Was hat Rudolf Steiner mit dem Empire-State-Building zu tun?

{Intro: } Direkt nichts. Aber indirekt gibt es eine Verkettung von seltsamen und absurden Verbindungen, die es wert sind, zu erzählen.


Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Waldorf_Astoria_main_entrance_circa_1903.jpg?uselang=de

 

Beginnen wir doch einfach mal mit dem Ort Walldorf. Ein recht beschauliches Städtchen mit etwas über 16.000 Einwohnern in Baden-Württemberg – bis auf den Umstand, dass da der Firmensitz der einzigen erfolgreichen deutschen Tech-Firma ist, die groß genug ist, neben Amazon oder Microsoft genannt zu werden: SAP. Nebenbei gesagt, wenn nicht schon zur Genüge bekannt: Der Gründer von SAP, Dietmar Hopp, ist Gesellschafter des Fußball-Vereins TSG Hoffenheim aus der 1. Bundesliga, und SAP ist Hauptsponsor.

Wahrscheinlich weniger bekannt ist Walldorf aber für einen Sohn der Stadt, der dort 1763 geboren wurde, und später so reich wurde, dass man ihn oft als ersten amerikanischen Multimilliardär bezeichnete. In die Wiege gelegt war es ihm nicht, denn vom Vater weiß man, dass er ein so armer Metzger war, dass drei seiner Söhne in die Ferne zogen, um dort ihr Glück zu versuchen und von Null auf aufzubauen.

Vor allem von Johann Jakob Astor, dem jüngsten, der mit 17 die Heimat verließ, kann man sagen, dass er es – zumindest finanziell – in großen Mengen fand. Dieser 17-Jährige lernte zuerst bei seinem Bruder in London Musikinstrumentenbau, um sich dann doch – wie der andere ausgewanderte Bruder – in die Neue Welt aufzumachen und dort wurde er Pelzhändler. Er heiratete reich und ab da wurde sein Leben eine prototypische vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Geschichte. Mit viel Risikobereitschaft, Chuzpe und Geschäftssinn erreichte er den Gipfel des Reichtums, der damals möglich war. Als er als John Jacob Astor 1848 starb, hinterließ er nicht nur seinen Nachkommen ein Vermögen, sondern auch eine der großen öffentlichen Bibliotheken in New York; und in seinem Heimatort Walldorf wurde von seinem Geld ein Armenhaus gegründet, das Astor-Haus, das heute als Museum fungiert.

Als Testamentsvollstrecker engagierte er übrigens einen jungen Juristen, Washington Irving, der später mit seinem Freund, Sir Walter Scott, in den schottischen Highlands wanderte und dabei Inspiration fand für seine Gruselgeschichte, deren Verfilmung inzwischen vielen ein Begriff ist: „The Legend of Sleepy Hollow“. Aber ich schweife ab.

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Zwei Hotels? Nein, eines

Die Familie Astor erhielt mit diesem enormen Vermögen einen großen Namen, die Mitglieder waren in Amerika in der High und Highest Society. Der Reichtum und der Geschäftssinn hielt sich bis in die vierte Generation, als zwei Urenkel des Alt-Walldorfers sich entschieden, mitten in New York in genauer Nachbarschaft zueinander und von demselben Architekten jeweils ein Nobel-Hotel bauen zu lassen. 1893 eröffnete William Waldorf Astor (hier war eines der „l“s in der Amerikanisierung verloren gegangen) das Waldorf-Hotel mit 13 Stockwerken und 1897 eröffnete John Jacob Astor IV. das Astoria mit 17 Stockwerken und im selben Jahr wurden die beiden Gebäude durch einen Durchgang vereinigt, der als „Peacock Alley“ berühmt wurde, weil die reichen und schönen Gäste darin wie Pfauen ihren Glanz und Glamour zeigten. Der Hotelkomplex hieß ab da – folgerichtig – „Waldorf-Astoria“.

Kleine Bemerkung zwischendurch: Zu dem Ruhm des Hauses trug auch ein bei der Eröffnung 1893 erst 27 Jahre alter Chefkoch bei, Oscar Tschirky, der dabei glanzvoll eine Eigenkreation kredenzte, die er „waldorf salad“ nannte. Er selbst wurde aufgrund seiner Fähigkeit, die Parties des Etablissements zu rauschenden Festen werden zu lassen und auch wegen seines später in einem Kochbuch verewigten Salats zum „Oscar of the Waldorf“, der erst mit 78 Jahren aus seiner Position schied.

Das Haus erlangte Weltruhm, es war DAS globale Nobel-Hotel. So ein glanzvoller Name, er klang nach Geld und Gold, nach Luxus, Seide und Diamanten.

Zurück nach Stuttgart

So glanzvoll, dass im deutschen Kaiserreich, nur wenige Kutschenstunden entfernt von Walldorf, im sich aus der Provinzhaftigkeit gerade herausschälenden Stuttgart, der Name wieder auftauchte. Wie das?

Gehen wir schnell nochmal zurück nach New York und folgen der Spur: Im Keller des Waldorf-Astoria, um die Jahrhundertwende, wurde eine Zigarren-Manufaktur betrieben, die den Namen mittrug. Der Zweck war, dass die Gäste des Hotels ohne Zwischenstopps in den perfekten Genuss der perfekt befeuchteten (eigens eingerichteter Humidor) Zigarre kommen konnten. Diese praktische Einrichtung für die Gäste war aber dann so erfolgreich, dass sie sich aus dem beengten Kellerdasein herausarbeitete und den Namen mitnehmen konnte. Über eine Hamburger Firma, die in Stuttgart dann mitgründete, wanderte das Namensrecht nach Süddeutschland. Die Waldorf-Astoria Zigarettenfabrik entstand und war in den ersten beiden Jahrzehnten des Jahrhunderts sogar recht erfolgreich mit ihrer Eigenmarke „Astor“.

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In New York wiederum tat sich inzwischen Dramatisches. Der eine Cousin der Astors, nämlich derjenige, der das „Waldorf“ 1897 eröffnet hatte, der den gleichen Namen wie sein Urgroßvater trug, John Jacob Astor, war 1812 auf einem Kreuzfahrtschiff verunglückt. Das hieß … tada … Titanic. 1916 ging der andere Cousin nach England, wo er zu Neu-Adel kam. Und das von der Astor-Familie etwas verwaiste, so glamouröse Etablissement verlor nach und nach Boden zugunsten anderer Hotels, die den Roaring Twenties mehr bieten konnten. 1929 war dann auch endgültig Schluss, die Familie vergoldete sich den Abschied von der Legende, das Gebäude wurde plattgemacht und auf dem günstig gelegenen Platz kam ein Gebäude, das als das höchste der Zeit Furore machte: das Empire State-Building. Zwei Jahre später eröffnete an der Park Avenue durch ein Konsortium das neue Waldorf-Astoria, wo es heute noch seinen Platz hat. Es sollte bis in die 70er hinein die absolute It-Location sein, mit einer neuen Peacock-Alley, mit rauschenden Festen, politischen Zusammenkünften, sensationellen Gästen und an alten Ruhm anknüpfen. Conrad Hilton, der Urvater der heutigen Hotel-Tycoon-Familie, und der Urgroßvater des Celebrity-Sternchens der 2000er, Paris Hilton, übernahm die Leitung des Hotels 1949, das er endgültig 1971 erwarb. Und ab denselben 2000er Jahre hat die Hilton-Hotelkette angefangen, das Franchise Waldorf-Astoria als Hotelnamen in der Welt zu verbreiten.

Rudolf Steiner

Aber zurück nach Stuttgart. Einer der Gesellschafter der 1906 neu gegründeten Zigarettenfabrik war Emil Molt, ein aktives Mitglied der gerade Schwung aufnehmenden anthroposophischen Bewegung mit Rudolf Steiner. Und weil ja ein Anthroposoph nicht nur Esoterik sondern tatsächlich auch den „anthropos“, den Menschen im Blick hat, hatte er den Einfall, den Kindern seiner Angestellten eine eigene Schule mit diesen neuartigen Ideen seines Kumpels Steiner zu bauen. Der Legende nach hatte Molt nach einem Gespräch mit einem Arbeiter über dessen hochbegabten Sohn und einem zufällig gerade gehörten Vortrag von Rudolf Steiner über dessen pädagogisches Konzept zufolge den Auftrag an diesen erteilt, seine Theorien in die Praxis umzusetzen.

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1919 entstand dann diese erste Schule nach Rudolf Steiners Ideen, mit durchaus sozialem Impetus. Die Hälfte der Schüler waren eben die Kinder der Arbeiter in der Zigarettenfabrik und die andere Hälfte Kinder wohlhabender Anthroposophen. Es war ein inklusives Konzept, in dem sich praktische und esoterische Ansätze verwoben. Die Schulgebäude selbst, die man heute in Stuttgart-Uhlandshöhe besuchen kann, sind von Modernismus, durchaus kühnen Assymetrien und viel Holz geprägt. Das letzte Gebäude, das aus der Anfangszeit dabei war, wurde noch vor der 100-Jahr-Feier 2019 entfernt, um den Schülern oder auch grandiosen Konstruktionen mehr Platz zu verschaffen. Das pädagogische Konzept des Esoterikers Steiner und des Fabrikanten Molt waren aber so erfolgreich, dass inzwischen in über 60 Ländern der Welt Waldorf-Schulen gegründet wurden. Die nach einer Zigarettenfabrik heißen, die nach einem Nobel-Hotel in New York heißt, das nach dem Urenkel des ersten amerikanischen Multimilliardär heißt, der nach dem kleinen Ort nicht allzuweit von Stuttgart benannt wurde.

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