Große Koalition: Gut für die Demokratie
Eine Große Koalition muss nicht schlecht sein für die Demokratie – sie kann sogar eine Chance sein.
Als vor zwei Jahren die ganz große Koalition aus CDU/CSU und SPD entstand, der rund 80% der Bundestagsabgeordneten angehören, während die Opposition nur einen verschwindend kleinen Teil des Parlaments besetzt, war viel vom Ende der Demokratie die Rede. Und noch vor einem Jahr schrieb Eckard Lohse in der FAZ, wir befänden uns auf dem Weg in den Ein-Parteien-Staat.
Die Realität sieht allerdings, das zeigen nicht zuletzt die Streitigkeiten innerhalb der Unionsparteien in den letzten Tagen, ganz anders aus. Zunehmend wird deutlich, dass eine ganz große Koalition nicht weniger, sondern mehr Demokratie bedeutet.
Knappe Koalition – wenig Demokratie
Wie ist das möglich? Erinnern wir uns an die Zeiten der knappen und ganz knappen Koalitionen, bei denen die Regierungsparteien gegenüber der Opposition nur eine kleine Mehrheit hatte. In solchen Parlamenten sind die Abgeordneten tatsächlich nichts anderes als disziplinierte Soldaten: Freiheit ist die Einsicht in die Notwendigkeit, sagte schon Hegel und nach ihm die Marxisten. Die angebliche Freiheit des Abgeordneten, der nur seinem Gewissen verpflichtet ist, ist die mehr oder weniger freiwillige Einsicht in die Notwendigkeit der Fraktionsdisziplin. Selbst wenn eine Parlamentarierin mal eine abweichende Meinung hat, wird sie bei knappen Mehrheitsverhältnissen nicht die Regierung gefährden und brav so abstimmen, wie es die Führung von Partei und Fraktion vorgibt. Mit Demokratie hat das nicht viel zu tun.
Anders in der Großen Koalition. In den letzten Monaten mehrten sich die Meldungen über abweichendes Stimmverhalten. Abgeordnete aus CDU, CSU oder SPD stimmten nicht mit der Koalition, sondern mit der Opposition. Da die Gefahr nicht sehr groß ist, dass die Regierung platzt, wenn ein paar „Gegenstimmen aus den eigenen Reihen“ zu zählen sind, wagen es die Mutigen und die nicht ganz so mutigen, auch mal zu zeigen, dass sie selbst denken können und eine eigene Meinung haben.
Die Fraktionsspitze, im Auftrag der Regierung dafür da, die Abgeordneten auf den richtigen Kurs zu bringen, kann in so einer Konstellation auch nicht schlicht mit der Gefahr von Neuwahlen drohen. So müssen plötzlich Sachargumente her, wo zuvor ein mehr oder weniger drohend vorgetragener Appell an die Geschlossenheit der eigenen Reihen genügt hat. In einer kleinen Koalition kann schlicht durchregiert werden, in der großen Koalition wird debattiert und diskutiert, um die Mehrheit zu erhalten und die Zahl der Abweichler möglichst gering zu halten.
Eine große Koalition bringt also nicht weniger, sondern mehr Demokratie – jedenfalls hat sie das Zeug dazu. Es ist sogar denkbar, dass eine ganze Landesgruppe (mit Namen CSU) ausscheidet, ohne dass es die Regierung ernsthaft scheren muss.
Die ganz große Koalition
Das bringt uns auf die Idee, mal von einer ganz großen Koalition zu träumen. Man stelle sich vor: Alle Parteien, die im Parlament vertreten sind, stellen am Anfang der Legislaturperiode eine Regierung zusammen – wenigstens sind alle dazu eingeladen. Wenn natürlich die LINKE darauf besteht, den Wirtschaftsminister zu stellen, kann es sein, dass sie halt nicht dabei ist, genauso wie eine Ministerin für Frauen und Jugend, die von der CSU kommt, sicherlich schwer vorstellbar ist.
Von dem Moment an, wenn die Regierung steht, muss sich jede Fraktion oder jede Gruppe von Abgeordneten, die eine Gesetzesidee hat, ihre Mehrheiten dafür zusammensuchen, ebenso jede Ministerin und jeder Staatssekretär, der meint, dass irgendwas anders verordnet werden muss. Mal gibt es einen fraktionsweiten Konsens, mal einen, der quer zu den Fraktionen liegt – und hin und wieder wird es auch keine Mehrheit geben. Na und? Dann gibt es mal ein neues Gesetz weniger.
Sie meinen, liebe Leserin, ich sei ein Träumer? Und Sie, verehrter Leser, halten das nicht für praktikabel? Warten Sie mal die nächste Wahl ab, nach der wir wieder eine Große Koalition haben werden. Alle Zeichen sprechen dafür, dass ich Recht behalte – und es wäre auch ganz im Sinne einer echten Gewaltenteilung zwischen Legislative und Exekutive, weil die Kanzlerin, die ich mag, endlich nicht mehr via Fraktionschef ihre Ansagen durchsetzen kann.
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