Generation Wohnklo – Little Boxes

Wie funktioniert eigentlich der Hype um die Mikroappartements? Wer verdient daran und warum überschwemmen diese Wohnzellen unsere Städte? Ein beklemmend bitterer Text über ein noch dunkleres Geschäft. Beitrag von Isabel Wiest


Über Mikrowohnen, Pappmöbel, und ein Leben im Bett

Eine seltsame Seuche hat uns befallen. Sie kam beinahe über Nacht und brachte tausende Kleinstwohnungen in unsere Städte. Man rechtfertigte ihren Bau mit angeblicher Wohnungsnot, förderte sie mit unseren Steuergeldern fast zu Tode, während bei den Investoren und Anlegern tüchtig die Korken knallten. Die kleinen Boxen bestechen Anleger und Mietopfer in Hochglanzprospekten gern mit einem Fenster, einem Klo und einer Tür. Auf 17 bis 20 Quadratmetern stapeln sich minimalistische Pressholzmöbel in hellem Buchenlook, die zur ökonomisch optimierten Standardausstattung gehören.

Das Mobiliar ist gerade haltbar genug, um keine Haftungsansprüche auszulösen, aber billig genug, um ohne Verluste nach einem Bewohner, zusammen mit diesem, rausfliegen zu können. Meist versuchen die Fotografen, die Tristesse des Interieurs mit einer drapierten Ikeadecke auf der Pritsche zu verhübschen. Wahlweise steht eine verzweifelte Primel auf dem Tischchen in MacBook-Größe, an dem der Mietinsasse wohl auch essen soll. Gelegentlich fragt man sich, wie so ein Wohnschlauch eigentlich aussieht, wenn sich tatsächlich ein ausgewachsener Mensch darin aufhält.

Die gewinnträchtigen Immokartons lassen sich praktischerweise in alle möglichen Gebäude reinplanen, was wohl einer der Gründe für ihre explosionsartige Verbreitung ist. Entkernte Fabriken, alte Verwaltungsklötze aus den 60ern, Bürogebäude, alles was möglichst viel Fensterfläche hat und wo man flugs ein paar Pappwände und Technikeinheiten einziehen kann.  Nebenbei darf man sie praktischerweise baurechtlich sogar da realisieren, wo normales Wohnen aus Gründen zu hoher Lärmimmissionen gar nicht genehmigungsfähig wäre, beispielsweise auf Gewerbeflächen oder entlang lauter Magistralen. Der Dreh ist dann das zeitlich begrenzte Wohnen, und dass die Wohnkisten keine eigene Küche haben.

Wohnkultur war damals, heute erklärt die Mikroapartment-Lobby ein Leben wie im Flughafen-Billighotel zum heißen Scheiß. Hauptsache man ist Teil der krankhaft gehypten Megastädte, in denen man dann Dank der Wunderdroge inklusiven W-Lans, zwischen Bett, Klo und Tisch mit zwei Schritten netflixend hin und her vagabundieren kann. Nur Jugendknast ist schöner.

Böse? Dann sollten Sie nicht weiterlesen, denn jetzt wird es erst richtig böse:

Das Segment Mikro-Wohnen ist derzeit ein Markt, der über zahlreiche offene Immobilienfonds für kleinteiliges Wohnen, Renditen von bis zu 6% verspricht, und den Investoren zunehmend für sich erkannt haben. Darüber hinaus werden private Investoren beispielsweise in Hamburg mit KfW Förderung und den Förderrichtlinien der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt Wohnen für Studierende und Auszubildende bei der Schaffung von preisgünstigem Wohnraum für die genannten Zielgruppen großzügig unterstützt (siehe Drs. 20/7479).

Der rot-grüne Hamburger Senat will sich mit seinem ehrgeizigen Ziel, über 10.000 neue Wohneinheiten im Jahr zu realisieren, schmücken.
Um sich ein bisschen anzustrengen, bekommen denn auch die sieben Hamburger Bezirke eine Prämie pro genehmigter Wohneinheit für ihre Quartiersmittel. Die 250 € pro Bude erscheinen zwar nicht viel, aber es summiert sich. Wie groß diese Wohneinheiten dann im Ergebnis sind, und ob deren Bau eine bedarfsgerechte und nachhaltige Stadtplanung garantiert, das ist dem Senat dabei völlig egal. Hauptsache Masse. Wohnung ist Wohnung. Die Zahlen müssen stimmen und die Bezirke brauchen in Zeiten des knallharten Konsolidierungskurses der Stadt jeden Cent. Da ist man geneigt, schon mal den einen oder anderen Klotz voller Wohnklos durchzuwinken.

Hohe Renditen am Mietspiegel vorbei

Ein weithin unbekannter Dreh für die hohen Renditen ist dabei dieser: Die Mikro-Appartements, Boardingzimmer oder neuerdings auch liebevoll neudeutsch „Smartments“ genannten Kleinstwohneinheiten liefern im Schnitt höhere Erträge als die üblichen Zwei-, Drei- und Vier- Zimmer-Wohnungen. Auf den Quadratmeter gerechnet lassen sich hier wesentlich höhere Mieten durchsetzen. Warum ist das so? Ist die Mikro-Wohnung nämlich möbliert oder teilmöbliert und wird sie für einen begrenzten Zeitraum vermietet, gelten weder Mietpreisspiegel noch Mietpreisbremse. So kommt man in manchen Zimmern incl. aller Nebenkosten auf stolze Quadratmeterpreise von saftigen 25€, die sich selbst mit der schnellsten Internetverbindung kaum rechtfertigen lassen. Das Mietausfallrisiko ist auch gering, müssen doch Eltern für die Studenten bürgen um überhaupt an die Mietverträge zu kommen.

Branche betreut sogar Uni-Arbeiten

Ein weiterer befremdlicher Punkt ist folgender: Die Bedarfe werden mitunter durch selbstgegründete Institute der Branche mit engen Verbindungen zu großen Hotelentwicklern dargestellt, was alles andere als unabhängig ist. Die Mendelssohn Stiftung ist beispielsweise 50%iger Anteilseigner der GBI Holding, Deutschlands größtem Hotelbauer, und realisiert ebenfalls diese großzügig geförderten „Smartments“. Zu diesem Zweck haben Sie auch noch ihr eigenes Institut gegründet. In diesem Mendelssohn Institut gibt es einen geschäftsführenden Direktor, der nebenbei als Lehrbeauftragter der Uni Abschlussarbeiten im Bereich Stadtplanung an der Hafencity Universität betreut.

Bsp.: Hrachya Matinyan | Wohnformen im Alter – Zwischen Isolation und Selbständigkeit. | Betreuung mit Dr. Stefan Brauckmann (Moses Mendelssohn Institut)

Diese Arbeiten beschäftigen sich dann, wie sollte es auch anders sein, gern mit der Darstellung der besonderen Bedarfe der Stadt im Bereich Mikrowohnen. Mal für Studenten, mal für Senioren oder Auszubildende. Mit diesen Studienergebnissen tingelt das Institut dann zu Wirtschaft und Politik und stellt bundesweit Abgeordneten, Verbänden und Baufirmen quasi verwissenschaftlicht und mit vielen Diagrammen und Zahlen versehen, die Bedarfe des eigenen, renditenträchtigen Produkts dar.

So baut man sich nebenbei für die Zeit nach Ablauf der Förderzeiträume und der Bindungsfristen schon mal die Hotelzimmer von morgen in die Städte, macht ordentlich Rendite mit den Schuhschachteln und lässt sich vom Steuerzahler fein dabei unterstützen. Denn kaum sind die Dinger genehmigt, sind sie mitunter schon wieder weiterverkauft. 15 bis 30 Jahre in die Zukunft sind die Verträge nämlich oft schon unter Dach und Fach. Nach der Bindungsfrist ist der Würfelhusten dann bereits an Banken, Immobilienkonzerne, Hotelketten oder Stiftungen weitergeschoben. Die Verkaufserlöse sind ein willkommener Teil der Baufinanzierung. Und Dank unserer unsäglichen Share Deal Praxis, die unsere feinen Bundesfinanzminister der Reihe nach tunlichst nicht anfassen, passiert das alles auch noch, ohne einen einzigen Cent Grunderwerbssteuer an die Gemeinden zahlen zu müssen. Aber damit beschäftigen wir uns demnächst mal in Ruhe.

Monopoly für Anfänger eigentlich. Es ist aber immer wieder faszinierend, wie einfach so etwas in einem Land funktioniert, in dem Wohnungsbau so ein wichtiges und ernstzunehmendes Thema sein sollte. Kein Wunder, dass politisch einfache Gemüter bei so etwas Enteignungsphantasien hegen, anstatt den Knoten systematisch zu entwirren.

Kritische Entwicklung für Sozialstruktur der Städte

Wir sollten verhindern, dass die derzeitig von hohen Gewinn-erwartungen getriebene Herstellung von Kleinstwohneinheiten zu einem Überangebot und langfristig zu einer anderen Art der Belegung und der Eigentümerstruktur der Häuser führt, als die Projektentwickler uns Glauben machen wollen. Wir sollten verhindern, dass in Zeiten des Wohnraummangels irgendwann die Quadratmeter, die ein Empfänger von Grundsicherung oder Alterssicherung nutzen darf, auf die Größe dieser Wohnzellen abgesenkt werden. Wir sollten verhindern, dass Steuergelder und Förderungen diese wenig nachhaltige Wohnform derart fördern, und Anleger damit derartige Gewinne machen können. Wir sollten verhindern, dass der öffentlichen Hand durch die Share Deals der institutionalisierten Anleger Milliarden an Grunderwerbssteuereinnahmen entgehen, die durch die vereinnahmenden Gemeinden wesentlich vorausschauender, in wirklich gemeinwohlorientierten Wohnungsbau investiert wären.

Ein wenig Hoffnung besteht: Das IW Köln machte unlängst in einer Studie darauf aufmerksam, dass es durchaus Risiken für dieses Marktsegment gäbe: So soll die Zahl der Studenten aufgrund demographischer Veränderungen im kommenden Jahrzehnt voraussichtlich spürbar zurückgehen. Zugleich kehren immer Bundesländer zum Abitur nach 13 Jahren zurück, was die Zahl der Studienanfänger ebenfalls drücken dürfte. Doch wer soll dann in den Dingern leben?

Weil in den Städten die Bautätigkeit insgesamt anzieht und auch größere Wohnungen auf den Markt kommen, ist laut IW überdies fraglich, ob sich die hohen Mieten für Mikro-Appartements auf Dauer werden durchsetzen lassen. In Frankfurt am Main wurden laut BZ und nach IW-Berechnungen in den vergangenen Jahren fast 44 Prozent mehr Einraumwohnungen gebaut, als eigentlich benötigt werden. Frankfurt hat der Praxis mittlerweile den Riegel vorgeschoben. Wann folgen weitere Städte?

Isabel Wiest

Isabel Wiest ist Wirtschafts- und Verwaltungsjuristin. Um das nötige Drama hinzuzufügen, schrieb sie als Ghostwriterin böse Witze für eine bekannte Late Night Show. Derzeit ist sie Abgeordnete in einem Hamburger Bezirk und kämpft wo es nur geht für politische Erleuchtung.

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