Religion (zu der sich nur wenige Angehörige anderer Kulturen bekehrten), sondern vielmehr durch seine Überlegenheit bei der Anwendung von organisierter Gewalt. Oftmals vergessen Westler diese Tatsache; Nichtwestler vergessen sie niemals.“
Tatsächlich beruht der Erfolg des Westens historisch betrachtet wohl auf beidem. Die Eroberung der Welt durch Gewalt und die Eroberung der Welt durch westliche Ideen sind zwei Prozesse, die miteinander verwoben, aber offensichtlich nicht identisch sind. Daher ist es auch plausibel, dass Menschen oder Gesellschaften sich gegen westliche Herrschaft wehren, nicht aber gegen die Verbreitung westlicher Ideen. Fouad Ajami wies in seiner Antwort auf Huntington schon 1993 darauf hin, dass der Effekt von Modernisierung und Verwestlichung auf andere Kulturen nicht unterschätzt werden darf. Gesellschaften, insbesondere die Mittelschichten, seien nicht willens ihren Fortschritt in Richtung Modernisierung und Säkularisierung für einen wiederbelebten Islam oder Hinduismus aufzugeben. In allen Gesellschaften gibt es heute Gruppen, die westliche Werte bekämpfen. Aber es gibt auch eine Bevölkerungsmehrheit, die im Großen und Ganzen leben will, wie Menschen im Westen leben: in Demokratien mit großer Individueller Freiheit, kultureller Vielfalt und natürlich materiellem Wohlstand.
Genau das ist es, was heutige Terroristen fürchten und bekämpfen: die große Bereitschaft ihrer eigenen Glaubensgenossen, einen westlichen Lebensstil zu übernehmen. Der Terrorismus wendet sich daher nicht gegen politische oder militärische Herrschaft und ist auch keine Reaktion darauf. Er richtet sich gegen die Verbreitung – und bereitwillige Übernahme – westlicher Ideen. Und genau deshalb gibt es keine Rechtfertigung für diesen Terror mit Verweis auf westliche Machtpolitik.
Huntington hat schon 1993 die interessante Beobachtung gemacht, dass westliche Ideen in nicht-westlichen Ländern lange Zeit vor allem von den Eliten aufgenommen wurden, dies sich aber nun wandele. Während die Eliten in Distanz zum Westen gingen, würde die westliche Kultur in der Bevölkerung immer populärer. Gegen diese Popularität westlicher Kultur in nicht-westlichen Ländern wendet sich der Terror. Wir haben es nicht mit einem Kampf der islamischen Welt gegen den Westen zu tun, sondern mit dem Kampf islamistischer Terroristen gegen die westliche Kultur.
Kampf der Ideen!
Wenn wir „The West is Best!“ als Anspruch formulieren, dann muss dieser Anspruch – wie oben gesagt – gelebt, bewiesen und verteidigt werden.
Den Anspruch zu leben, bedeutet, dass wir kompromisslos zu unseren demokratischen Werten stehen. Wir müssen für Meinungsfreiheit ohne Wenn und Aber eintreten. Wir müssen jedem, der reaktionären Mist erzählt, sagen, dass er reaktionären Mist erzählt. Wir müssen Bars, Cafés und Konzerthallen besuchen. Wir müssen die Demokratie wiederbeleben und die politischen Debatten so spannend machen, dass wieder 90% der Leute wählen gehen. Wir müssen uns für das Recht einsetzen, eine Burka zu tragen, und gleichzeitig klar machen, dass wir das für einen Ausdruck der Rückständigkeit halten. Wir müssen für offene Grenzen eintreten und gleichzeitig für das Recht der nationalen Selbstbestimmung souveräner Staaten. Usw.
Den Anspruch zu beweisen heißt, dass wir uns nicht mit dem zufrieden geben können, was erreicht ist, und nicht die Fehlentwicklungen und Missstände unter den Teppich kehren dürfen. Wir müssen Probleme benennen, unsere Überzeugung zum Ausdruck bringen, dass wir sie als freie, demokratische Gesellschaft lösen können, und eine offene Debatte darüber führen, was die beste Lösung ist. Wir müssen zeigen, dass wir es schaffen können, eine bessere Zukunft für alle Menschen zu erreichen. Wir müssen zeigen, dass der Westen für Fortschritt steht, dass der Westen kein müder Klub von Reichen ist, die ihren Wohlstand verteidigen und keine Ziele mehr haben, sondern eine mächtige Bewegung, die über die Mittel verfügt, die Welt immer besser zu machen und immer mehr Menschen ein besseres Leben zu ermöglichen.
Den Anspruch zu verteidigen heißt, den Feinden der offenen Gesellschaft entgegen zu treten und sie im Kampf der Ideen zu besiegen. Wir haben es nicht mit einem Kampf der Kulturen zu tun. Es geht nicht um den Konflikt einer islamischen Kultur mit der westlichen Kultur. Es geht um ein Brüchigwerden der westlichen Kultur, die sich nicht mehr als dynamisches Projekt der Aufklärung definiert, sondern zwischen Fortschrittsglauben und Kulturpessimismus schwankt und daher große Angriffsflächen bietet.
Weil es um einen Kampf der Ideen geht, kann der Westen nicht militärisch siegen. Und auch der Interventionismus der Vergangenheit hat im Kampf der Ideen eher geschadet als genützt. Das heißt nicht, dass Terroristen nicht verfolgt und meinetwegen auch getötet werden dürfen. Nur sollte man sich tunlichst hüten, zu glauben oder auch nur zu sagen, dass ein Krieg geführt wird.
Der Westen hat keine Kriege zu führen und keine anderen Kulturen zu bekämpfen, er muss das eigene Projekt fortführen und so die ganze Welt überzeugen und darin bekräftigen, dass der Prozess der Verwestlichung der richtige Weg ist. Es gilt, für individuelle Freiheit, Toleranz, Menschenrechte, Gleichberechtigung, technologischen Fortschritt, Rechtstaatlichkeit, Demokratie und Marktwirtschaft zu werben.
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